2001  
  2000           2002 [ ‹ ]
01.001 EuGH-Vorlagepflicht

  1. BVerfG,     B, 09.01.01,     – 1_BvR_1036/99 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.3, GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.101 Abs.1 S.2

  4. EWG-Richtlinien / Grundrechte / Verletzung / Prüfmaßstab / Gemeinsachaftsrecht / EuGH / gesetzlicher Richter / Vorabentscheidungsverfahren.

T-01-01

LB 1) Soweit sich die Beschwerdeführerin inhaltlich gegen die Richtlinie 86/457/EWG und die Richtlinie 93/16/EWG wendet und eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art.12 Abs.1 und Art.3 Abs.3 GG geltend macht, sind ihre Rügen unzulässig.

Abs.15

LB 2) Gemeinschaftsrecht wird grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht geprüft; Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten sind von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken ist.

Abs.18

LB 3) Es ist geklärt, dass der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG ist und es einen Entzug des gesetzlichen Richters darstellt, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (vgl BVerfGE_73,339 <366 ff>; BVerfGE_82,159 <194 ff>).

Abs.21

LB 4) Das Bundesverwaltungsgericht hat die gemeinschaftsrechtliche Frage nach der Kollision zwischen der Richtlinie 76/207/EWG und den Richtlinien 86/457/EWG sowie 93/16/EWG ohne erkennbare Orientierung an der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs oder am Gemeinschaftsrecht allein nach nationalen Maßstäben beurteilt.

Abs.22

LB 5) Auch soweit das Bundesverwaltungsgericht nicht in Betracht gezogen hat, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter zu den vom Europäischen Gerichtshof anerkannten ungeschriebenen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten gehört, hat es seine Vorlageverpflichtung grundsätzlich verkannt und damit gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG verstoßen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1999 - BVerwG 3 C 10.98 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Das Verfahren wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die ihr entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-01-01Gesetzlicher Richter

14

"1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht mit allen Rügen zulässig.

15

a) Soweit sich die Beschwerdeführerin inhaltlich gegen die Richtlinie 86/457/EWG und die Richtlinie 93/16/EWG wendet und eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art.12 Abs.1 und Art.3 Abs.3 GG geltend macht, sind ihre Rügen unzulässig. Gemeinschaftsrecht wird grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht geprüft; Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten sind von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken ist (vgl BVerfGE_73,339 <376 bis 389>; BVerfGE_89,155; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7.Juni 2000 - 2 BvL 1/97 -, NJW 2000, S.3124).

16

b) Auch soweit die Beschwerdeführerin eine Grundrechtsverletzung durch das Hamburgische Ärztegesetz geltend macht, fehlt es an der Zulässigkeit. Wenn der nationale Gesetzgeber Spielraum bei der Umsetzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht hat, ist er zwar an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden und unterliegt insoweit in vollem Umfang der verfassungsgerichtlichen Überprüfung (vgl BVerfG, Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats vom 9.Juli 1992 - 2_BvR_1096/92 -, NVwZ 1993, S.883 <884>). Die Beschwerdeführerin hat jedoch weder im Ausgangsverfahren noch im Verfassungsbeschwerde-Verfahren gerügt, dass die nach Europarecht zulässigen Übergangsregelungen vom hamburgischen Gesetzgeber nicht vorgesehen wurden, obwohl sie verfassungsrechtlich geboten gewesen wären. Soweit im Übrigen die Normsetzung zwingend dem Gemeinschaftsrecht folgt, ist sie ebenso wie das sekundäre Gemeinschaftsrecht selbst nicht am Maßstab der deutschen Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, sondern unterliegt dem auf Gemeinschaftsrechtsebene gewährleisteten Grundrechtsschutz.

17

2. Zulässig ist dagegen die Rüge eines Verstoßes gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. Sie ist auch begründet.

18

a) Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art.101 Abs.1 Satz 2 GG bereits entschieden. Es ist geklärt, dass der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG ist und es einen Entzug des gesetzlichen Richters darstellt, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (vgl BVerfGE_73,339 <366 ff>; BVerfGE_82,159 <194 ff> ; s auch BVerfG, Beschluss der 1.Kammer des Ersten Senats vom 21.August 1996 - 1_BvR_866/96 -, NVwZ 1997, S.481; BVerfG, Beschluss der 2.Kammer des Ersten Senats vom 5.August 1998 - 1_BvR_264/98 -, DB 1998, S.1919). Danach wird die Vorlagepflicht insbesondere in solchen Fällen unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Gericht seine Vorlageverpflichtung grundsätzlich verkennt. Gleiches gilt, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vorliegt oder wenn eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat. Erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Gericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind.

19

Eine Kontrolle anhand dieser Maßstäbe ist dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nur möglich, wenn ihm die Gründe hinreichend sicher bekannt sind, aus denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof abgesehen hat (vgl BVerfG, Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats vom 22.Dezember 1992 - 2 BvR 557/88 -, NVwZ 1993, S.883).

20

b) Nach diesen Maßstäben verletzt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. Das Bundesverwaltungsgericht hat als letztinstanzliches Fachgericht die Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof aus zwei Gründen in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt. Zum einen hat das Bundesverwaltungsgericht die von ihm selbst erkannte und aufgeworfene Problematik der Richtlinienkollision in einer im europäischen Rechtsraum nicht vertretbaren Weise, nämlich allein nach nationalen Maßstäben ohne jede Auseinandersetzung mit der europäischen Judikatur, beantwortet (1). Zum anderen hat es seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkannt, soweit es nicht in Betracht gezogen hat, dass das Verbot der nicht gerechtfertigten Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten zum allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter gehört, den alle Gemeinschaftsorgane zu beachten haben (2).

21

(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat die gemeinschaftsrechtliche Frage nach der Kollision zwischen der Richtlinie 76/207/EWG und den Richtlinien 86/457/EWG sowie 93/16/EWG ohne erkennbare Orientierung an der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs oder am Gemeinschaftsrecht allein nach nationalen Maßstäben beurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht nennt keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Problematik von Richtlinienkollisionen, die es - worauf in den Stellungnahmen hingewiesen wird - durchaus gibt. Infolge dieses Versäumnisses hat sich das Gericht auch nicht erkennbar mit der vorhandenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auseinander gesetzt. Aus welcher Norm des europäischen Rechts das Bundesverwaltungsgericht seine Berechtigung herleitet, selbst über die Normenkollision nach Grundsätzen zu entscheiden, die es dem deutschen Recht entnimmt (Grundsätze der Priorität und der Spezialität), wird nicht belegt. Es fehlt schon an der Angabe von Gründen, die dem Bundesverfassungsgericht eine Kontrolle am Maßstab des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG ermöglichen (vgl BVerfG, Beschluss der 2.Kammer des Ersten Senats vom 5.August 1998, DB 1998, S.1919, und Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats vom 22.Dezember 1992, NVwZ 1993, S.883). Ein Gericht, das sich hinsichtlich des europäischen Rechts nicht ausreichend kundig macht, verkennt regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht. Dabei umfasst der Begriff des europäischen Rechts nicht nur materielle Rechtsnormen, sondern auch die Methodenwahl; denn die Wahl der Methode - Spezialität oder praktische Konkordanz - entscheidet auch darüber, welche Rechtsnorm sich im Kollisionsfall durchsetzt und damit materiell gilt.

22

(2) Auch soweit das Bundesverwaltungsgericht nicht in Betracht gezogen hat, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter zu den vom Europäischen Gerichtshof anerkannten ungeschriebenen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten gehört, hat es seine Vorlageverpflichtung grundsätzlich verkannt und damit gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG verstoßen.

23

Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter und mit ihm das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts ist Teil der grundlegenden allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft, die vom Europäischen Gerichtshof als bindende Prüfungsmaßstäbe für das hoheitliche Verhalten von Gemeinschaftsorganen entwickelt wurden (vgl EuGH, Urteil vom 28.Januar 1992 - Rs T 45/90 -, Slg. 1992 II, S.35; Urteil vom 30.April 1996 - Rs C 13/94 -, Slg 1996 I, S.2159 <2165>; Urteil vom 20.März 1984 - Rs 75 und 117/92 -, Slg 1984, S.1509 <1530>; s auch BVerfGE_73,339 <380> mwN). Diese Grundrechtsverbürgungen, die vom Europäischen Gerichtshof aus den mitgliedstaatlichen Verfassungen und der Europäischen Menschenrechtskonvention entwickelt worden sind und als allgemeine Rechtsgrundsätze Geltung als primäres Gemeinschaftsrecht entfalten, bilden die Grundlage dafür, dass das Bundesverfassungsgericht von einem wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft durch den Europäischen Gerichtshof ausgeht und sich seiner Kontrollbefugnis begeben hat (vgl BVerfGE_73,339 <383 bis 387>).

24

Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht in Betracht gezogen, dass es zur Überprüfung des sekundären Gemeinschaftsrechts einen solchen durch den Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter geben könnte (vgl dazu auch BVerfGE_97,35 <43> - Hamburgisches Ruhegeldgesetz), der dem im Grundgesetz verankerten Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts entsprechen und Geltung als primäres Gemeinschaftsrecht entfalten könnte. Auch diese Überlegung hätte eine Vorlage unabweisbar gemacht. Denn der Grundrechtsschutz der Beschwerdeführerin liefe ins Leere, wenn das Bundesverfassungsgericht mangels Zuständigkeit keine materielle Prüfung anhand der Grundrechte vornehmen kann und der Europäische Gerichtshof mangels Vorabentscheidungsersuchens nicht die Möglichkeit erhält, sekundäres Gemeinschaftsrecht anhand der für die Gemeinschaft entwickelten Grundrechtsverbürgungen zu überprüfen. In Fällen dieser Art verletzt das letztinstanzlich zuständige Fachgericht Art.101 Abs.1 Satz 2 GG durch eine Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof."

 

Auszug aus BVerfG B, 09.01.01, - 1_BvR_1036/99 -, www.BVerfG.de,  Abs.14 ff

§§§

01.002 Telekommunikationsnetz

  1. BVerfG,     B, 18.01.01,     – 1_BvR_1700/00 –

  2. www.BVerfG.de NJW_01,2960 -62

  3. GG_Art.14 Abs.1 SA.2, GG_Art.87 Abs.1 +2; TKG_§_57 Abs.1 Nr.1, TKG_§_57 Abs.2 S.2

  4. § 57/1 Nr.1 TKG / Enteignung / Inhaltsbestimmung / Inhaber von Leitungsrechten / Übertragungsweglizenzen.

 

LB 1) § 57 Abs.1 Nr.1 TKG stellt keine Enteignung dar, sondern eine Inhaltsbestimmung des Grundeigentums iSv Art.14 I 2 GG.

 

LB 2) Auch die weitere Annahme des BGH, der Anwendungsbereich des § 57 I Nr.1 TKG sei nicht auf Inhaber von Leitungsrechten beschränkt, die zugleich über eine Übertragungsweglizenz verfügen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

§§§

01.003 Akteneinsicht

  1. BVerfG,     B, 23.01.01,     – 2_BvQ_42/00 –

  2. BVerfGE_103,41 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.21 Abs.1; BVerfGG_§_32, BVerfGG_§_43 Abs.1, BVerfGG_§_45

  4. Parteiverbotsverfahren / Akteneinsicht / Rechtsgrundlagen / Zeitraum vor Antragstellung.

T-01-02

LB 1) Das Recht der Antragstellerin auf Akteneinsicht und Anhörung im Parteiverbotsverfahren nach Art.21 Abs.2 GG richtet sich nach den Vorschriften der §§ 20, 45 BVerfGG. Für den Zeitraum, bevor ein Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, gestellt worden ist, fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Akteneinsicht und Anhörung.

Abs.5

LB 2) Insbesondere die spezielle Regelung des § 45 BVerfGG, wonach das Bundesverfassungsgericht im so genannten Vorverfahren dem Vertretungsberechtigten Gelegenheit zur Äußerung vor einer Entscheidung darüber gibt, ob ein Antrag als unzulässig oder als nicht hinreichend begründet zurückzuweisen oder ob die Verhandlung durchzuführen ist, lässt sich nach Wortlaut und Sinn nicht zur Begründung weiter gehender, zeitlich vorgelagerter Beteiligungsrechte heranziehen.

Abs.6

LB 3) Dem steht auch nicht die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Art.21 Abs.1 GG entgegen, denn sie begründet keinen Anspruch einer politischen Partei, durch Akteneinsicht und Anhörung an dem Verfahren der Willensbildung der gemäß Art.21 Abs.2 GG iVm § 43 Abs.1 BVerfGG antragsbefugten Verfassungsorgane bereits im Vorfeld möglicher Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt zu werden.

* * *

T-01-02NPD-Verbotsverfahren

 

I.

1

Die Antragstellerin begehrt, dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr Einsicht in die Akten zu gewähren, die der Vorbereitung von Parteiverbotsanträgen gegen sie dienen. Zugleich verlangt sie, ihr vor Einreichung von Parteiverbotsanträgen Gelegenheit zu geben, innerhalb einer Frist von sechs Monaten zum Inhalt der Akten Stellung zu nehmen, um den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu entkräften.

II.

2

Die begehrte einstweilige Anordnung kann nicht ergehen.

3

Nach § 32 Abs.1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Eine einstweilige Anordnung darf jedoch dann nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen würde (vgl BVerfGE_89,38 <43 f>; BVerfGE_92,130 <133>). Das ist hier der Fall; es wäre in einem Verfahrennach Art.93 Abs.1 Nr.1 GG jedenfalls offen sichtlich unbegründet.

4

Das Recht der Antragstellerin auf Akteneinsicht und Anhörung im Parteiverbotsverfahren nach Art.21 Abs.2 GG richtet sich nach den Vorschriften der §§ 20, 45 BVerfGG. Für den Zeitraum, bevor ein Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, gestellt worden ist, fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Akteneinsicht und Anhörung.

5

Insbesondere die spezielle Regelung des § 45 BVerfGG, wonach das Bundesverfassungsgericht im so genannten Vorverfahren dem Vertretungsberechtigten Gelegenheit zur Äußerung vor einer Entscheidung darüber gibt, ob ein Antrag als unzulässig oder als nicht hinreichend begründet zurückzuweisen oder ob die Verhandlung durchzuführen ist, lässt sich nach Wortlaut und Sinn nicht zur Begründung weiter gehender, zeitlich vorgelagerter Beteiligungsrechte heranziehen. Der von einem möglichen Verbotsantrag betroffenen Partei wird es danach von Gesetzes wegen grundsätzlich zugemutet, die Eröffnung eines Verfahrens vor dem Bundes verfassungsgericht abzuwarten.

6

Dem steht auch nicht die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Art.21 Abs.1 GG entgegen, denn sie begründet keinen Anspruch einer politischen Partei, durch Akteneinsicht und Anhörung an dem Verfahren der Willensbildung der gemäß Art.21 Abs.2 GG iVm § 43 Abs.1 BVerfGG antragsbefugten Verfas sungsorgane bereits im Vorfeld möglicher Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt zu werden. Dafür, dass es vorliegend um anderes als um die Vorbereitung von Anträgen vor dem Bundesverfassungsgericht gehen könnte, sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich."

 

Auszug aus BVerfG B, 23.01.01, - 2_BvQ_42/00 -, www.BVerfG.de,  Abs.1 ff

§§§

01.004 Gerichtsfernsehen II

  1. BVerfG,     U, 24.01.01,     – 1_BvR_2623/95 –

  2. BVerfGE_103,44 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE = DVBl_01,456 -63

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.1, GG_Art.5 Abs.1 S.2; GVG_§_169 S.2

  4. Eröffnung einer Informationsquelle / Informationsfreiheit / Rundfunkfreiheit / Bestimmungsrecht / Recht auf Zugang / Gerichtsverhandlung / Gesetzgeber / Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens.

 

1) Ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle folgt weder aus der Informationsfreiheit des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG noch aus der Rundfunkfreiheit des Art.5 Abs.1 Satz 2 GG. Über die Zugänglichkeit einer Informationsquelle und die Modalitäten des Zugangs entscheidet, wer über ein entsprechendes Bestimmungsrecht verfügt. Erst nach Eröffnung der allgemeinen Zugänglichkeit kann der Schutzbereich der Informationsfreiheit durch einen Grundrechtseingriff betroffen sein.

 

2) Das Grundrecht aus Art.5 Abs.1 Satz 1 GG umfasst ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf Zugang, wenn eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den Zugang aber verweigert.

 

3) Gerichtsverhandlungen sind Informationsquellen. Über ihre öffentliche Zugänglichkeit entscheidet der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens.

 

4) Der gesetzliche Ausschluss von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen in Gerichtsverhandlungen durch § 169 Satz 2 GVG ist verfassungsgemäß.

 

LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Kühling, der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Hoffmann-Rhiem siehe BVerfGE_103,72 = www.BVerfG.de, Abs.90 ff.

§§§

01.005 Pofalla I

  1. BVerfG,     B, 24.01.01,     – 2_BvE_1/00 –

  2. BVerfGE_103,81 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.20 Abs.1; BVerfGG_§_13 Nr.5, BVerfGG_§_63 ff

  4. Organstreitverfahren / Unterlassen / verfassungswidriges / Bund-Länder-Streit / bundesfreundliches Verhalten / anderes Rechtsverhältnis.

T-01-03

LB 1) Zum verfassungswidrigen Unterlassen im Organstreitverfahren.

Abs.26

LB 2) Auch der Bund-Länder-Streit ist - wie der Organstreit - ein kontradiktorisches Verfahren, bei dem Antragsteller und Antragsgegner in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen müssen, aus dem sich Rechte und Pflichten ergeben, die sie gegenseitig achten müssen und die zwischen ihnen streitig geworden sind (BVerfGE_20,18 <23 f>).

Abs.30

LB 3) Das verfassungsrechtlichen Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens als solches schafft jedoch kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und Land. Es ist akzessorischer Natur und begründet für sich allein keine selbständigen Pflichten des Bundes oder eines Landes (stRspr, jüngst BVerfGE_95,250 <266>).

Abs.30

LB 4) Nur innerhalb eines anderweitig begründeten gesetzlichen oder vertraglichen Rechtsverhältnisses oder einer anderweitig rechtlich begründeten selbständigen Rechtspflicht kann die Regel vom bundesfreundlichen Verhalten Bedeutung gewinnen, indem sie diese anderen Rechte und Pflichten moderiert, variiert oder durch Nebenpflichten ergänzt (BVerfGE_42,103 <117>).

Abs.33

LB 5) Da der Bund-Länder-Streit nur für Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten aus der Verfassung offen steht, nicht jedoch für Auseinandersetzungen über einfachgesetzliche Rechte und Pflichten, vermag auch der Bezug zum Immunitätsrecht ein streitiges materielles Verfassungsrechtsverhältnis hier nicht zu begründen.

* * *

T-01-03Unterlassen einer Maßnahme

23

"1. a) Fraktionen des Deutschen Bundestages sind im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr.5, 63 ff BVerfGG parteifähig. Sie sind befugt, im eigenen Namen auch Rechte geltend zu machen, die dem Bundestag gegenüber einem möglichen Antragsgegner zustehen können (BVerfGE_100,266 <268>; stRspr).

24

b) Als Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren kommen nur Maßnahmen oder Unterlassungen in Betracht, die rechtserheblich sind (vgl BVerfGE_97,408 <414> ). Das Unterlassen einer Maßnahme ist nur dann rechtserheblich, wenn eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Vornahme der unterlassenen Maßnahme nicht ausgeschlossen werden kann (vgl BVerfGE_96,264 <277> ). Fehlt es hieran, so ist der Organstreit, in dem die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Unterlassens beantragt wird, mangels eines zulässigen Angriffsgegenstandes unzulässig.

25

2. So liegt der Fall hier. Das gerügte Unterlassen der Bundesregierung, einen Bund-Länder-Streit gemäß Art.93 Abs.1 Nr.3 GG gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu führen, ist nicht rechtserheblich, weil zwischen beiden keine konkrete Meinungsverschiedenheit über grundgesetzliche Rechte und Pflichten besteht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf § 68 BVerfGG überhaupt eine treuhänderische Pflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag zur Einleitung eines Bund-Länder-Streits begründet werden kann.

26

Aus der Verweisung des § 69 auf § 64 BVerfGG folgt, dass es sich bei den Meinungsverschiedenheiten im Sinne des Art.93 Abs.1 Nr.3 GG um verfassungsrechtliche Streitigkeiten handeln muss (vgl Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts, 1991, Rn.987). Auch der Bund-Länder-Streit ist - wie der Organstreit - ein kontradiktorisches Verfahren, bei dem Antragsteller und Antragsgegner in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen müssen, aus dem sich Rechte und Pflichten ergeben, die sie gegenseitig achten müssen und die zwischen ihnen streitig geworden sind (BVerfGE_20,18 <23 f>). Solche streitigen Rechte oder Pflichten aus einem materiellen Verfassungsrechtsverhältnis zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen lassen sich weder unmittelbar aus Art.46 Abs.2 bis 4 GG noch aus dem Immunitätsrecht in Verbindung mit dem Grundsatz der Bundestreue ableiten.

27

a) Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Bundestag als Organ des Bundes die diesem vom Grundgesetz eingeräumte Genehmigungsbefugnis in Immunitätsangelegenheiten nicht streitig gemacht. Das Land hat vielmehr das Verfahren entsprechend den Grundsätzen in Immunitätsangelegenheiten beachtet, den Bundestag pflichtgemäß von dem geplanten Ermittlungsverfahren unterrichtet und eine Genehmigung für die beabsichtigte Durchsuchung und Beschlagnahme eingeholt. Verfahrensverstöße sind von der Antragstellerin auch nicht beanstandet worden.

28

Ein rechtswidrig eingeleitetes Ermittlungsverfahren sowie ein rechtswidrig gestellter Antrag stellen den im Grundgesetz garantierten Genehmigungsvorbehalt des Bundestages in Immunitätsangelegenheiten grundsätzlich nicht in Frage. Die Verletzung des Straf- oder Strafverfahrensrechts spielt im Bund-Länder-Streit keine Rolle, weil es in diesem Verfahren nur darum geht, in der Verfassung festgelegte Zuständigkeiten und Kompetenzen gegeneinander abzugrenzen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn das Land sachfremd und willkürlich den Bundestag irreführt, um die Genehmigung zum Vollzug der gerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse zu erwirken. Ein solcher Missbrauch wird allerdings nicht bereits durch die Tatsache belegt, dass die staatsanwaltlichen Maßnahmen drei Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gegen den damals designierten Justizminister des "Schattenkabinetts" des CDU-Spitzenkandidaten durchgeführt worden sind. Andere ausreichende Anhaltspunkte für eine bewusste Irreführung des Bundestages sind nicht vorgetragen.

29

b) Auch aus dem Grundsatz der Bundestreue in Verbindung mit dem Immunitätsrecht lässt sich ein den Bund und das Land Nordrhein-Westfalen verbindendes materielles Verfassungsrechtsverhältnis nicht herleiten.

30

Die Pflicht von Bund und Ländern zu bundesfreundlichem Verhalten folgt aus dem in Art.20 Abs.1 GG verankerten Grundsatz der Bundesstaatlichkeit. Das aus diesem Prinzip abgeleitete Gebot der Kooperation konkretisiert sich in dem Verfahren und dem Stil der Verhandlungen, die zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen diesen im Verfassungsleben erforderlich werden (BVerfGE_12,205 <255>). 31

31

Das verfassungsrechtliche Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens als solches schafft jedoch kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und Land. Es ist akzessorischer Natur und begründet für sich allein keine selbständigen Pflichten des Bundes oder eines Landes (stRspr, jüngstBVerfGE_95,250 <266> ). Nur innerhalb eines anderweitig begründeten gesetzlichen oder vertraglichen Rechtsverhältnisses oder einer anderweitig rechtlich begründeten selbständigen Rechtspflicht kann die Regel vom bundesfreundlichen Verhalten Bedeutung gewinnen, indem sie diese anderen Rechte und Pflichten moderiert, variiert oder durch Nebenpflichten ergänzt (BVerfGE_42,103 <117>).

32

Zwar brauchen diese anderweitigen selbständigen Rechte und Pflichten keineswegs verfassungsrechtlicher Natur zu sein (BVerfGE_42,103 <117 f>). Denn der Grundsatz der Bundestreue durchwirkt alle Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, seien sie privat- oder verwaltungsrechtlicher Natur. Doch zur Geltendmachung in einem Bund-Länder-Streit nach Art.93 Abs.1 Nr.3 GG eignet sich das Prinzip nur dann, wenn es im Rahmen eines verfassungsrechtlichen Verhältnisses zur Anwendung gelangt; denn der Grundsatz der Bundestreue formt nicht automatisch jedes Rechtsverhältnis, in dem er sich auswirkt, in ein verfassungsrechtliches um (vgl. Benda/Klein, aa0., S. 991; Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts, Bd.II, 2.Aufl 1998, § 56 Rn.34; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3.Aufl 1991, § 9 Rn.7).

33

Da der Bund-Länder-Streit nur für Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten aus der Verfassung offen steht, nicht jedoch für Auseinandersetzungen über einfachgesetzliche Rechte und Pflichten, vermag auch der Bezug zum Immunitätsrecht ein streitiges materielles Verfassungsrechtsverhältnis hier nicht zu begründen. Da der Genehmigungsvorbehalt des Parlaments respektiert worden ist und keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine bewusste Irreführung erkennbar sind, steht auch hier, soweit es um die rechtswidrige Annahme eines hinreichenden Tatverdachts geht, nur die Rücksichtnahme auf einfachgesetzliche Pflichten in Rede. Dem Bund kommt keine allgemeine Verfassungs- und Rechtsaufsicht zu. Der Bund-Länder-Streit dient wie das Organstreitverfahren dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungs- und Rechtsaufsicht (BVerfGE_100,266 <268>)."

 

Auszug aus BVerfG B, 24.01.01, - 2_BvE_1/00 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.23 ff

§§§

01.006 Unterhaltsverzichtvertrag

  1. BVerfG,     U, 06.02.01,     – 1_BvR_12/92 –

  2. BVerfGE_103,89 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.6 Abs.2, GG_Art.6 Abs.4

  4. Ehevertragliche Abrden / vor Eheschließung / Schwangere / Unterhalt - gemeinsames Kind / Scheidung / Vereinbarkeit.

 

Zur gerichtlichen Kontrolle des Inhalts ehevertraglicher Abreden, die vor der Eheschließung mit einer Schwangeren getroffen werden und die Betreuungs- und Unterhaltssituation des gemeinsamen Kindes nach einer Scheidung berühren, am Maßstab des Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.6 Abs.4 GG und des Art.6 Abs.2 GG.

§§§

01.007 Wahlprüfung-Hessen

  1. BVerfG,     U, 08.02.01,     – 2_BvF_1/00 –

  2. BVerfGE_103,111 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.78 Abs.2, GG_Art.92; (He) WahlPG_§_17

  4. Verfassung des Landes Hessen / Handlung - gegen die guten Sitten verstoßend / wahlprüfungsrechtliche Entscheidung / Rechtsprechung im funktionnellen Sinne.

 

1) Die Tatbestandsmerkmale "gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen" in Artikel 78 Absatz 2 der Verfassung des Landes Hessen verweisen auf die in der wahlprüfungsrechtlichen Spruchpraxis allgemein geteilten Rechtsüberzeugungen. Eine sittenwidrige Wahlbeeinflussung setzt danach voraus, dass in erheblicher Weise gegen die Grundsätze der Freiheit oder der Gleichheit der Wahl verstoßen wurde. Je weiter die Wirkungen einer wahlprüfungsrechtlichen Entscheidung reichen, desto schwerer muss der Wahlfehler wiegen, auf den der Eingriff gestützt wird.

 

2) Rechtsprechende Gewalt im Sinne des Artikel 92 des Grundgesetzes ist auch dann gegeben, wenn der Gesetzgeber für einen Sachbereich eine Ausgestaltung wählt, die bei funktioneller Betrachtung nur der rechtsprechenden Gewalt zukommen kann. In funktioneller Hinsicht handelt es sich um Rechtsprechung, wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhängige Gerichte herbeiführen können. 2) Rechtsprechende Gewalt im Sinne des

 

3) Die Prüfung der Gültigkeit der Wahl zum Hessischen Landtag ist in funktioneller Hinsicht teilweise als rechtsprechende Tätigkeit ausgeformt. § 17 des Wahlprüfungsgesetzes des Landes Hessen misst der Entscheidung des Wahlprüfungsgremiums eine Rechtswirkung zu, die nur von unabhängigen staatlichen Gerichten herbeigeführt werden kann.

§§§

01.008 Durchsuchungsanordnung

  1. BVerfG,     U, 20.02.01,     – 2_BvR_1444/00 –

  2. BVerfGE_103,142 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE = Polizei_01,157

  3. GG_Art.13 Abs.1. GG_Art.13 Abs.2, GG_Art.19 Abs.4; StPO_§_105 Abs.1

  4. Durchsuchungsanordnung - richterliche / Regelfall / Ausnahme / Gefahr in Verzuge / Begründung / Regelzuständigkeit der Richter / Darlegungspflicht.

 

1) a) Der Begriff "Gefahr im Verzug" in Art.13 Abs.2 GG ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme.

b) "Gefahr im Verzug" muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus.

 

2) Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen des Möglichen tatsächliche und rechtliche Vorkehrungen zu treffen, damit die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters auch in der Masse der Alltagsfälle gewahrt bleibt. 2) Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen des

 

3) a) Auslegung und Anwendung des Begriffs "Gefahr im Verzug" unterliegen einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte sind allerdings gehalten, der besonderen Entscheidungssituation der nichtrichterlichen Organe mit ihren situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten Rechnung zu tragen.

b) Eine wirksame gerichtliche Nachprüfung der Annahme von "Gefahr im Verzug" setzt voraus, dass sowohl das Ergebnis als auch die Grundlagen der Entscheidung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Durchsuchungsmaßnahme in den Ermittlungsakten dargelegt werden.

§§§

01.009 ÖPD

  1. BVerfG,     B, 08.03.01,     – 2_BvK_1/97 –

  2. BVerfGE_103,164 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_64 Abs.3

  4. Organstreit / Unterlassen - fortdauerndes / Frist.

 

In Fällen fortdauernden Unterlassens wird die Frist des § 64 Abs.3 BVerfGG spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Antragsgegner erkennbar und eindeutig weigert, in einer Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält.

§§§

01.010 Genetischer Fingerabdruck

  1. BVerfG,     B, 15.03.01,     – 2_BvR_1841/00 –

  2. www.BVerfG.de NJW_01,2320 -23

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1; DNA-IFG_§_2; StPO_§_81g; StGB_§_56

  4. Genetischer Fingerabdruck / § 2 DNA-IFG / Schrankenvorbehalt / informationnelle Selbstbestimmung / Straftat von erheblicher Bedeutung / Katalogtat.

 

§ 2 DNA-IFG trägt dem Schrankenvorbehalt des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung ausreichend Rechnung. Er bezweckt die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung und dient damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt.

 

LB 2) Bei der Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung darf nicht auf eine Katalogtat nach § 2c DNA-IFG abgestellt werden, der für den Suchlauf der StA im Bundeszentralregister geschaffen wurde, sondern es kommt auf den Katalog nach § 81g I StPO an. LB 2) Bei der Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung darf nicht auf eine Katalogtat nach

 

LB 3) Das Vorliegen einer Katalogtat belegt nicht zwingend eine Straftat von erheblicher Bedeutung. Liegt das Strafmaß im unteren Bereich des Strafrahmens und wurde Strafaussetzung zur Bewährung gewährt, besteht Anlass zu prüfen, ob eine Ausnahme vorliegt.

§§§

01.011 Altergrenze-Kassenärzte

  1. BVerfG,     B, 20.03.01,     – 1_BvR_491/96 –

  2. BVerfGE_103,172 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.12 Abs.1

  4. Berufsfreiheit / Gleichheitssatz / Vereinbarkeit / Zulassung / vertragsärztliche Versorgung.

 

Es ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art.12 Abs.1 GG) und mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) vereinbar, dass approbierte Ärzte, die das 55.Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich nicht mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden.

§§§

01.012 Tatbestandsberichtigung

  1. BVerfG,     B, 21.03.01,     – 1_BvR_2307/94 –

  2. BVerfGE_103,195 = www.BVerfG.de

  3. ZPO_§_313 Abs.2

  4. Tatbestandsberichtigung / Beweisanträge / Ablehnung / Tatbestand Aufnahme.

T-01-04

LB 1) Der Berichtigungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil die Beweisanträge der Beschwerdeführer und ihre Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht nicht in den Tatbestand des Urteils vom 22.November 2000 aufzunehmen sind.

Abs.3

LB 2) Die Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und die Eigenart der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erfordern mehr noch, als dies für das übrige Verfahrensrecht gilt (vgl insbesondere § 313 Abs.2 ZPO), Inhalt und Umfang des Tatbestands auf das für das Verständnis der jeweiligen Entscheidung unabweisbar Notwendige zu beschränken. Zu dem in diesem Sinne Notwendigen gehören Beweisanträge über Tatsachen, die das Bundesverfassungsgericht für unerheblich hält, und ihre Ablehnung durch das Gericht nicht.

* * *

T-01-04abgelehnte Beweisanträge

1

"1. In der mündlichen Verhandlung vom 11.April 2000 über die Verfassungsbeschwerden gegen das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz vom 27.September 1994 (BGBl I S.2624) stellten die Beschwerdeführer des vorliegenden Verfahrens mehrere Beweisanträge. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anträge in einem in der mündlichen Verhandlung verlesenen Beschluss mit der Begründung abgelehnt, dass es auf die darin genannten Beweistatsachen nicht ankomme. In den Tatbestand des am 22.November 2000 verkündeten Urteils (vgl VIZ 2001, S.16) sind die Beweisanträge und ihre Ablehnung nicht aufgenommen worden. Die Beschwerdeführer haben daraufhin durch ihren Bevollmächtigten Dr Märker beantragt, den Tatbestand zu ergänzen und in ihm die Beweisanträge im Wortlaut sowie ihre Ablehnung unter Angabe des Ablehnungsgrundes wiederzugeben. Von den Beschwerdeführern werde erwogen, gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben. Hierfür könnten sie urkundlichen Beweis über die unstreitigen Tatsachen und ihren Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur durch den Tatbestand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts führen.

2

2. Der Berichtigungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil die Beweisanträge der Beschwerdeführer und ihre Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht nicht in den Tatbestand des Urteils vom 22.November 2000 aufzunehmen sind.

3

Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht in der Fassung des Gesetzes vom 16.Juli 1998 (BGBl I S.1823) enthält keine Regelungen über den Inhalt des Tatbestands der Entscheidungen dieses Gerichts. Auf allgemeine Grundsätze des sonstigen Prozessrechts (vgl BVerfGE_46,321 <323> ) ist hierfür ebenfalls nicht zurückzugreifen. Denn die Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und die Eigenart der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erfordern mehr noch, als dies für das übrige Verfahrensrecht gilt (vgl insbesondere § 313 Abs.2 ZPO), Inhalt und Umfang des Tatbestands auf das für das Verständnis der jeweiligen Entscheidung unabweisbar Notwendige zu beschränken. Zu dem in diesem Sinne Notwendigen gehören Beweisanträge über Tatsachen, die das Bundesverfassungsgericht für unerheblich hält, und ihre Ablehnung durch das Gericht nicht.

4

Diese Vorgänge müssen auch nicht deshalb im Urteilstatbestand wiedergegeben werden, weil die Beschwerdeführer erwägen, gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde einzulegen. Die Beweisanträge der Beschwerdeführer und ihre Ablehnung sind in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.April 2000 protokolliert. Die Ablehnungsgründe ergeben sich aus dem Protokoll der Tonbandaufnahme dieser Verhandlung, das den Beschwerdeführern insoweit ebenso wie die Niederschrift selbst übersandt worden ist. Es ist nicht erkennbar, dass das für Verfahren vor dem genannten Gerichtshof geltende Recht als Nachweis für die verfahrensmäßige Behandlung der Beweisanträge mehr verlangen könnte."

 

Auszug aus BVerfG B, 21.03.01, - 1_BvR_2307/94 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.1 ff

§§§

01.013 Pflegeversicherung I

  1. BVerfG,     U, 03.04.01,     – 1_BvR_2014_95 –

  2. BVerfGE_103,197 = www.BVerfG.de = www-dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.74 Abs.1 Nr.11; SGB-XI

  4. Pflege-Versicherung (SGB-XI) / Ausgestaltung / Gesetzgebungskompetenz / Volksversicherung / Handlungsfreiheit / Eingriff.

 

1) Die Vorschriften des Pflege-Versicherungsgesetzes (SGB XI) über die Verpflichtung privat Krankenversicherter zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung privater Pflegeversicherungsverträge und über deren nähere inhaltliche Ausgestaltung sind durch die Gesetzgebungskompetenz des Art.74 Abs.1 Nr.11 GG ("privatrechtliches Versicherungswesen") gedeckt.

 

2) Der zur sozialpolitischen Gestaltung berufene Gesetzgeber durfte eine im Grundsatz alle Bürger erfassende Volksversicherung einrichten, um die für die Pflege hilfebedürftiger Menschen notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen.

 

3) Der mit der gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verbundene Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.2 Abs.1 GG) ist verfassungsgemäß.

§§§

01.014 Pflegeversicherung II

  1. BVerfG,     U, 03.04.01,     – 1_BvR_81/98 –

  2. BVerfGE_103,225 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1

 

1) Es bestehen verfassungsrechtlich keine Bedenken, dass der Gesetzgeber die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung grundsätzlich an das Bestehen eines gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungsschutzes geknüpft hat.

 

2) Es verstößt jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass der Gesetzgeber gleichermaßen schutzbedürftige Personen ohne Krankenversicherungsschutz vom Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung ausgeschlossen hat, die als Volksversicherung angelegt ist. Diesen Personen ist zumindest ein Beitrittsrecht einzuräumen.

§§§

01.015 Pflegeversicherung III

  1. BVerfG,     U, 03.04.01,     – 1_BvR_1629/94 –

  2. BVerfGE_103,242 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.6 Abs.1

  4. Pflegeversicherung / Mitglieder / mit Kindern / ohne Kinder / gleich hoher Beitrag.

 

Es ist mit Art.3 Abs.1 in Verbindung mit Art.6 Abs.1 GG nicht zu vereinbaren, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.

§§§

01.016 Pflegeversicherung IV

  1. BVerfG,     U, 03.04.01,     – 1_BvR_1681_94 –

  2. BVerfGE_103,271 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1

  4. Pflegeversicherung / Inkrafttreten / Privatversicherter / Wahlrecht / Beitrittsrecht.

 

1) Der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen gehalten, den zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des SGB XI privat krankenversicherten Personen ein Wahlrecht einzuräumen, der sozialen Pflegeversicherung beizutreten.

 

2) Art.3 Abs.1 GG verlangt nicht, dass die Beiträge in der sozialen Pflegeversicherung einerseits und die Prämien in der privaten Pflegeversicherung andererseits gleich bemessen werden.

 

3) Zur Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Prämiengestaltung in der privaten Pflegeversicherung.

§§§

01.017 Anrechnung Kur

  1. BVerfG,     U, 03.04.01,     – 1_BvL_32/97 –

  2. BVerfGE_103,293 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1

  4. Bundesurlaubsgesetz / Arbeitgeber / Anrechungsbefugnis / Tarifvertrag / Einschränkung / Gemeinwohlbelange.

 

Zur Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs.1 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) vom 25.September 1996.

 

LB 2) Die Anrechnungserklärung des Arbeitgebers beseitigt die nach § 4 Abs.1 Satz 1 TVG zwingende Wirkung der tarifvertraglichen Norm über die Dauer der Arbeitsfreistellung für den Erholungsurlaub. Die tarifvertragliche Festlegung der Dauer des Erholungsurlaubs wird durch die Anrechnungsbefugnis des Arbeitgebers teilweise zu dessen Disposition gestellt.

 

LB 3) Die in Art.9 Abs.3 GG garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt.

 

LB 4) Art.9 Abs.3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen offen stehenden Bereich zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol.

 

LB 5) Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln (vgl Art.74 Abs.1 Nr.12 GG). Damit verbundene Beeinträchtigungen der Tarifautonomie sind verfassungsgemäß, wenn der Gesetzgeber mit ihnen den Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Belange bezweckt und wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 10 Absatz 1 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) vom 25.September 1996 (Bundesgesetzblatt I Seite 1476) war für die Dauer seiner Geltung mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

01.018 DDR-Beschäftigungszeiten

  1. BVerfG,     U, 04.04.01,     – 2_BvL_7/98 –

  2. BVerfGE_103,310 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1; BBesG_§_30 Abs.1 S.2

  4. Beamtenrecht / Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst DDR / Nichtberücksichtigung / Beschäftigungszeiten / Tätigkeit für MfS/AfNS.

 

Zur Verfassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst der DDR im Besoldungsdienstalter bei nachfolgender Tätigkeit für das MfS/AfNS (§ 30 Abs.1 Satz 2 BBesG)

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 30 Absatz 1 Satz 2 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.Mai 1997 (Bundesgesetzblatt I S.1065, berichtigt S.2032), geändert durch Artikel 6 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz - BKAG) vom 7.Juli 1997 (Bundesgesetzblatt I S.1650), ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

01.019 Oberservation

  1. BVerfG,     B, 25.04.01,     – 1_BvR_1104/92 –

  2. www.BVerfG.de DÖV_01,777 -79

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.13, GG_Art.19; BVerfGG_§_90 Abs.1 (Hb) GDVP_§_9 Abs.1 S.1 Nr.2, GDVP_§_10 Abs.1 S.2, GDVP_§_10 Abs.2

  4. Verfassungsbeschwerde / Gesetz / unmittelbare Betroffenheit / Kontakt- und Begleitperson / Auslegung / Rechtsanwalt / Organ der Rechtspflege.

T-01-05

LB 1) Wird eine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliche Bestimmungen eingelegt, ist die gesonderte Darlegung einer eigenen, unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit erforderlich (vgl BVerfGE_1,97 <101 ff>; BVerfGE_18,1 <11 ff>; BVerfGE_91,294 <395> ; stRspr).

Abs.54

LB 2) Der Begriff der Kontakt- und Begleitperson ist restriktiv auszulegen. Vorausgesetzt sind konkrete Tatsachen für einen objektiven Tatbezug und damit für eine Einbeziehung in den Handlungskomplex der Straftatenbegehung, insbesondere eine Verwicklung in den Hintergrund oder das Umfeld der Straftaten.

Abs.56

LB 3) Die Kennzeichnung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege spiegelt wider, dass die Rechtsordnung auf die vielfältigen Vermittlungsleistungen der Anwaltschaft angewiesen ist. Den besonderen rechtlichen Schutz des zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten bestehenden Vertrauensverhältnisses hat die Polizei bei der Auslegung und Anwendung der Normen zur Datenerhebung zu respektieren. Dementsprechend sind die Überwachungsbehörden beispielsweise gehindert, von einer Vermutung krimineller Kollusion auszugehen.

Abs.60

LB 4) Erfolgt eine Datenerhebung, wie bei §§ 9, 10 HbgGDVP, nicht offen, ist das Erfordernis der Benachrichtigung für den Rechtsschutz besonders bedeutsam. Nach § 9 Abs.3 Satz 1 HbgGDVP sind Personen, gegen die sich Datenerhebungen richten, nach Abschluss der Maßnahme hierüber zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung geschehen kann.

Abs.62

LB 5) Soweit der Wortlaut des § 9 Abs.3 Satz 2 HbgGDVP vorsieht, dass in bestimmten Fällen eine Unterrichtung durch die Polizei unterbleibt ist Vorschrift dahin verfassungskonforme auszulegung, dass eine Unterrichtung zu erfolgen hat, sobald Zwecke der Strafverfolgung nicht mehr entgegenstehen.

Abs.67

LB 6) Haben sich Datenerhebungen gegen Kontakt- und Begleitpersonen gerichtet, kommt auch ihnen die Benachrichtigungspflicht des § 9 Abs.3 HbgGDVP zugute.

* * *

T-01-05Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

47

"Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Norm und ergibt sich die Betroffenheit nicht unmittelbar aus ihr, sondern erst aus einem Vollzugsakt, ist die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich gegen diesen zu richten (vgl BVerfGE_100,313 <354> ). Wird eine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliche Bestimmungen eingelegt, ist die gesonderte Darlegung einer eigenen, unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit erforderlich (vgl BVerfGE_1,97 <101 ff>; BVerfGE_18,1 <11 ff>; BVerfGE_91,294 <395> ; stRspr). Dies soll sichern, dass eine Verfassungsbeschwerde zulässigerweise erst erhoben werden kann, wenn eine konkrete Beschwer vorliegt (vgl BVerfGE_90,128 <136>). Die Beschwerdeführer haben ihre eigene unmittelbare Betroffenheit durch das Gesetz nicht in hinreichender Weise dargelegt. Auch haben sie nicht in substantiierter Weise ausgeführt, dass die Zulässigkeit ausnahmsweise ohne vorherigen Vollzugsakt zu bejahen ist, weil es ihnen nicht zumutbar ist, diesen abzuwarten und gerichtlich anzugreifen.

48

1. Die Beschwerdeführer behaupten nicht, durch § 9 Abs.1 Satz 1 Nr.2, § 10 Abs.1 Satz 2 HbgGDVP unmittelbar verletzt zu werden. Betroffen werden sie erst durch eine auf diese Normen gestützte Datenerhebung. Eine gegen ein Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde kann in einem solchen Fall ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Betroffene von dem Vollzugsakt keine Kenntnis erlangen kann. Die Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde sind unter diesen Voraussetzungen erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch Maßnahmen, die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhen, in seinen Grundrechten berührt wird (vgl BVerfGE_67,157 <170>; BVerfGE_100,313 <354> ) und eine Kenntnisnahme von Vollzugsakten nicht gesichert ist. Gefordert ist ein substantiierter Vortrag, der ergibt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm beim Beschwerdeführer verwirklicht sein können.

49

Die Rüge der Beschwerdeführer, als potentielle Kontakt- und Begleitpersonen im Sinne der angegriffenen Regelungen betroffen und dadurch in ihren mit der Funktion als Berufsgeheimnisträger verbundenen Grundrechten verletzt zu sein, wird dieser Anforderung nicht gerecht.

50

a) Die Beschwerdeführer zu 1 und 2 verweisen insofern lediglich auf ihre beruflichen Betätigungen als Pastor und Polizeibeamter. Sie führen jedoch keine konkreten Tätigkeiten an, die sie in irgendeiner oder gar in besonderer Weise als wenigstens potentielle Kontakt- oder Begleitpersonen im Sinne des § 1 Abs.6 HbgGDVP auswiesen. Damit ist eine potentielle Betroffenheit nicht dargelegt.

51

b) Auch die Ausführungen zur beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers zu 3 ergeben eine eigene Betroffenheit und die Unzumutbarkeit des Abwartens nicht.

52

aa) Der Beschwerdeführer zu 3 verweist lediglich auf das generell mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit des Strafverteidigers verbundene Risiko, im Vergleich zu Angehörigen anderer gesellschaftlicher Gruppen häufiger Kontakt mit Menschen zu haben, die "kriminellen Szenen" angehören, bereits Straftaten begangen haben und möglicherweise erneut Straftaten begehen. Die Tätigkeiten von Berufsgeheimnisträgern und ihren Berufshelfern im Sinne der §§ 53, 53a StPO würden auch von Menschen in Anspruch genommen, die in den Blickwinkel der Strafverfolgungsbehörden gerieten. Diese wären daher häufiger Kontakt- oder Begleitpersonen als andere Personen und könnten deshalb unter die gesetzlichen Regelungen fallen.

53

Der Beschwerdeführer zu 3 hat jedoch nicht in substantiierter Weise dargelegt, dass seine berufliche Tätigkeit typischerweise oder auf Grund besonderer Umstände Lagen herbeiführt, in denen er zur Kontakt- und Begleitperson im Sinne des § 1 Abs.6 HbgGDVP wird und von Datenerhebungen nach § 9 Abs.1 Satz 1 Nr.2, § 10 Abs.1 Satz 2 HbgGDVP erfasst werden kann.

54

Das Gesetz definiert in § 1 Abs.6 HbgGDVP das Tatbestandsmerkmal der Kontakt- oder Begleitperson in enger Weise. Vorausgesetzt ist, dass die von dem polizeilichen Eingriff betroffene Person mit der Hauptzielperson der Überwachungsmaßnahme derart in Verbindung steht, dass die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung eine Erhebung der eigenen personenbezogenen Daten der Kontakt- und Begleitperson erfordert. § 9 Abs.1 Satz 1 Nr.2 HbgGDVP verlangt zusätzlich, dass eine Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre. Der Begriff der Kontakt- und Begleitperson ist restriktiv auszulegen (vgl BbgVerfG, LKV 1999, S.450 <457 f>). Vorausgesetzt sind konkrete Tatsachen für einen objektiven Tatbezug und damit für eine Einbeziehung in den Handlungskomplex der Straftatenbegehung, insbesondere eine Verwicklung in den Hintergrund oder das Umfeld der Straftaten (vgl Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S.291 f.).

55

Die Betroffenheit des Beschwerdeführers zu 3 ergibt sich nicht aus seiner Tätigkeit als Strafverteidiger. Die vom Gesetz geforderte besondere Verbindung der Kontakt- und Begleitperson mit potentiellen Straftaten und Straftätern wird nicht allein dadurch hergestellt, dass ein Rechtsanwalt seine Aufgabe der Strafverteidigung erfüllt und sich darauf beschränkt. Allerdings käme eine Datenerhebung bei einem Rechtsanwalt als Kontakt- und Begleitperson beispielsweise in Betracht, wenn er selbst in krimineller Weise in die Handlungen seines Mandanten verstrickt wäre. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Anwalt als Mitwisser in die Pläne der Hauptzielperson zur Vorbereitung, Durchführung oder der späteren Ertragssicherung von Straftaten im Sinne des § 1 Abs.4 HbgGDVP ganz oder teilweise eingeweiht ist, deren Pläne aktiv unterstützt oder als Verbindungsperson handelt (vgl BbgVerfG, LKV 1999, S.451 <457 f>). § 9 Abs.1 Satz 1 Nr.2 HbgGDVP erlaubt insofern die Datenerhebung im Hinblick auf ein Handeln, das nicht in Erfüllung der anwaltlichen Berufspflichten, wohl aber bei Gelegenheit rechtsanwaltlicher Tätigkeit statt findet.

56

Bei der Entscheidung über die Frage, ob ein solcher Fall vorliegt, ist von der Polizei zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung grundsätzlich in den Rechtsanwalt Vertrauen setzt. Die Kennzeichnung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege spiegelt wider, dass die Rechtsordnung auf die vielfältigen Vermittlungsleistungen der Anwaltschaft angewiesen ist. Den besonderen rechtlichen Schutz des zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten bestehenden Vertrauensverhältnisses hat die Polizei bei der Auslegung und Anwendung der Normen zur Datenerhebung zu respektieren. Dementsprechend sind die Überwachungsbehörden beispielsweise gehindert, von einer Vermutung krimineller Kollusion auszugehen.

57

Die Befürchtung des Beschwerdeführers zu 3, allein seine den anwaltlichen Berufspflichten entsprechende Tätigkeit als Strafverteidiger könne dazu führen, so in das Umfeld von Straftaten und Straftätern verwickelt zu sein, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Datenerhebung bei ihm erfüllt sind, ist daher unbegründet. An weiteren Darlegungen des Beschwerdeführers zu 3, wie es trotz der engen Voraussetzungen der Normen zu einer Betroffenheit kommen könnte, fehlt es. Eine eigene Betroffenheit erscheint danach ausgeschlossen.

58

bb) Eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde folgt auch nicht daraus, dass es dem Beschwerdeführer zu 3 unzumutbar wäre, einen Vollzugsakt, sofern dieser überhaupt gegen ihn ergehen könnte, abzuwarten, weil er von ihm keine Kenntnis erlangen würde. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers zu 3 ist rechtlich gesichert, dass die Kontakt- und Begleitperson von möglichen Vollzugsakten Kenntnis erhält.

59

Der Beschwerdeführer zu 3 geht von einer unrichtigen Auslegung des § 9 Abs.3 HbgGDVP aus, wenn er meint, diese Norm sehe nur eine fakultative Benachrichtigung der Betroffenen vor. § 9 Abs.3 HbgGDVP begründet eine Pflicht zur Unterrichtung der von einer Datenerhebung Betroffenen. Diese Pflicht kommt allen zugute, bei denen Daten erhoben werden, so dass diese auch Möglichkeiten haben, den Vollzugsakt anzugreifen. Die verfassungskonforme Auslegung der Norm ergibt, dass dies auch gilt, wenn sich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren an die Datenerhebung anschließt.

60

(1) Erfolgt eine Datenerhebung, wie bei §§ 9, 10 HbgGDVP, nicht offen, ist das Erfordernis der Benachrichtigung für den Rechtsschutz besonders bedeutsam. Nach § 9 Abs.3 Satz 1 HbgGDVP sind Personen, gegen die sich Datenerhebungen richten, nach Abschluss der Maßnahme hierüber zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung geschehen kann. Die Benachrichtigung ist eine Rechtspflicht der Polizei. Nach dem Wortlaut von § 9 Abs.3 Satz 1 HbgGDVP hat eine Unterrichtung der von Maßnahmen der Datenerhebung betroffenen Personen immer zu erfolgen. Die Verwendung des Wortes "sobald" zeigt an, dass die Unterrichtungspflicht nur zeitlich und nur unter der gesetzlich genannten Voraussetzung der Gefährdung des Ermittlungszwecks aufgeschoben werden darf (vgl BVerfGE_100,313 <361>).

61

Der zeitliche Aufschub der Benachrichtigung entfällt, sobald die Annahme, bestimmte Personen würden Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen (§ 9 Abs.1 Satz 1 Nr.2 und § 10 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit § 1 Abs.4 HbgGDVP), nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Sind die fraglichen Straftaten nicht mehr zu verhüten oder ist eine Vorsorge für ihre Verfolgung nicht mehr zu treffen, lebt die Unterrichtungspflicht auf. Allerdings kann das durch die Maßnahmen verfolgte Ziel gegebenenfalls langfristig angelegt sein. Die Benachrichtigungspflicht kann sich dadurch entsprechend hinausschieben, fällt aber nicht fort. Bei der Anwendung der Norm wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Polizei auch im Hinblick darauf bedeutsam, dass das Hinausschieben der Benachrichtigung die Rechtsschutzmöglichkeit verzögert. Ein solches Hinausschieben ist deshalb auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen.

62

(2) Eine Benachrichtigung unterbleibt nach § 9 Abs.3 Satz 2 HbgGDVP, wenn sich an den auslösenden Sachverhalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt. § 9 Abs.3 HbgGDVP betrifft auch Fälle, in denen das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die potentiellen Straftäter im Sinne des § 9 Abs.1 Satz 1 Nr.2 HbgGDVP eingeleitet wird und Maßnahmen der Datenerhebung gegen die Kontakt- und Begleitperson ergriffen worden sind. Der Wortlaut des § 9 Abs.3 Satz 2 HbgGDVP sieht vor, dass in diesem Fall eine Unterrichtung durch die Polizei unterbleibt. Die gebotene verfassungskonforme Auslegung ergibt jedoch, dass eine Unterrichtung zu erfolgen hat, sobald Zwecke der Strafverfolgung nicht mehr entgegenstehen.

63

Eine Benachrichtigung erfolgt im Falle eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens regelmäßig durch die Ermittlungsbehörde, aber zwingend nur an den Beschuldigten (§ 170 Abs.2 Satz 2 StPO). Erfolgt keine Mitteilung an sonstige von der Datenerhebung Betroffene, entfällt für diese eine Möglichkeit, sich gegen eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wehren. Dieses Grundrecht umfasst in Verbindung mit Art.19 Abs.4 GG das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes (vgl BVerfGE_65,1 <70 f>; BVerfGE_100,313 <361, 364> zu Art.10 GG). Der mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbundene Anspruch auf Rechtsverfolgung ist nicht auf den gerichtlichen Rechtsschutz begrenzt. Er verwirklicht sich insbesondere auch durch Rechte auf Löschung oder Berichtigung gegenüber der Informationen und Daten verarbeitenden Stelle (vgl BVerfGE_100,313 <361> , dort im Rahmen von Ausführungen zu Art.10 GG). Gerichtlicher Rechtsschutz ist eine ergänzende Absicherung der Abwehr rechtswidriger Eingriffe. Zu ihr gehört die Möglichkeit der Kenntnis einer Datenerhebung.

64

Bei verfassungskonformer Interpretation des § 9 Abs.3 HbgGDVP ist dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung getragen. Ein Anlass zu der in § 9 Abs.3 HbgGDVP vorgesehenen Rücksichtnahme auf Bedürfnisse der Strafverfolgung besteht nur, sofern und solange die Geheimhaltung für die Zwecke der Strafverfolgung erforderlich ist. Ist dies nicht mehr der Fall, gibt es keinen rechtfertigenden Grund zur Aufrechterhaltung der in § 9 Abs.3 HbgGDVP enthaltenen Sperre der im Übrigen unbeschränkt vorgesehenen Benachrichtigungspflicht. Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann gelegentlich sogar schon vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens entfallen, sobald nämlich absehbar ist, dass die sachgerechte Durchführung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Benachrichtigung nicht gefährdet werden kann (vgl MVVerfG, LKV 2000, S.345 <355>). Eine Gefährdung scheidet auch aus, wenn die erhobenen Daten nicht in das Ermittlungsverfahren eingeführt worden sind.

65

Da die vom HbgGDVP erfasste Datenerhebung auf dessen Basis erfolgt, richten sich Sicherungen für die Kenntnisgewährung gegenüber dem Betroffenen grundsätzlich nach Landespolizeirecht. Die Polizei wird gegebenenfalls mit der Strafverfolgungsbehörde abzustimmen haben, wie die Benachrichtigung sicherzustellen ist. Die rechtliche Verantwortung des Landes für eine realisierbare Möglichkeit verfahrensmäßigen Grundrechtsschutzes der von Datenerhebungen Betroffenen wird jedenfalls nicht dadurch hinfällig, dass die Daten zwischenzeitlich zusätzlich auch für Zwecke der Strafverfolgung genutzt worden sind. Dieser Zweck mag dazu führen, die Möglichkeit des Rechtsschutzes aufzuschieben, rechtfertigt aber nicht, sie zu vereiteln.

66

Spätestens nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens lebt daher die polizeirechtliche Benachrichtigungspflicht wieder auf, sofern das Informationsinteresse der Betroffenen weiter gegeben ist. Hat der Betroffene allerdings schon im Zuge des Ermittlungsverfahrens Kenntnis von der Maßnahme erhalten, besteht kein rechtlich schutzwürdiges Interesse an einer Benachrichtigung mehr (vgl auch MVVerfG, LKV 2000, S.345 <354>).

67

Haben sich Datenerhebungen gegen Kontakt- und Begleitpersonen gerichtet, kommt auch ihnen die Benachrichtigungspflicht des § 9 Abs.3 HbgGDVP zugute. Dies gilt auch für den Beschwerdeführer zu 3. Die Möglichkeit von Rechtsschutz ist daher gesichert.

68

2. Soweit die Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs.2 HbgGDVP rügen, betrifft dies die Ermächtigung zu Datenerhebungen in oder aus Wohnungen. § 10 Abs.2 HbgGDVP ermöglicht den Einsatz der in § 10 Abs.1 HbgGDVP vorgesehenen Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen nur in Fällen des § 9 Abs.1 Satz 1 Nr.1 HbgGDVP, also zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person. Die Sonderregelung für Datenerhebungen bei Kontakt- und Begleitpersonen gilt insoweit nicht.

69

Die Beschwerdeführer haben nicht in substantiierter Weise dargelegt, dass sie von einer derartigen Datenerhebung betroffen sein können. Die Annahme, sie seien wie jede andere Person auch von der Norm erfasst, da sie jedermann betreffe, reicht für die Zulässigkeit einer Normverfassungsbeschwerde nicht.

70

Die Rüge, § 10 Abs.2 HbgGDVP verletze den Wesensgehalt des Art.13 GG aF, ist daher ebenso unzulässig wie die in der später erfolgten Ausdehnung der Verfassungsbeschwerde auf den neu gefassten Art.13 GG erhobene Rüge, diese Neuregelung verstoße gegen Art.79 Abs.3 GG und könne deshalb keine Rechtsgrundlage für § 10 Abs.2 HbgGDVP sein."

 

Auszug aus BVerfG B, 25.04.01, - 1_BvR_1104/92 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.47 ff

§§§

01.020 Prinz Ernst August

  1. BVerfG,     B, 26.04.01,     – 1_BvR_758/97 –

  2. www.BVerfG.de NJW_01,1921 -26

  3. GG_Art.5 Abs.2; BGB_§_823, BGB_§_1004; KUG_§_22, KUG_§_23 Abs.1 Nr.1 KUG_§_23 Abs.2

  4. Veröffentlichung von Bildern / Prinz Ernst August von Hannover / Prinzessin Caroline von Monaco / Untersagung / Einzelfallprüfung / Pressefreiheit / Schranken / absolute / relative Personen der Zeitgeschichte / Kunsturhebergesetz / Zeitgeschichte.

T-01-06

LB 1) Die Veröffentlichung von Bildern von Prinz Ernst Ausgust von Hannover im Zusammenhang mit Prinzessin Caroline von Monaco durfte nicht grundsätzlich untersagt werden. Vielmehr sind hier die besonderen Umstände des Einzelfalls zu überprüfen.

Abs.19

LB 2) Die Pressefreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet gemäß Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die §§ 22 ff KUG. U b o ; . ! ·÷Ý÷Ó÷Ë÷ã÷?÷¼÷ƒ÷Æ÷à÷x÷k÷^÷Q÷D÷e 8S 6M gewährleistet. Sie findet gemäß Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die §§ 22 ff KUG.

Abs.21

LB 3) Unter "absoluten Personen der Zeitgeschichte" werden Personen verstanden, die unabhängig von einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis auf Grund ihres Status oder ihrer Bedeutung allgemein öffentliche Aufmerksamkeit finden und deren Bildnis die Öffentlichkeit deshalb um der dargestellten Person willen der Beachtung wert findet. Die Benutzung ist verfassungsrechtlich im Grundsatz unbedenklich, aber im Einzelfall nur tragfähig, sofern die Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten bei der Rechtsanwendung nicht unterbleibt (vgl BVerfGE_101,361 <392>).

Abs.24

LB 4) Bei "relativen Personen der Zeitgeschichte handelt es sich um eine lediglich abkürzende Ausdrucksweise für eine nur im Grundsätzlichen vorgenommene, aber stets im Einzelfall zu überprüfende Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten. Hiernach wird das die Veröffentlichung eines Bildnisses rechtfertigende Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nicht wie bei der absoluten Person der Zeitgeschichte generell, sondern nur im Zusammenhang mit einem bestimmten zeitgeschichtlichen Vorgang anerkannt. Als zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne von § 23 Abs.1 Nr.1 KUG wird in der Rechtsprechung insoweit auch die vertraute Begleitung einer absoluten Person der Zeitgeschichte in der Öffentlichkeit angesehen. Dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Abs.26

LB 5) Nach der Systematik des Kunsturhebergesetzes sind die Informationsinteressen der Öffentlichkeit bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" zu beachten (vgl BVerfGE_101,361 <391>).

Abs.26

LB 6) Das weitere dem Grundrechtseinfluss offen stehende Tatbestandsmerkmal des "berechtigten Interesses" in § 23 Abs.2 KUG bezieht sich von vornherein nur auf Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung und kann folglich die Belange der Pressefreiheit nicht mehr ausreichend aufnehmen, wenn diese zuvor bei der Abgrenzung des Personenkreises außer Acht gelassen worden sind. Deshalb ist darauf zu achten, dass die gebotene Berücksichtigung der Pressefreiheit nicht durch den formelhaften Einsatz der Rechtsfiguren der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte und darauf bezogene starre Grenzziehungen vereitelt wird.

Abs.31

LB 7) Auch unterhaltenden Zeitschriftenbeiträgen kann zeitgeschichtliche Bedeutung iSd § 23 KUG zuzuschreiben sein. Nimmt ein Gericht die Prüfung, ob ein Ereignis zeitgeschichtliche Bedeutung hat, in einer nicht der Reichweite der Pressefreiheit genügenden Weise vor, wird es dem Schutzbereich der Pressefreiheit nicht gerecht.

Abs.33

LB 8) Eine unterschiedliche Behandlung von kontextbezogenen Fotos je nachdem, ob sich die absolute Person der Zeitgeschichte zusammen mit dem Begleiter auf dem Foto befindet oder nur ein Ausschnitt mit dem Begleiter allein gewählt worden ist, beruht auf der Feststellung eines formalen Umstandes, der auf die Intensität einer Persönlichkeitsbeeinträchtigung nicht notwendig Einfluss hat und der den Weg zu der stets gebotenen Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter verbaut.

Abs.35

LB 9) Eine Beschränkung der Presseveröffentlichung auf Fotos, die aus der konkreten Begleitsituation stammen und zugleich die begleitete Person abbilden, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Begleitperson nur auf diese Weise auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß begrenzt werden könnte, ohne zugleich das berechtigte Anliegen der Pressefreiheit zu verkürzen.

Abs.38

LB 10) Ist die Veröffentlichung eines Portraitfoto ist kontextneutral und scheidet eine Änderung des Sinngehalts des Fotos durch eine Verwendung im Rahmen einer anderweitigen Presseberichterstattung aus wird seine Veröffentlichung das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Begleitperson grundsätzlich nicht stärker beeinträchtigen als ein die begleitete Person mit abbildendes Foto aus der Begleitsituation.

Abs.42

LB 11) Zur Funktion der Titelseite.

Abs.45

LB 12) Gibt es kontextbezogene Fotos über ein berichtensfähiges Ereignis, so dürfen sie veröffentlicht werden. Gleiches gilt aber für Fotos aus anderem Kontext mit einem dem neuen Sachzusammenhang gerecht werdenden Aussagegehalt, wenn dadurch keine zusätzliche Persönlichkeitsverletzung bewirkt wird.

Abs.45

LB 13) Das Grundgesetz schützt vor verfälschenden Darstellungen der Presse, verleiht dem Einzelnen aber nicht einen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit in einer bestimmten Weise dargestellt zu werden (vgl BVerfGE_99,185 <194>).

Abs.48

LB 14) Die Presse darf selbst über die Art der Darstellung entscheiden (vgl BVerfGE_101,361 <389>).

Abs.48

LB 15) Auch die Form der Glosse gehört zu den pressegemäßen Darstellungsformen, deren Nutzung deshalb am Maßstab der Pressefreiheit zu beurteilen ist. Eine satirisch-glossierende Verarbeitung von Ereignissen, über die früher in der Presse berichtet worden ist, genießt unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit ebenso Schutz wie die übliche Ereignisberichterstattung. Ist das Interesse der Presse an der Bebilderung von Ereignissen grundsätzlich anzuerkennen, bedarf es der Begründung, warum dies bei einer ereignisbezogenen Glosse anders sein soll.

Abs.51

LB 16 Ein Ereignis der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG ist nicht der Bericht der Presse, sondern das darin Berichtete. Ist dieses nur spekulativer Natur, so rechtfertigt es nicht eine Beeinträchtigung des Rechts am Bildnis einer Person, auf die sonst kein hinreichendes Informationsinteresse gerichtet ist.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Die Verfassungsbeschwerde-Verfahren werden verbunden.

2) Die Urteile des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 8. September 1998 - 7 U 48/98 - und des Landgerichts Hamburg vom 6.Februar 1998 - 324 O 697/97 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 2 in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

3) Die Urteile des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 8.September 1998 - 7 U 82/98 - und des Landgerichts Hamburg vom 29.Mai 1998 - 324 O 137/98 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 3 in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

4) Die Urteile des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 26.Oktober 1999 - 7 U 48/99 - und des Landgerichts Hamburg vom 19.Februar 1999 - 324 O 521/98 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 4 in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

5) Die Urteile des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 7.Dezember 1999 - 7 U 111/99 - und des Landgerichts Hamburg vom 25.Juni 1999 - 324 O 169/99 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 5 in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

6) Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 wird nicht zur Entscheidung angenommen.

7) Die Freie und Hansestadt Hamburg hat den Beschwerdeführerinnen zu 2 bis 5 die notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-01-06Pressefreiheit

17

"2. Die angegriffenen Entscheidungen betreffend die Beschwerdeführerinnen zu 2 bis 5 verstoßen gegen Art.5 Abs.1 Satz 2 GG.

18

a) Durch die Untersagung der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Fotos wird der Schutzbereich der Pressefreiheit berührt. Im Zentrum der grundrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit steht das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form des Publikationsorgans frei zu bestimmen. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Der Schutz der Pressefreiheit umfasst auch die Abbildung von Personen (vgl BVerfGE_101,361 <389>). Ob daneben auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art.5 Abs.1 Satz 1 GG betroffen ist, bedarf keiner Entscheidung, da sich dabei keine abweichende Beurteilung ergeben würde.

19

b) Die Pressefreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet gemäß Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die §§ 22 ff KUG. Auf sie - in Verbindung mit den §§ 823, 1004 BGB - haben die Gerichte sämtliche angegriffenen Entscheidungen gestützt. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Sie müssen dabei jedoch Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt wird. Geht es - wie hier - um Bildnisveröffentlichungen, ist ein möglichst schonender Ausgleich zwischen dem Grundrecht der Pressefreiheit auf der einen und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten auf der anderen Seite herzustellen. Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgütern, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften vorzunehmen ist und die besonderen Umstände des Falls zu berücksichtigen hat. Da der Rechtsstreit aber ungeachtet des grundrechtlichen Einflusses ein privatrechtlicher bleibt und seine Lösung in dem - grundrechtsgeleitet interpretierten - Privatrecht findet, ist das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt nachzuprüfen, ob die Zivilgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben. Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt insbesondere dann vor, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (vgl BVerfGE_101,361 <388>; stRspr).

20

c) Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische Oberlandesgericht gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Prinzessin Caroline von Monaco eine absolute Person der Zeitgeschichte ist und der Kläger als ihr Begleiter als relative Person der Zeitgeschichte anzusehen ist, wenn er zusammen mit ihr in der Öffentlichkeit auftritt. Eine solche Begleitung bewerten die Gerichte als Ereignis der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG, die eine einwilligungsfreie Veröffentlichung von Bildnissen (auch) des Begleiters rechtfertigen kann. Es ist im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte ihre Entscheidungen in Anlehnung an die Argumentationen zu den Rechtsfiguren der so genannten absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte begründet und die rechtliche Beurteilung der Begleitsituation in diesen Kontext gerückt haben.

21

aa) Es begegnet insbesondere keinen verfassungsrechtlichen Einwänden, dass die Gerichte den Kläger des Ausgangsverfahrens nicht als "absolute Person der Zeitgeschichte" angesehen haben. Dieser Begriff ergibt sich zwar weder zwingend aus § 23 Abs.1 Nr.1 KUG noch aus der Verfassung. Als abkürzende Ausdrucksweise für Personen verstanden, die unabhängig von einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis auf Grund ihres Status oder ihrer Bedeutung allgemein öffentliche Aufmerksamkeit finden und deren Bildnis die Öffentlichkeit deshalb um der dargestellten Person willen der Beachtung wert findet, ist seine Benutzung verfassungsrechtlich im Grundsatz unbedenklich, aber im Einzelfall nur tragfähig, sofern die Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten bei der Rechtsanwendung nicht unterbleibt (vgl BVerfGE_101,361 <392>).

22

Vorliegend haben sich die Gerichte an dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit orientiert und einen hohen Bekanntheitsgrad des Klägers nicht etwa angezweifelt. Der Bekanntheitsgrad einer Person ist aber nur ein Anhaltspunkt eines zeitgeschichtlichen Interesses unter mehreren möglichen, der für sich allein schon deshalb nicht aussagekräftig ist, weil die Bekanntheit auch mit einem punktuellen Ereignis verknüpft sein kann. Keinesfalls ist es verfassungsrechtlich geboten, sich allein am Bekanntheitsgrad einer Person zu orientieren. Deshalb sind - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin in dem Verfahren 1 BvR 182/00 - die Ergebnisse von Meinungsumfragen kein hinreichender Anhaltspunkt der Beurteilung. Im Übrigen kann aus dem Faktum der öffentlichen Bekanntheit noch nicht ein normativ schutzwürdiges Interesse an einer umfassenden Information über den Betroffenen folgen. Zwar ist von der Pressefreiheit das Recht der Presse gedeckt, nach publizistischen Kriterien zu entscheiden, was öffentliches Interesse beansprucht. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Presse erfasst aber nicht auch die Entscheidung, wie das Informationsinteresse im Zuge der Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern einzuschätzen und der Ausgleich zwischen den betroffenen Rechtsgütern herzustellen ist. Daher kommt es auf die Einschätzung der Presse allein auch nicht an, wenn - wie bei der Einordnung als absolute Person der Zeitgeschichte - zugleich Weichen für die Abwägung zwischen Pressefreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht gestellt werden.

23

Indem die Gerichte maßgeblich die "Bedeutung", die Stellung oder Leistung der betreffenden Person als Anknüpfungspunkt "berechtigter" Informationsinteressen heranziehen und insoweit einen normativen Maßstab in die zu treffende Beurteilung mit einfließen lassen, tragen sie der Pressefreiheit Rechnung und können zugleich den Persönlichkeitsschutz berücksichtigen, ohne presserechtliche Belange einseitig zu bevorzugen. Ob die Einschätzung vorliegend auch hätte anders ausfallen können, bedarf keiner Entscheidung. Die Bejahung oder - wie hier - die Verneinung eines besonderen zeitgeschichtlichen Interesses an der Person des Klägers ist grundsätzlich eine Frage fachgerichtlicher Tatsachenbewertung. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der von den Gerichten getroffenen Entscheidungen an. Dahinstehen kann deshalb auch, ob die Abwägung auf Grund zwischenzeitlich erfolgter, in der Öffentlichkeit intensiv diskutierter Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Kläger heute zur Bejahung seiner Eigenschaft als absolute Person der Zeitgeschichte führen würde.

24

bb) Im Ausgangspunkt ist auch die von der Rechtsprechung weiter verwandte Kategorie der so genannten relativen Person der Zeitgeschichte verfassungsrechtlich tragfähig. Auch hierbei handelt es sich um eine lediglich abkürzende Ausdrucksweise für eine nur im Grundsätzlichen vorgenommene, aber stets im Einzelfall zu überprüfende Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten. Hiernach wird das die Veröffentlichung eines Bildnisses rechtfertigende Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nicht wie bei der absoluten Person der Zeitgeschichte generell, sondern nur im Zusammenhang mit einem bestimmten zeitgeschichtlichen Vorgang anerkannt. Als zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne von § 23 Abs.1 Nr.1 KUG wird in der Rechtsprechung insoweit auch die vertraute Begleitung einer absoluten Person der Zeitgeschichte in der Öffentlichkeit angesehen (sog Begleiterrechtsprechung, vgl OLG Hamburg, ZUM 1990, S.244 f; LG Hamburg, ZUM 1998, S.852 <858>; Soehring, Presserecht, 3. Aufl., 2000, Rn. 21.7 b mwN; Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, Rn.850 mwN). Dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Bildnisse von der Begleitperson dürfen danach verbreitet werden, wenn diese zusammen mit dem betreffenden Partner in der Öffentlichkeit auftritt oder wenn sie mit ihm zusammen oder an seiner statt öffentlich repräsentiert (vgl Soehring, Presserecht, 3.Aufl., 2000, Rn.21.7 b). Maßgebend wird ein abgeleitetes Interesse der Öffentlichkeit, das nicht um der abgebildeten Person willen, sondern wegen des Interesses an der absoluten Person der Zeitgeschichte besteht, das aber auf die Person ausstrahlt, von dem jene in der Öffentlichkeit begleitet wird.

25

Allerdings kann die Begleitsituation sich, etwa auf Grund des Verhaltens der Begleitperson, derart entwickeln, dass auch ein anerkennenswertes Berichterstattungsinteresse an diesem Verhalten und damit eigenständig an der Begleitperson entsteht. Da die Begriffe der absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte nur vereinfachende Kürzel sind, nicht aber rechtlich klar begrenzte Tatbestände umschreiben, gibt es keine absolute Grenzmarkierung, sondern auch Übergangszonen, etwa in Situationen, in denen das Berichterstattungsinteresse an der Begleitperson sich verselbständigt.

26

d) Nach der Systematik des Kunsturhebergesetzes sind die Informationsinteressen der Öffentlichkeit bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" zu beachten (vgl BVerfGE_101,361 <391>). Das weitere dem Grundrechtseinfluss offen stehende Tatbestandsmerkmal des "berechtigten Interesses" in § 23 Abs. 2 KUG bezieht sich von vornherein nur auf Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung und kann folglich die Belange der Pressefreiheit nicht mehr ausreichend aufnehmen, wenn diese zuvor bei der Abgrenzung des Personenkreises außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG, aaO, S.391 f.). Deshalb ist darauf zu achten, dass die gebotene Berücksichtigung der Pressefreiheit nicht durch den formelhaften Einsatz der Rechtsfiguren der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte und darauf bezogene starre Grenzziehungen vereitelt wird.

27

Der Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit wird Rechnung getragen, wenn der Begriff der Zeitgeschichte in § 23 Abs.1 Nr.1 KUG nicht gegenstandsbezogen, etwa allein auf Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung, verstanden, sondern vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her bestimmt wird (so ausdrücklich BVerfGE_101,361 <392>). Auch unterhaltende Beiträge sind nicht von vornherein ausgenommen (vgl BVerfGE_101,361 <392>). Die Frage, ob ein Medienbericht einen besonderen Bezug zum demokratischen Prozess hat oder nur unterhaltender Art ist, entscheidet nicht über den verfassungsrechtlichen Schutz des Informationsinteresses. Sie kann aber bei der Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern bedeutsam werden (vgl BVerfGE_34,269 <283> ; stRspr). Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade bei unterhaltenden Beiträgen die Personalisierung ein wichtiges Mittel zur Erregung der Aufmerksamkeit der Leser ist (vgl BVerfGE_101,361 <390>).

28

Die Anerkennung eines öffentlichen Informationsinteresses bedeutet allerdings nicht, dass der Presse ein schrankenloser Zugriff auf Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte eröffnet ist. Vielmehr gibt § 23 Abs.2 KUG den Gerichten, wenn sie verfassungsrechtlich tragfähig von einem Ereignis der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG ausgegangen sind, ausreichend Möglichkeit, die Anforderungen von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG an den Schutz der Persönlichkeit im Rahmen der Rechtsgüterabwägung zur Geltung zu bringen (vgl. auch insoweit ausdrücklich BVerfGE_101,361 <393>). §§ 22, 23 KUG dienen dem Persönlichkeitsschutz der Abgebildeten, nicht etwa dem Schutz des Urheberrechts der Abbildenden. Sie wirken insbesondere gegenüber der Presse, indem sie den Abgebildeten vor der Veröffentlichung seines Bildnisses, also vor der Verbreitung eines visuellen Eindrucks von der Person schützen, über die berichtet wird.

29

e) Dem im Kunsturhebergesetz verankerten Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten genügen die in den Verfahren zu 2 bis 5 angegriffenen Entscheidungen nicht.

30

aa) Die Fachgerichte haben in der im Verfahren 1 BvR 182/00 angegriffenen Entscheidung den Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung des Bildnisses deshalb bejaht, weil der Kläger nicht als absolute Person der Zeitgeschichte einzuordnen sei und deshalb die einwilligungslose Veröffentlichung nicht hinzunehmen habe. Das Bildnis habe kein tatsächliches Geschehen von zeitgeschichtlicher Bedeutung gezeigt und auch keine Wortberichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis illustriert. Diese Einschätzung der Fachgerichte ist vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob sie Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, oder auf einer unrichtigen Einschätzung des Gewichts der unterschiedlichen, gegeneinander abzuwägenden Rechtspositionen beruhen (vgl BVerfGE_42,163 <169>; BVerfGE_101,361 <388>).

31

Ob der Gegenstand der Berichterstattung als zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne des § 23 KUG dem besonderen Schutz der Pressefreiheit unterliegt, ist verfassungsgerichtlich überprüfbar. Die Gerichte haben zunächst geprüft und verneint, ob der Kläger eine absolute Person der Zeitgeschichte sei. Das Ergebnis ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Gerichte haben aber nicht weiter geprüft, ob gleichwohl ein berechtigtes Informationsinteresse anzunehmen wäre. Sie haben das Vorliegen eines "tatsächlichen Geschehens von zeitgeschichtlicher Bedeutung" ohne nähere Begründung und offenbar in der irrigen Auffassung verneint, dass unterhaltenden Zeitschriftenbeiträgen keine zeitgeschichtliche Bedeutung zuzuschreiben sei. Nimmt ein Gericht die Prüfung, ob ein Ereignis zeitgeschichtliche Bedeutung hat, in einer nicht der Reichweite der Pressefreiheit genügenden Weise vor, wird es dem Schutzbereich der Pressefreiheit nicht gerecht. Da der Bericht dem Skiurlaub in den Flitterwochen des Klägers mit Prinzessin Caroline von Monaco galt - einem jedenfalls in der Unterhaltungspresse und bei ihren Lesern auf nachhaltiges Informationsinteresse stoßenden Ereignis -, hätte auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung dieser Gerichte weiter geprüft werden müssen, ob dieses Informationsinteresse auf Grund der Situation vertrauter Begleitung von Prinzessin Caroline von Monaco auch im Hinblick auf den Kläger zu bejahen gewesen wäre. Der Bericht der Beschwerdeführerin und die ihn ergänzenden Fotos galten unstreitig einer solchen Begleitsituation und stammten eindeutig aus deren Kontext. Der Kläger hat die Veröffentlichung der anderen in dem Bericht veröffentlichten Fotos dementsprechend auch gar nicht beanstandet, sondern eine Persönlichkeitsverletzung ausschließlich im Hinblick auf ein einzelnes Foto dargetan, auf dem Prinzessin Caroline von Monaco nicht zugleich abgelichtet war, so dass - isoliert und formal betrachtet - keine Begleitsituation abgebildet war. Aus den auf diesem Foto erkennbaren und im Zusammenhang mit dem Bericht stehenden Begleitumständen sowie den anderen Fotos ergibt sich jedoch, dass es sich um ein ereignisbezogenes Foto von einer Situation handelt, in der jemand als vertraute Begleitperson einer absoluten Person der Zeitgeschichte aufgetreten ist (vgl. insoweit auch LG Hamburg, ZUM 1998, S.852 <858>). Es stammt - für jeden Betrachter bei einem vergleichenden Blick auf die anderen Bilder ohne weiteres erkennbar - aus der Serie der Fotos, die während der Flitterwochen des Klägers mit Prinzessin Caroline von Monaco aufgenommen worden sind.

32

Das Persönlichkeitsrecht des Klägers wäre nach der Begleiter-Rechtsprechung der Fachgerichte nicht verletzt worden, wenn das veröffentlichte Foto des öffentlichen Auftretens des Klägers mit Prinzessin Caroline von Monaco auch diese abgebildet hätte. Es ist verfassungsrechtlich jedoch nicht nachvollziehbar, wieso ein Persönlichkeitsverstoß allein darin liegt, dass auf einem der im Übrigen hinsichtlich einer Begleitsituation identischen Fotos nur der Kläger abgebildet ist. Darauf bezogene Gründe finden sich in den angegriffenen Entscheidungen nicht. Das Oberlandesgericht verneint das Recht der Beschwerdeführerin zur Abbildung, indem es das Foto in die Kategorie "beliebiger", den Kläger zeigenden Abbildungen ordnet, ohne auch nur zu berücksichtigen, dass es aus dem Kontext des Ereignisses stammt, über das berichtet wird. Dass der Kläger auf ihm allein abgebildet wird, spricht für sich nicht dafür, dass sein Persönlichkeitsrecht anders betroffen und damit stärker beeinträchtigt ist als bei einer Abbildung zusammen mit der Prinzessin Caroline von Monaco.

33

Eine unterschiedliche Behandlung von derartigen kontextbezogenen Fotos je nachdem, ob sich die absolute Person der Zeitgeschichte zusammen mit dem Begleiter auf dem Foto befindet oder nur ein Ausschnitt mit dem Begleiter allein gewählt worden ist, beruht auf der Feststellung eines formalen Umstandes, der auf die Intensität einer Persönlichkeitsbeeinträchtigung nicht notwendig Einfluss hat und der den Weg zu der stets gebotenen Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter verbaut. Unterbleibt eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Abwägung, fehlt es an einer hinreichenden Rechtfertigung des Eingriffs in die Pressefreiheit.

34

bb) Auch in dem Verfahren 1 BvR 1918/98 haben die Gerichte dem Gewicht des Grundrechts der Pressefreiheit in Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht hinreichend Rechnung getragen. Sie haben ein öffentliches Interesse an der Unterrichtung über die Begleitsituation zwar anerkannt. Sie gehen aber in Übereinstimmung mit ihrer ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dabei nur solche Abbildungen des Begleiters veröffentlicht werden dürfen, die im ausschließlichen Zusammenhang mit dieser Situation stehen (vgl OLG Hamburg, ZUM 1990, S.244 f; LG Hamburg, ZUM 1998, S.852 <858>). Auch dies ist eine sehr formale Betrachtungsweise, die dem berechtigten Interesse der Presse an der Bebilderung ihrer Berichte nicht hinreichend Rechnung trägt und die Möglichkeit einer Abwägung des Informationsinteresses mit dem Persönlichkeitsrecht im Einzelfall von vornherein verbaut.

35

(1) Ergibt die Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise, dass die Presse über ein Begleitereignis berichten und dabei auch die Person des Begleiters zum Gegenstand der Berichterstattung wählen und ebenfalls ein Bildnis der Begleitperson veröffentlichen darf, ist das Persönlichkeitsrecht der Begleitperson entsprechend eingeschränkt. Dabei wird das Persönlichkeitsrecht durch die Abbildung der Person, also ihre visuelle Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit, berührt, ohne dass die Intensität der möglichen Persönlichkeitsbeeinträchtigung notwendig davon beeinflusst wird, ob und wie das für die Abbildung konkret verwendete Foto entstanden ist. Eine Beschränkung der Presseveröffentlichung auf Fotos, die aus der konkreten Begleitsituation stammen und zugleich die begleitete Person abbilden, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Begleitperson nur auf diese Weise auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß begrenzt werden könnte, ohne zugleich das berechtigte Anliegen der Pressefreiheit zu verkürzen. Vorauszusetzen wäre, dass der in der Bildberichterstattung liegende, grundsätzlich zulässige Persönlichkeitseingriff dadurch geringer würde, dass die begleitete Person mit abgebildet würde und das Foto aus dem Begleitereignis selbst stammte. Dazu jedoch haben die Gerichte nichts festgestellt. Sie haben vielmehr die Grenze des rechtlich Zulässigen generalisierend und formal so gezogen, dass das Fehlen einer Abbildung der Begleitsituation mit der begleiteten Person den Ausschlag für die Rechtswidrigkeit gibt. Damit haben sie die Notwendigkeit einer auf den konkreten Fall bezogenen Abwägung verkannt.

36

(2) Bei der Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit ist zu berücksichtigen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Zusammenhang mit Bildnisveröffentlichungen auf verschiedene Weise beeinträchtigt werden kann: So mag bereits eine konkrete Abbildung als solche einen eigenständigen Verletzungseffekt haben, etwa weil der Betreffende in einer besonders unglücklichen Situation oder besonders unvorteilhaft dargestellt wird oder es sich um ein Bildnis aus der Intimsphäre handelt. Des Weiteren kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Bildnis aus seinem Kontext gerissen und in einen anderen gestellt wird, wenn sich also durch den Wechsel des Kontextes der Sinngehalt der Bildaussage erheblich ändert (vgl BVerfGE_101,361 <381 f> ), etwa weil von der Begleitung abgelenkt und auf eine andere Situation hingeführt wird. Eine solche Änderung der Aussage muss zwar nicht stets, kann aber im konkreten Fall das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, dessen Schutz nur im Kontext der Begleitsituation eingeschränkt ist. Zusätzlich aber kann eine solche Aussageänderung auch Auswirkungen auf die Schutzwirkungen der Pressefreiheit haben. Ein den Sinngehalt der Aussage verfälschendes, also die Leser der Zeitung oder Zeitschrift irreführendes Foto genießt keinen Schutz als Mittel zur Visualisierung eines Geschehens.

37

(3) Solche Aspekte spielen aber keine Rolle, wenn der ursprüngliche Kontext, aus dem die Abbildung stammt, gar nicht zu erkennen oder wenn er so neutral ist, dass er den Aussagegehalt des Fotos in dem neuen Kontext nicht beeinflusst oder jedenfalls nicht verfälscht. Die Veröffentlichung kontextneutraler Bildnisse als solche dürfte insoweit regelhaft keine stärkere Persönlichkeitsbeeinträchtigung bewirken als ein den Begleitkontext wiedergebendes Foto.

38

So dürfte es regelhaft bei der Veröffentlichung klassischen Portraitfotos liegen, deren Verwendung in dem Verfahren 1 BvR 1918/98 beanstandet wurde. Ist ein solches Foto in einen aussagelosen Kontext gefügt und insoweit also kontextneutral und scheidet darüber hinaus eine Änderung des Sinngehalts des Fotos durch eine Verwendung im Rahmen einer anderweitigen Presseberichterstattung aus, wird seine Veröffentlichung das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Begleitperson grundsätzlich nicht stärker beeinträchtigen als ein die begleitete Person mit abbildendes Foto aus der Begleitsituation. Insbesondere ist mit dem Blick auf die Intensität einer möglichen Persönlichkeitsbeeinträchtigung in der Regel nicht erheblich, ob das Foto sich - wie ein Passbild - auf den Kopf und den Körperoberteil konzentriert oder ob auch andere Körperteile abgebildet werden. Aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel unwesentlich ist ebenfalls, aus welchem Anlass das Foto gefertigt wurde. Entscheidend ist vielmehr, ob es in dem Sinne kontextneutral ist, dass die Verwendung in einem anderen Zusammenhang nicht zusätzliche Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts bewirkt, die durch die Begleitsituation nicht gerechtfertigt sind. Dies ist in der Rechtsprechung auch schon teilweise anerkannt. So ist die Presse bei einem Wortbericht über ein zeitgeschichtliches Ereignis berechtigt, die an dem Ereignis beteiligten Personen dem Leser im Bild - in Form eines neutralen Portraitfotos - vorzustellen, auch wenn die hierfür verwendete Aufnahme bei anderer Gelegenheit entstanden ist und das zeitgeschichtliche Ereignis selbst auf dem Foto nicht zum Ausdruck kommt (vgl LG Hamburg, AfP 1999, S.523 <524> mwN; vgl auch Frömming/Peters, NJW 1996, S.958 <961>).

39

Die Möglichkeit der Verwendung kontextneutraler oder kontextgerechter Abbildungen kann dem Persönlichkeitsschutz der Abgebildeten einerseits und der Pressefreiheit andererseits auch dadurch Rechnung tragen, dass die Anlässe für die Presse verringert werden, über berichtsfähige Ereignisse ständig neue Fotos zu erstellen. Die bisherige Rechtsprechung führt angesichts des für die Presse im Medienwettbewerb bestehenden Visualisierungsdrucks dazu, dass Pressefotografen bei potentiell berichtsfähigen Ereignissen mit einer Begleitperson um stets neue Fotos bemüht sein müssen. Die von Prominenten vielfach beklagten erheblichen Belästigungen durch Pressefotografen werden zwar nicht gänzlich entfallen, können aber abgemildert werden, wenn die Presse zur Bebilderung von Berichten auch bei Begleitpersonen auf früher hergestellte Fotos zurückgreifen darf. Dadurch wird dem Anliegen des Persönlichkeitsschutzes und der Pressefreiheit gleichermaßen genügt.

40

(4) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätten die Gerichte im Einzelfall prüfen müssen, ob das Persönlichkeitsrecht des Klägers trotz Wahl eines kontextneutralen Fotos in einer von der Pressefreiheit nicht mehr gedeckten Weise verletzt worden ist. Der Umstand, dass nur der Kläger abgebildet war, hätte keine ausschlaggebende Bedeutung gehabt (siehe oben aa). Bei der Bewertung der Intensität des Eingriffs hätten die Gerichte auch berücksichtigen müssen, dass das Foto im Zusammenhang eines Berichts über ein Ereignis genutzt wurde, bei dem der Kläger Prinzessin Caroline von Monaco nicht nur begleitet hatte, sondern das ihn selbst zu einer aufsehenerregenden Tat, dem "Prügeln" eines Kameramanns, verleitet hatte. Er hatte also über die bloße Begleitung hinaus aus der Begleitsituation heraus selbst ein Ereignis geschaffen, an dem die Presse ein eigenständiges Veröffentlichungsinteresse hatte. Dementsprechend wurde im Innenteil der Zeitschrift über dieses Ereignis berichtet und der Außentitel spielte - auch durch die Bezeichnung "Prügelprinz" - auf das Verhalten des Klägers an, das im Innenteil der Zeitschrift in größerem Zusammenhang thematisiert wurde. Wenn das Landgericht die Veröffentlichung des neutralen Fotos für rechtswidrig hielt, aber ausführte, eine Berichterstattung auf dem Titel über die strafbaren Tätlichkeiten des Klägers - also Informationen mit einem erheblich intensiveren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht - wäre zulässig gewesen, dann wird auch daran ein Defizit bei der Abwägung deutlich (vgl zu solchen Konfliktlagen auch Frömming/Peters, NJW 1996, S.958 <961>). Allein dem Umstand, dass der Kläger ohne die begleitete Person abgebildet worden ist, wird in formaler Betrachtungsweise ein größeres Verletzungsgewicht beigemessen als dem ausdrücklichen Bezug auf eine Straftat.

41

(5) Die einzelfallbezogene Prüfung einer Persönlichkeitsverletzung hat sich nicht schon deshalb erübrigt, weil über ein Sonderproblem zu entscheiden war, nämlich über die Frage, ob eine Veröffentlichung eines Portraitfotos auch dann zulässig ist, wenn dieses gesonderte Foto nicht in dem Artikel selbst, sondern davon abgelöst auf dem Titelblatt erscheint. Die Gerichte haben insoweit darauf abgestellt, dass der bebilderte Text auf der Titelseite keinen zwingenden Zusammenhang mit dem Wortbericht dergestalt habe, dass beide nur im Zusammenhang wahrgenommen würden. Vielmehr werde von vielen Interessenten am Kiosk nur die Titelseite gesehen, die somit eigenständige Bedeutung habe. Auf ihr aber wurde nicht über ein Ereignis berichtet. Diese Betrachtungsweise trägt der Eigengesetzlichkeit pressemäßiger Betätigung nicht hinreichend Rechnung.

42

Titelseiten haben die Funktion der Aufmerksamkeitsbindung und der Weckung von Neugier (vgl zur besonderen Bedeutung des Titelblatts auch BVerfGE_97,125 <144>). Sie können naturgemäß den Artikel selbst nicht schon auf der Titelseite bringen. Die Titelankündigung und der Artikel stehen im Zusammenhang miteinander. Bei der Wortberichterstattung ist eine entsprechende Zusammenschau jedenfalls von Zeitungsüberschrift und dem dazugehörigen Zeitungsbericht anerkannt (vgl nur OLG Köln, AfP 1985, S.295 <296>). Für Titelblatt und Text im Innenteil einer Zeitschrift kann nichts anderes gelten (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S.61 ff). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - auf dem Titelblatt die Hauptperson und die Begleitperson gleichermaßen, wenn auch auf getrennten Bildern, abgebildet werden und, wie bei Titeln üblich, auf einen beide verbindenden Artikel verwiesen wird, und wenn diese Verbindung auch im Text der Schlagzeile zum Ausdruck kommt ("Caroline und ihr Prügel-Prinz - Werden brutale Männer mehr geliebt?"), besteht ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Foto und der Berichterstattung über das Ereignis im Zusammenhang der Begleitsituation. Bejaht man einen solchen Kontext zwischen Titel und Bericht, so dürfte als Ereignis der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG neben der Begleitsituation selbst auch der tätliche Angriff des Klägers auf einen Kameramann anzusehen sein, der ebenfalls eine Visualisierung rechtfertigt, zumindest in Form eines Portraitfotos. Die Gerichte haben nicht dargetan, dass eine zusätzliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts allein durch Verwendung des kontextneutralen Fotos erfolgt ist.

43

cc) Auch in dem Verfahren 1 BvR 2109/99 haben die Gerichte der Pressefreiheit nicht hinreichend Rechnung getragen.

44

Gegenstand der Berichterstattung war das gleiche Ereignis wie auch im Verfahren 1 BvR 1918/98, der tätliche Angriff auf einen Kameramann. Die Berichterstattung unter Verwendung des Bildnisses des Klägers betraf nicht nur auf Grund der allgemeinen Begleitsituation, sondern auch auf Grund der in dem Begleitkontext erfolgten strafbaren Gewalttätigkeit des Klägers ein Informationsinteresse der Presse. Die Beschwerdeführerin war auch hier nicht auf die Verwendung eines Fotos von diesem Ereignis begrenzt. Die Gerichte haben nicht in verfassungsrechtlich tragfähiger Weise begründet, warum die Veröffentlichung der bei einem anderen Anlass gefertigten Abbildung des Klägers ihn in seinem Persönlichkeitsrecht stärker beeinträchtigte als die eines Fotos aus der konkreten Situation.

45

Gibt es kontextbezogene Fotos über ein berichtensfähiges Ereignis, so dürfen sie veröffentlicht werden. Gleiches gilt aber für Fotos aus anderem Kontext mit einem dem neuen Sachzusammenhang gerecht werdenden Aussagegehalt, wenn dadurch keine zusätzliche Persönlichkeitsverletzung bewirkt wird. Das Grundgesetz schützt vor verfälschenden Darstellungen der Presse, verleiht dem Einzelnen aber nicht einen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit in einer bestimmten Weise dargestellt zu werden (vgl BVerfGE_99,185 <194> ). Erst recht hat er keinen Anspruch darauf, auf die Rahmendetails einer Abbildung Einfluss zu nehmen, wenn sein Persönlichkeitsrecht durch jene nicht eigenständig verletzt werden kann. Zulässig ist deshalb auch die Verwendung kontextgerechter Fotos, die aus einem anderen Zusammenhang stammen. Soweit die Gerichte in dem Verfahren 1 BvR 2109/98 darauf abgestellt haben, dass das Foto das zeitgeschichtliche Ereignis im Sinne des § 23 Abs.1 Satz 1 KUG, zu dessen Illustration die Aufnahme diene, nämlich die körperliche Auseinandersetzung des Klägers mit einem ihm lästigen Kameramann, nicht darstelle, kann dies nicht maßgeblich sein. Entscheidend ist, ob die konkrete Bildberichterstattung eine über die von einer zulässigen Abbildung hinausgehende Verletzung des Persönlichkeitsrechts bewirkt. Dies dürfte im Regelfall ausscheiden, wenn das verwendete Bild kontextneutral oder kontextgerecht ist, also die Aussage nicht verfälscht. Die Gerichte hätten daher darlegen müssen, worin die Persönlichkeitsverletzung liegt, wenn das streitgegenständliche Foto den Kläger - keineswegs unvorteilhaft - in einem Smoking zeigt und das Ereignis, über das in dem Artikel berichtet wurde, im Anschluss an ein festliches Ereignis erfolgte (Galaveranstaltung). Insbesondere hätte erwogen werden müssen, wieso dieses Foto den Kläger stärker beeinträchtigt als etwa das (nicht beanstandete) Foto, das den Kläger im Zusammenhang mit der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Kameramann zeigt und damit den Bezug zur Straftat deutlich versinnbildlicht.

46

dd) Auch in dem Verfahren 1 BvR 1857/98 haben die Gerichte die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Abwägung von Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz verkannt.

47

In diesem Verfahren stellte sich die besondere Frage, ob die geschilderten Grundsätze über die Verwendung von kontextneutralen Fotos auch bei Darstellungen Anwendung finden, die reale und der Realität angenäherte fiktive Ereignisse zu einer satirisch geprägten Glosse verbinden und diese mit einem Foto nur der Begleitperson illustrieren. Betroffen ist ein neutrales Portraitfoto des Klägers, mit dem ein glossierender Bericht über ihn und Prinzessin Caroline von Monaco bebildert wurde. Das Oberlandesgericht spricht ihm den Charakter der Berichterstattung über ein Ereignis ab, da es sich um eine Satire über "Beziehungsgeschichten" in der Unterhaltungspresse gehandelt habe.

48

Der Bericht gilt - anders als in den übrigen Fällen - nicht einer Ereignisberichterstattung im engeren Sinne. Er enthält eine ereignisbezogene Glosse über den Kläger und die Prinzessin. Dies allein kann aber aus verfassungsrechtlicher Sicht eine abweichende Beurteilung nicht rechtfertigen. Die Presse darf selbst über die Art der Darstellung entscheiden (vgl BVerfGE_101,361 <389>). Auch die Form der Glosse gehört zu den pressegemäßen Darstellungsformen, deren Nutzung deshalb am Maßstab der Pressefreiheit zu beurteilen ist. Eine satirisch-glossierende Verarbeitung von Ereignissen, über die früher in der Presse berichtet worden ist, genießt unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit ebenso Schutz wie die übliche Ereignisberichterstattung. Ist das Interesse der Presse an der Bebilderung von Ereignissen grundsätzlich anzuerkennen, bedarf es der Begründung, warum dies bei einer ereignisbezogenen Glosse anders sein soll. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts könnte dahin zu verstehen sein, dass der Ereignischarakter wegen des nur auf Unterhaltung ausgerichteten Gegenstandes verneint wurde. Dies wäre verfassungsrechtlich nicht tragfähig. Sollte aber die Anwendbarkeit der §§ 22 f KUG grundsätzlich zu bejahen sein, wäre nach den oben entwickelten Grundsätzen die Veröffentlichung eines Portraitfotos des Klägers aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

49

3. Demgegenüber scheidet die Annahme der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 im Verfahren 1 BvR 758/97 aus. Die Untersagung der Veröffentlichung des hier in Rede stehenden Portraitfotos verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrer Pressefreiheit, einerlei aus welchem Kontext das Foto stammt.

50

Entsprechend den obigen Ausführungen ist der Pressefreiheit insbesondere bei der Interpretation der "Bildnisse der Zeitgeschichte" im Sinne des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG Rechnung zu tragen. Der Begriff der Zeitgeschichte wird vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her bestimmt. Vor diesem Hintergrund ist es auch in diesem Fall verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Gerichte es ablehnen, den Kläger als absolute Person der Zeitgeschichte anzusehen.

51

Anders als in den Fällen der Beschwerdeführerinnen zu 2 bis 5 ist es verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Kläger nicht als relative Person der Zeitgeschichte behandelt und dass die Veröffentlichung des Bildnisses als rechtswidrig angesehen worden ist. Voraussetzung der Befugnis zur Bildnisveröffentlichung in den von der Begleiterrechtsprechung der Fachgerichte erfassten Fällen ist, dass über das Ereignis einer vertrauten Begleitung einer absoluten Person der Zeitgeschichte berichtet wird. Vorliegend gehörte das Foto des Klägers zu einem Zeitschriftenartikel, der lediglich eine Spekulation darüber enthielt, ob Prinzessin Caroline von Monaco und der Kläger möglicherweise diskret in Asien gewesen waren und in Hotels in Bangkok und Rangun übernachtet hatten. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung war die Verbindung der beiden offenbar noch nicht öffentlich bekannt. Jedenfalls hat die Beschwerdeführerin in dem Artikel selbst nicht beansprucht, über ein Ereignis berichtet zu haben. Die bloße Spekulation darüber, eine absolute Person der Zeitgeschichte könnte ein bestimmtes Ereignis verwirklicht haben, rechtfertigt jedoch nicht eine Bebilderung mit dem Foto einer Person, über deren Teilhabe an dem Ereignis ebenfalls spekuliert wird. Zwar ist in solchen Fällen eine Bebilderung mit einem Bildnis der absoluten Person der Zeitgeschichte nicht von vornherein ausgeschlossen. Aus dem Grundrecht der Pressefreiheit lässt sich jedoch kein Recht der Presse auf eine einwilligungsfreie Veröffentlichung des Bildnisses einer Person herleiten, deren zeitgeschichtliche Bedeutung nach dem Stand der Recherchen der Presse und nach dem Inhalt des Berichts im Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht feststand. Ein Ereignis der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG ist nicht der Bericht der Presse, sondern das darin Berichtete. Ist dieses nur spekulativer Natur, so rechtfertigt es nicht eine Beeinträchtigung des Rechts am Bildnis einer Person, auf die sonst kein hinreichendes Informationsinteresse gerichtet ist."

 

Auszug aus BVerfG B, 26.04.01, - 1_BvR_758/97 -, www.BVerfG.de,  Abs.17 ff

§§§

01.021 Landesnaturschutzgesetz

  1. BVerfG,     B, 07.05.01,     – 2_BvK_1/00 –

  2. BVerfGE_103,332 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.99; LNatSchG (SH); LV_Art.44 Nr.2; BVerfGG_§_75, BVerfGG_§_23/1 S.2

  4. Gesetz zur Neufassung des Landschaftspflegegesetzes / Vereinbarkeit / Landesverfassung Schleswig-Holstein.

T-01-07

LB: Das Schleswig-Holsteinischen Gesetzes zur Neufassung des Landschaftspflegegesetzes (Gesetz zum Schutz der Natur - Landesnaturschutzgesetz - LNatSchG -) und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften vom 16. Juni 1993 (GVOBl S. 215, kurz: Gesetz vom 16. Juni 1993) mit der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (Landesverfassung - LV -) vereinbar ist.

* * *

T-01-07BVerfG als Landesverfassungsgericht

46

"Das Bundesverfassungsgericht wird im vorliegenden Verfassungsrechtsstreit als Landesverfassungsgericht für das Land Schleswig-Holstein nach Maßgabe des Art.44 Nr.2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (LV in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13.Juni 1990, GVOBl S.391) in Verbindung mit Art.99 GG, § 13 Nr.10 BVerfGG tätig. Art.44 Nr.2 LV weist dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung "bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit dieser Verfassung auf Antrag der Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Landtages" zu. Auf Grund dieser nach Art.99 GG wirksamen Zuweisung (vgl BVerfGE_38,258 <267> ) wird das Bundesverfassungsgericht als Landesverfassungsgericht für das Land Schleswig-Holstein tätig. Das begrenzt von vornherein seinen Prüfungsmaßstab, der sich aus dem Umfang der Zuweisung des Art.44 Nr.2 LV ergibt. Prüfungsmaßstab ist nur die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein. Vorschriften des Grundgesetzes wie auch des einfachen Bundesrechts (ebenso des einfachen Landesrechts) scheiden deshalb als Maßstab aus.

I.

47

Der Antrag ist nach Art.44 Nr.2 LV statthaft. Die 37 Antragsteller erfüllen die Voraussetzungen des Art.44 Nr.2 LV: Der 13.Schleswig-Holsteinische Landtag hatte 89 Mitglieder; damit ist das erforderliche Drittel der Mitglieder des Landtages übertroffen. Ihr Antrag ist durch das Ende der Wahlperiode nicht unzulässig geworden (vgl BVerfGE_79,311 <327> ). Die Bestimmungen des Landesnaturschutzgesetzes sind "Landesrecht" im Sinne von Art.44 Nr.2 LV und deshalb tauglicher Prüfungsgegenstand. Sie werden nicht dadurch zu Bundesrecht, dass sie zur Ausfüllung des durch das Bundesnaturschutzgesetz nach Art.75 Abs.1 Satz 1 Nr.3 GG vorgegebenen Rahmens erlassen worden sind (vgl BVerfGE_18,407 <415>).

II.

48

1. Soweit das Landesnaturschutzgesetz als Ganzes angegriffen wird, ist der Antrag unzulässig. Dem Begründungserfordernis der §§ 75, 23 Abs.1 Satz 2 BVerfGG ist insoweit nicht genügt. Die Vorschriften verlangen neben der genauen Bezeichnung der angefochtenen Norm eine substantiierte Darlegung, welche Voraussetzungen des Art.44 Nr.2 LV für die Einleitung des abstrakten Normenkontrollverfahrens vorliegen und aus welchen Gründen die Vereinbarkeit der Norm mit welcher Bestimmung der Landesverfassung bezweifelt wird. Eine Nichtigkeit des Gesetzes insgesamt käme nur dann in Betracht, wenn sich aus dem objektiven Sinn des Landesnaturschutzgesetzes ergeben würde, dass die übrigen mit der Verfassung zu vereinbarenden Bestimmungen keine selbständige Bedeutung hätten oder wenn die nichtigen mit den übrigen Bestimmungen so verflochten wären, dass sie eine untrennbare Einheit bildeten, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden könnte (vgl BVerfGE_65,325 <358> und BVerfGE_100,249 <263> ; stRspr). Hierfür ist jedoch nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Die (freilich große) Anzahl der zur Prüfung gestellten Normen allein lässt einen derartigen Rückschluss auf das Gesetz insgesamt nicht zu.

49

Die im Antrag angeführten Einzelbestimmungen sind grundsätzlich ausreichend genau bezeichnet. Soweit allerdings generalisierende Behauptungen zur Verfassungswidrigkeit von nicht näher bezeichneten Rechtsvorschriften des Landesnaturschutzgesetzes aufgestellt und diese dann beispielhaft für bestimmte Vorschriften konkretisiert werden, ist der Antrag allenfalls hinsichtlich der konkret benannten Vorschriften zulässig. Ausserhalb dessen ist zum Beispiel den Behauptungen, die Sprache des Gesetzes sei "eher blumig und wortreich statt begrifflich präzise", Identisches werde "vielfach" mit unterschiedlichen Ausdrücken erfasst, "ungriffig" seien Definitionen, "die nahezu impressionistisch, ja poetisch daherkommen", ein Angriff auf konkrete Einzelbestimmungen nicht zu entnehmen.

50

2. Teilweise fehlt eine auch nur grobe Skizzierung der rechtlichen Erwägungen, auf die die Antragsteller ihre Zweifel an der Vereinbarkeit der jeweils beanstandeten Bestimmung mit der Verfassung stützen.

51

a) Die Antragsteller behaupten, die Verordnungsermächtigungen der § 8 Abs.8, § 8b Abs.4, § 15a Abs.7, § 21 Abs.4 Satz 3 2.Halbsatz, § 21b Abs. 3 Satz 2, § 25 Abs.1 Nrn.1 und 2, § 36 Abs.5, § 37 Abs.4 Satz 1, § 38 Abs.2 und § 58 Satz 1 LNatSchG genügten nicht den Anforderungen des Art.38 Abs.1 Satz 2 LV an eine hinreichend bestimmte Gesetzesgrundlage. Zur Begründung wird pauschal für alle angegriffenen Ermächtigungsnormen angeführt, die Verwaltung würde, zum Teil nur sehr global, auf bestimmte Gegenstandsbereiche festgelegt, die materielle Abmessung der Detailregelung bleibe offen. Dies ist aber nur eine rudimentäre Wiedergabe dessen, was abstrakt gesehen nach Maßgabe des Art.38 Abs.1 Satz 2 LV die Unbestimmtheit einer Verordnungsermächtigung generell ausmacht. Für keine einzige der beanstandeten Verordnungsermächtigungen wird der Vorwurf der Unbestimmtheit konkretisiert. Es ist auch nicht so, dass die Ermächtigungen so offensichtlich unbestimmt wären, dass sich jede Begründung erübrigte. Somit ist der Antrag insoweit unzulässig.

52

b) Soweit die Antragsteller die Bestimmtheit von als "wolkig" bezeichneten Gesetzesbegriffen in § 15a Abs.1 Nr.1, § 17 Abs.1, § 18 Abs.1, § 19 Abs.1 und § 20 Abs.1 LNatSchG bezweifeln, ist nicht dargelegt, weshalb die beanstandeten auslegungsbedürftigen Gesetzesbegriffe nicht der Auslegung fähig sein sollen. Auf die bloße Frage nach der Bedeutung hätten sich die Antragsteller schon deshalb nicht beschränken dürfen, weil sich zum Teil gleiche oder ähnliche Begriffe im Bundesnaturschutzgesetz finden (zB § 18 Abs.1 Satz 1 Nr.2, § 20c Abs.1 Nr.1 BNatSchG), die eine Auslegung in Kommentarliteratur und Rechtsprechung (z.B. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.Mai 1993 - 7 NB 8.92 -, NuR 1994, S.83, zum Begriff "Belebung des Landschaftsbildes") erfahren haben.

 

Auszug aus BVerfG B, 07.05.01, - 2_BvK_1/00 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.46

§§§

01.022 Mindesbemessungsgrenze

  1. BVerfG,     B, 22.05.01,     – 1_BvL_4/96 –

  2. BVerfGE_103,392 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1; SGB-V_§_240 Abs.4 S.2 Hs.2

  4. Gesetzliche Krankenversicherung / Beiträge / Mindesbemessungsgrenze / freiwillige Mitgliedschaft.

 

Die Mindestbemessungsgrenze für Beiträge hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger, die freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind (§ 240 Abs.4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V), ist verfassungsgemäß.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 240 Absatz 4 Satz 2 Halbsatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung des Artikels 1 Nummer 137 Buchstabe c des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21.Dezember 1992 (Bundesgesetzblatt I Seite 2266) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

01.023 Baulandumlegung

  1. BVerfG,     B, 22.05.01,     – 1_BvR_1512/97 –

  2. BVerfGE_104,1 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.14 Abs.1 S.2; BauGB_§_45

  4. Baulandumlegung / Inhalts- und Schrankenbestimmung / Eigentum.

 

Die Baulandumlegung nach den §§ 45 ff BauGB ist eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 GG.

§§§

01.024 Wahlkreiseinteilung

  1. BVerfG,     B, 22.05.01,     – 2_BvE_1/99 –

  2. BVerfGE_104,14 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.21 Abs.1

  4. Rechte politischer Parteien / Verletzung.

 

Zur Verletzung von Rechten politischer Parteien durch die Wahlkreiseinteilung.

§§§

01.025 Durchsuchung RA Mahler

  1. BVerfG,     B, 22.05.01,     – 2_BvQ_48/00 –

  2. BVerfGE_104,23 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.13 Abs.2; BVerfGG_§_32

  4. Eilantrag / Durchsuchung / elektronische Datenträger / Versiegelung / Hinterlegung.

 

LB: Erfolgreicher Eilantrag, der die Staatsanwaltschaft verpflichtet bei einer Durchsuchung sichergestellte Daten und Unterlagen zu versiegeln und beim Amtsgericht zu hinterlegen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Staatsanwaltschaft I beim Landgericht Berlin wird bis zur endgültigen Entscheidung über den Eilantrag der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2001 aufgegeben, sämtliche im Zusammenhang mit der Durchsuchung in der Wohnung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, Rechtsanwalt Horst Mahler, ..., in dessen Kanzlei, ..., und in der Parteizentrale der Antragsgegnerin, ..., am 11. Juni 2001 sichergestellten, überspielten oder kopierten elektronischen Daten/Datenträger und Unterlagen unverzüglich zu versiegeln, beim Amtsgericht Tiergarten in Berlin zu hinterlegen und den Vollzug dem Bundesverfassungsgericht anzuzeigen.

§§§

01.026 Altenpflegegesetz

  1. BVerfG,     B, 15.06.01,     – 2_BvB_1/01 –

  2. BVerfGE_104,38 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.70, GG_Art.72; BVerfGG_§_32

  4. Normenkontrollantrag / Gesetzgebungskompetenz - fehlende / einstweilige Anordnung / Folgenabwägung.

 

LB 1) Die Bayerische Staatsregierung begehrt mit einem Normenkontrollantrag die Feststellung, Art.1 AltPflG sei wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes mit Art.70, hilfsweise Art.72 des Grundgesetzes unvereinbar und daher nichtig. Der Antrag wurde vom BVerfG als zulässig eingestuft.

 

LB 2) Auf Grund einer Folgenabwägung wurde dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1. Artikel 1 § 4 Abs.6 und § 9 des Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz - AltPflG) sowie zur Änderung des Krankenpflegegesetzes vom 17.November 2000 wird bis zur Entscheidung über die Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit dem Grundgesetz, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen außer Kraft gesetzt.

2. Im Übrigen wird das Inkrafttreten von Artikel 1, Artikel 3 und Artikel 4 des Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz - AltPflG) sowie zur Änderung des Krankenpflegegesetzes vom 17.November 2000 bis zur Entscheidung über die Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit dem Grundgesetz, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen ausgesetzt.

3. Die Entscheidungsformel zu Nummern 1. und 2. ist im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen.

§§§

01.027 Altenpflegegesetz

  1. BVerfG,     B, 18.06.01,     – 2_BvQ_48/00 –

  2. BVerfGE_104,42 = www.BVerfG.de

  3. BVerfGG_§_32

  4. Einstweilige Anordnung / Ergänzung.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1. Der Beschluss des Zweiten Senats vom 22.Mai 2001 wird klarstellend dahin berichtigt, dass Ziffer 2. des Tenors (Umdruck Seite 2) um folgenden Satz 2 ergänzt wird: Das Inkrafttreten von Artikel 2 des Altenpflegegesetzes bleibt hiervon unberührt

2. Die Entscheidungsformel zu Ziffer 1. ist im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen.

§§§

01.028 Fax-Berufungsbegründung

  1. BVerfG,     B, 21.06.01,     – 1_BvR_436/01 –

  2. www.BVerfG.de NJW_01,3473 -74

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.20 Abs.3; ZPO_§_519

  4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand / Anforderungen / effektiver Rechtsschutz / bürgerlich-rechtliche Streitigkeit / Zugang / Erschwerung.

T-01-08

LB 1) bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden (vgl BVerfGE_40,88 <91>; BVerfGE_67,208 <212 f>).

Abs.10

LB 2) Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, der für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgt (vgl BVerfGE_85,337 <345> mwN), verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl BVerfGE_41,23 <26>; BVerfGE_69,381 <385>; BVerfGE_88,118 <123 ff> ).

Abs.12

LB 3) Eine derartige Erschwerung liegt aber vor, wenn von einem Rechtsuchenden oder seinem Prozessbevollmächtigten, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Fax zu übermitteln, beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen verlangt wird, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8. Februar 2001 - 2-15 S 245/00 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 DM (in Worten: zehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.

* * *

T-01-08Wiedereinsetzung

9

"1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz (Art.2 Abs.1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) angezeigt ist (§ 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs.1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht schon entschieden.

10

a) Danach dürfen bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden (vgl BVerfGE_40,88 <91>; BVerfGE_67,208 <212 f>). Denn der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, der für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgt (vgl BVerfGE_85,337 <345> mwN), verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl BVerfGE_41,23 <26>; BVerfGE_69, 381 <385>; BVerfGE_88,118 <123 ff>). Eine derartige Erschwerung liegt aber vor, wenn von einem Rechtsuchenden oder seinem Prozessbevollmächtigten, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Fax zu übermitteln, beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des , Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen verlangt wird dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (vgl BVerfG, 2.Kammer des Ersten Senats, NJW 1996, S.2857).

11

Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig. Wird dieser Übermittlungsweg durch ein Gericht eröffnet, dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt im Besonderen für Störungen des Empfangsgeräts im Gericht. In diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristsäumnis in der Sphäre des Gerichts. Aber auch Störungen der Übermittlungsleitungen sind dem gewählten Übermittlungsmedium immanent, weil ein Telefax nur über sie zum Empfangsgerät gelangt. Auch bei einer Leitungsstörung versagt daher die von der Justiz angebotene Zugangseinrichtung. Der Nutzer hat mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits zur Fristwahrung Erforderliche getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Ablauf der Frist zu rechnen ist (vgl BVerfG, 2.Kammer des Ersten Senats, aaO, S. 2857 f). Dabei ist in letzterer Hinsicht zu berücksichtigen, dass häufig gerade die Abend- und Nachtstunden wegen günstigerer Tarife oder wegen drohenden Fristablaufs genutzt werden, um Schriftstücke noch fristwahrend per Telefax zu übermitteln. Dem ist vom Rechtsuchenden gegebenenfalls durch einen zeitlichen "Sicherheitszuschlag" Rechnung zu tragen (vgl BVerfG, 3.Kammer des Zweiten Senats, NJW 2000, S.574).

12

b) Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.

13

Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, dass die verspätete Übermittlung des Berufungsbegründungsschriftsatzes des Beschwerdeführers auf eine Störung des im Gericht für Telefaxe vorgesehenen Empfangsgeräts und damit auf einen in der Gerichtssphäre liegenden Umstand zurückzuführen ist. Es stellt eine Überspannung der an den Beschwerdeführer zu stellenden Sorgfaltsanforderungen dar, wenn das Landgericht bei dieser Sachlage zum einen verlangt, der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers hätte sich noch darum bemühen müssen, einen beim Landgericht zugelassenen Anwalt mit der Übermittlung des Berufungsbegründungsschriftsatzes zu beauftragen, und zum anderen in formeller Hinsicht beanstandet, der Prozessbevollmächtigte habe schon nicht vorgetragen, dass ihm nach dem Erkennen erfolgloser Übermittlungsversuche andere zumutbare und mögliche Wege der fristgerechten Übermittlung des Schriftsatzes nicht zur Verfügung gestanden hätten.

14

Mit der Wahl des Faxes als eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer hatte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers das seinerseits zur Fristwahrung Erforderliche getan. Er hat mit der Übermittlung des Berufungsbegründungsschriftsatzes auch zu einem Zeitpunkt begonnen, zu dem er unter normalen Umständen mit einem Eingang der Sendung bei Gericht vor Fristablauf hat rechnen dürfen. Ausweislich der Sendeberichte, deren Richtigkeit das Landgericht nicht in Frage gestellt hat, ist gut sechs Stunden vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist mit dem Versuch begonnen worden, die Berufungsbegründungsschrift per Fax zu versenden; dem Beschwerdeführer kann deshalb nicht entgegengehalten werden, mit der Übermittlung zu lange gewartet zu haben.

15

c) Der angegriffene Beschluss beruht auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist gewährt hätte und in eine Sachbehandlung eingetreten wäre, wenn es das Recht des Beschwerdeführers auf eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung beachtet hätte."

 

Auszug aus BVerfG B, 21.06.01, - 1_BvR_436/01 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.9 ff

§§§

01.029 Zeugenaussage

  1. BVerfG,     B, 02.07.01,     – 1_BvR_2049/00 –

  2. www.BVerfG.de NJW_01,3474

  3. BGB_§_626; GG_Art.2 Abs.1; GG_Art.20 Abs.3; StPO_§_170 Abs.2

  4. Ermittlungsverfahren / Aussage / Arbeitnehmer - gegen Arbeitgeber / Kündigung - fristlose / Angaben / zivilrechtliche Nachteile.

T-01-09

LB 1) Sagt ein Arbeitnehmer im Rahmen eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gegen seinen Arbeitgeber aus und übergibt auf Auffordrung der Staatsanwaltschaft Unterlagen, so ist dieses Verhalten grundsätzlich nicht geeingnet, eine fristlose Kündigung zu rechtferigen.

Abs.19

LB 2) Es ist mit dem Rechtsstaatprinzip unvereinbar, wenn derjenige, der die ihm auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt und nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht, dadurch zivilrechtliche Nachteile erleidet.

* * *

T-01-09Fristlose Kündigung

10

"a) Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage ist durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend entschieden (vgl insbesondere BVerfGE_74,257 <261 ff>). Danach verstößt eine Handhabung des Schadensersatzrechts, die den gutgläubigen Strafanzeigeerstatter mit dem Risiko des Schadensersatzes für den Fall belastet, dass seine Anzeige nicht zum Erweis des behaupteten Vorwurfs führt, gegen Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

11

Die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist streng genommen zwar keine Sanktion für Verhalten in der Vergangenheit, sondern nur die Möglichkeit, sich von einem Dauerschuldverhältnis zu lösen, an dem man für die Zukunft zumutbar nicht festhalten kann. Doch stellt sich die Kündigung für den betroffenen Arbeitnehmer als zivilrechtlicher Nachteil dar. Die Beachtung des Gesichtspunkts, dass der Beschwerdeführer mit seinen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und der Übergabe von Unterlagen von der Rechtsordnung aufgestellte Pflichten erfüllt hat, war von Verfassungs wegen gefordert (vgl BVerfGE_74,257 <261>). Gerade die Zeugenpflicht ist eine allgemeine Staatsbürgerpflicht (vgl BVerfGE_76,363 <383> ). Ferner kann die Staatsanwaltschaft die Herausgabe bestimmter Gegenstände verlangen (vgl §§ 94 ff StPO). Mit diesen Pflichten im Rechtsstaat ist es nicht vereinbar, wenn derjenige, der diese ihm gesetzlich auferlegten Pflichten erfüllt und nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht, dadurch zivilrechtliche Nachteile erleidet. Nur so kann die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionsfähige Strafrechtspflege im Interesse der Allgemeinheit zu gewährleisten (vgl BVerfGE_46,214 <222>), erfüllt werden.

12

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht.

13

aa) Allerdings unterliegen gerichtliche Entscheidungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur einer begrenzten Überprüfung. Nur wenn die Gerichte die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Vorschriften - hier § 626 BGB - grundsätzlich verkannt haben oder die Anwendung einfachen Rechts objektiv willkürlich ist, kann dies zu einer Aufhebung der Entscheidungen führen (vgl BVerfGE_80,48 <51>; BVerfGE_96,189 <199 f> . Die Bewertung der Tatsachen und die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache der allgemein zuständigen Gerichte. Eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung kann für sich genommen noch nicht zur Aufhebung einer Entscheidung als verfassungswidrig führen (vgl BVerfGE_34,384 <397>; BVerfGE_76,93 <98> ). Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs erweist sich das Urteil des Landesarbeitsgerichts als verfassungswidrig.

14

bb) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist noch der vom Landesarbeitsgericht aufgestellte Rechtssatz, welcher sich auf "Anzeigen und Beschwerden bei Behörden" bezieht und auf den Fall eingeschränkt wird, dass diese "haltlose Vorwürfe aus verwerflichen Motiven" enthalten.

15

cc) Die konkrete Anwendung des § 626 BGB durch das Landesarbeitsgericht hat aber mit dem aufgestellten Rechtssatz nichts mehr zu tun, missachtet weite Teile der Beweisaufnahme und der Feststellungen des Arbeitsgerichts und führt insgesamt zu einem Ergebnis, das mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist.

16

aaa) Das Landesarbeitsgericht hat schon nicht danach differenziert, dass keine Strafanzeige vorliegt, sondern dass es sich um ein von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen eingeleitetes Verfahren handelte und der Beschwerdeführer nach dem eigenen Vortrag der Beklagten zum ersten Gespräch telefonisch von der Staatsanwaltschaft vorgeladen wurde, die Initiative also gerade nicht von ihm ausging. Es lässt insoweit schon den eigenen Obersatz außer Acht. Im tatsächlichen Bereich übergeht es entscheidende Teile der Beweisaufnahme oder verkehrt sie sogar in ihr Gegenteil. Damit verstellt es sich den Blick auf die verfassungsrechtlich bedeutsamen Fragen in der vorliegenden Fallkonstellation.

17

So heißt es im Tatbestand und den Entscheidungsgründen des Urteils, das Verfahren gegen die Beklagte sei nach § 170 Abs.2 StPO "wegen erwiesener Unschuld" eingestellt worden, was nicht nur fern vom Wortlaut der Norm ist, sondern auch die Zeugenaussage des Oberstaatsanwalts übergeht, nach der behördenintern aufgrund der Umstände des Falls auch eine Einstellung nach §§ 153, 153a StPO in Betracht gezogen wurde. Auch der Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft begründet die dann tatsächlich erfolgte Einstellung zum Teil mit mangelnder Beweisbarkeit und bereits eingetretener Verjährung. Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass ein auf Anzeige der Beklagten gegen den Beschwerdeführer wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung eingeleitetes Verfahren seinerseits nach § 170 Abs.2 StPO eingestellt wurde, was umso mehr gegen die vom Landesarbeitsgericht unterstellte "Haltlosigkeit" der Erklärungen des Beschwerdeführers spricht, welche vom Landesarbeitsgericht auch nicht näher konkretisiert werden. Das Landesarbeitsgericht wirft dem Kläger ferner vor, "unter anderem freiwillig" von sich aus der Staatsanwaltschaft Unterlagen zur Verfügung gestellt zu haben. Dies ergibt sich gerade nicht aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts und ist auch nicht von diesem festgestellt worden, wie das Landesarbeitsgericht behauptet. Der Beschwerdeführer hat der Staatsanwaltschaft zwar Unterlagen übergeben, aber auch hier ging nach der Beweisaufnahme die Initiative von der Staatsanwaltschaft aus, die den Beschwerdeführer nach den Unterlagen gefragt hatte und gegebenenfalls eine Beschlagnahmung in Aussicht stellte. Das Landesarbeitsgericht übergeht auch die Aussagen des als Zeugen vernommenen Oberstaatsanwalts, wonach der Beschwerdeführer seine Besuche bei der Staatsanwaltschaft offenbar in der Meinung durchführte, damit seine staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen. Die Haltlosigkeit der Äußerungen des Beschwerdeführers leitet das Landesarbeitsgericht allein aus der späteren Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs.2 StPO ab, ohne auf die Zeugenaussagen einzugehen, wonach die Aussagen des Beschwerdeführers bei der Staatsanwaltschaft wenig ergiebig waren und insbesondere keine ausdrücklichen strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Beklagte oder ihren Geschäftsführer enthielten.

18

bbb) Entgegen der Ansicht der Beklagten des Ausgangsverfahrens betrifft die Verfassungsbeschwerde nicht nur Fragen der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, die einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich nicht unterliegen. Die Bejahung eines Kündigungsgrundes durch das Landesarbeitsgericht ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren.

19

Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung die verfassungsrechtliche Problematik ignoriert. Es hat verkannt, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip entscheidungsrelevante Aspekte ergeben können. Weder hat es den Charakter der Aussagepflicht als staatsbürgerliche Pflicht berücksichtigt noch sich mit der Problemlage auseinander gesetzt, dass ein Bürger wegen der Erfüllung dieser Pflicht jedenfalls nicht ohne weiteres zivilrechtliche Nachteile erleiden darf. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt hat. Hätte es die Zeugenaussagen und die Feststellungen des Arbeitsgerichts genauer beachtet, wäre deutlich gewesen, dass der Beschwerdeführer nur den Aufforderungen der Staatsanwaltschaft nachgekommen ist. Die Beachtung des Gesichtspunkts, dass der Beschwerdeführer mit seinen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und der Übergabe von Unterlagen nur von der Rechtsordnung aufgestellte Pflichten erfüllt hat, war von Verfassungs wegen gefordert. Mit diesen Pflichten des Rechtsstaates ist es nicht vereinbar, wenn derjenige, der diese Pflichten erfüllt, zivilrechtliche Nachteile erleidet.

20

Aber selbst bei dem vom Landesarbeitsgericht zu Grunde gelegten Sachverhalt, wonach der Beschwerdeführer "freiwillig" zur Staatsanwaltschaft gegangen sei, dort Aussagen gemacht und aufgrund eigenen Antriebs Unterlagen übergeben habe, hätte es diesem verfassungsrechtlichen Aspekt Beachtung schenken müssen. Auch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren kann - soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden - im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten. Das Landesarbeitsgericht spricht pauschal von "haltlosen Erklärungen" des Beschwerdeführers, ohne diese näher zu benennen und die auch aufgrund der Beweisaufnahme nicht nahe liegend sind. Ein derart substanzloser Vorwurf kann nicht als Grund für zivilrechtliche Nachteile dienen, die im Hinblick auf bestehende Pflichten und Rechte des Bürgers im Rahmen der Strafverfolgung grundsätzlich unzulässig sind (vgl BVerfGE_74,257 <261 ff>). Eine zivilrechtliche Entscheidung, die dieses verkennt oder missachtet, verletzt den betroffenen Bürger in seinem Grundrecht aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip."

 

Auszug aus BVerfG B, 02.07.01, - 1_BvR_2049/00 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.10 ff

§§§

01.030 Lebenspartnerschaften

  1. BVerfG,     B, 18.07.01,     – 1_BvQ_23/01 –

  2. BVerfGE_104,51 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.6/1; BVerfGG_§_32;

  4. Normenkontrollklage / Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften / Ausservollzugsetzung / Folgenabwägung.

T-01-10

LB 1) Aufgrund einer Folgenabwägung wurde der Erlass einer Einstweiligen Anordnung mit dem Ziel das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften außer Vollzug zu setzen abgelehnt.

 

LB 2) Zur abweichenden Meinung des Vizepräsidenten Papier, der Richterin Haas und des Richters Steiner siehe BVerfGE_104,61= www.BVerfG.de, Abs.32 ff.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.

* * *

T-01-10Eintweilige Anordnung

16

"Die Normenkontrollanträge sind zulässig und nicht offensichtlich unbegründet.

17

Dies gilt zum einen für die von den Antragstellerinnen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und seine Abtrennung vom Regelungsgegenstand des noch nicht zustande gekommenen Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetzes. Es betrifft zum anderen die Frage, ob das Gesetz mit Art.6 Abs.1 GG in Einklang steht und darüber hinaus noch weitere Grundrechtsverletzungen mit sich bringt. Beides bedarf der Klärung im Hauptsacheverfahren und lässt sich nicht ohne weiteres anhand der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung oder mit Hilfe des rechtswissenschaftlichen Schrifttums eindeutig beantworten.

III.

18

Bei offenem Ausgang des Normenkontrollverfahrens sind die jeweils eintretenden Folgen gegeneinander abzuwägen.

19

1. Bei einem In-Kraft-Treten des angegriffenen Gesetzes sind irreversible Nachteile für das Institut der Ehe nicht zu erwarten. Das rechtliche Fundament der Ehe erfährt keine Veränderung. Sämtliche Regelungen, die der Ehe einen rechtlichen Rahmen geben und das Institut mit Rechtsfolgen ausstatten, bleiben unabhängig davon, ob das Gesetz in Kraft tritt oder nicht, unberührt. Ob die Einführung des neuen Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit seinen der Ehe zum Teil nachgebildeten Rechtsfolgen einem aus Art.6 Abs.1 GG hergeleiteten Abstands- oder Differenzierungsgebot zuwiderläuft, ist eine verfassungsrechtliche Frage, die bei der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hat (vgl BVerfGE_3,34 <37>).

20

2. Das zur Prüfung gestellte Gesetz ist auch vollziehbar. Die Länder sind nicht daran gehindert, in eigener Kompetenz hierzu Ausführungsgesetze zu erlassen (vgl Art.83, 84 Abs.1 GG), solange und soweit der Bundesgesetzgeber für diesen neuen Regelungsbereich von seiner Gesetzgebungszuständigkeit noch nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art.72 Abs.1 GG).

21

Unterschiedliche Ausführungsgesetze der Länder über die Zuständigkeit und das Verfahren hinsichtlich des Personenstandes der eingetragenen Lebenspartnerschaft führen auch nicht zu einem problematischen Mangel an Transparenz im Personenstandswesen. Landesbezogene Unterschiede sind vielmehr Ausdruck der grundgesetzlichen föderalen Kompetenzzuweisung. Die schon vorliegenden Gesetze und Gesetzentwürfe der Länder zeigen, dass die Gefahr mangelnder Nachweisbarkeit des Personenstandes nicht besteht. Im Übrigen liegt es in der Entscheidungsgewalt der Antragstellerinnen selbst, in Abstimmung mit den anderen Ländern durch Erlass entsprechender Gesetze einer solchen Gefahr entgegenzuwirken und damit dem von ihnen insoweit befürchteten Nachteil abzuhelfen.

22

3. Sollte sich das Gesetz nach seinem In-Kraft-Treten später als verfassungswidrig und damit nichtig erweisen, entfiele - wovon auch die Antragstellerinnen ausgehen - rückwirkend die rechtliche Grundlage für eingetragene Lebenspartnerschaften und damit auch der sich hierauf gründende personenrechtliche Status. § 79 BVerfGG setzt eine solche Rückwirkung implizit als Regelfall voraus, indem er hiervon Ausnahmen bildet. Seine sinngemäße Anwendung auch auf Privatrechtsverhältnisse ist insbesondere für abgewickelte Rechtsbeziehungen bejaht worden (vgl BVerfGE_32,387 <389>; BVerfGE_97,35 <48>; BVerfGE_98,365 <402>). Um einen solchen Fall handelt es sich jedoch nicht, wenn ein Personenstand neu geschaffen wird, der schon gesetzlich so ausgestaltet ist, dass Mängel bei seiner Begründung im Einzelfall nicht nur zur Aufhebbarkeit, sondern zur rückwirkenden Unwirksamkeit führen (vgl Schwab, FamRZ 2001, S.385 <388>).

23

Sind mit der Begründung eingetragener Lebenspartnerschaften bereits Rechtsfolgen zwischen den Partnern wie auch im Verhältnis zu Dritten eingetreten, müssten sie im Falle der Nichtigkeit des Gesetzes rückabgewickelt werden, soweit dies rechtlich und tatsächlich möglich ist. Wie jede nachträgliche Feststellung rechtlicher Unwirksamkeit hätte das die Notwendigkeit der Klärung noch offener Rechtsfragen, gegebenenfalls durch die Gerichte, zur Folge. Die Rechtsordnung stellt Regeln und Verfahren bereit, wie solche Probleme zu lösen sind, die auf unwirksamen privatrechtlichen Rechtsgeschäften, auf fehlerhaften Verwaltungsakten oder auch auf der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen beruhen können. Diese Vorkehrungen verhindern den Eintritt von Rechtsunsicherheit.

24

Auch vorliegend sind keine Folgen zu befürchten, die über das übliche Maß bei sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hinausgehen, in denen Neuregelungen des Gesetzgebers auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand stehen. Das angegriffene Gesetz stellt insofern auch im Hinblick auf die Vielzahl geänderter Gesetze keine verfassungsrechtlich erhebliche Besonderheit dar. Allein die Ungewissheit, ob eine gesetzliche Neuregelung mit Rechtsfolgen für den Rechtsverkehr zwischen Privaten vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, und die damit verbundene Möglichkeit, dass schon erfolgte Rechtswirkungen rückgängig gemacht werden müssten, rechtfertigen es nicht, einem Gesetz im Wege der einstweiligen Anordnung die vom Gesetzgeber gewollte Wirkkraft zu nehmen. Anderenfalls hätte ein Angriff gegen noch nicht in Kraft getretene Normen regelmäßig ihre Aussetzung zur Folge.

25

4. Allerdings könnten bestimmte Rechtsfolgen, die das Gesetz vorsieht, bei ihrem Eintritt und Vollzug nicht mehr rückgängig gemacht werden, auch wenn sich das Gesetz später als verfassungswidrig erweisen würde und nichtig wäre. Die dadurch bewirkten Nachteile überwiegen jedoch nicht eindeutig diejenigen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erginge, das Gesetz sich jedoch später als verfassungsgemäß erwiese. Dies gilt auch für mögliche Nachteile in den Bereichen des Erbrechts, der Einbürgerung und der Zeugnisverweigerungsrechte.

26

a) Dem Nachteil, der für das Erbrecht anderer Erbberechtigter eintreten könnte, wenn bei Tod eines Lebenspartners der überlebende Partner das gesetzliche Erbe angetreten und das Ererbte verbraucht hätte, bevor die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festgestellt wäre, steht der Nachteil gegenüber, den der überlebende Lebenspartner erfahren würde, wenn die einstweilige Anordnung erginge, das Gesetz sich jedoch als verfassungsgemäß herausstellte. Durch den Entzug der Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen, wäre der gesetzliche Erbanspruch endgültig vereitelt. Die Möglichkeit testamentarischer oder erbvertraglicher Regelung schafft keinen vollwertigen Ersatz für die gesetzliche Regelung. Dies und die durch die einstweilige Anordnung fortdauernde Belastung einer Lebenspartnerschaft, für einen möglicherweise nahenden Todesfall nicht anderweitig entsprechend Sorge tragen zu können, lassen diesen Nachteil für den überlebenden Lebenspartner mindestens gleich schwer wiegen wie den, der im anderen Fall bei den sonstigen Erbberechtigten drohte.

27

b) Ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl ist angesichts der allenfalls kleinen Zahl der in der Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu erwartenden Einbürgerungen ebenfalls nicht zu erkennen. Schwer ist hingegen der Nachteil, der Lebenspartner träfe, wenn das Gesetz zunächst nicht in Kraft träte, sich jedoch später als verfassungsgemäß erwiese. Sie müssten nicht nur vorübergehend auf eine Einbürgerung verzichten, sondern stünden in der fortdauernden Gefahr oder Situation, ihre Partnerschaft auf Grund der Beendigung von Aufenthaltsrechten oder der Versagung einer Einreise nicht mehr oder gar nicht in der Bundesrepublik leben zu können. Die damit verbundene Belastung jedes einzelnen Partners und ihrer Partnerschaft mit möglicherweise irreparablen Folgen für das Zusammenleben ist auch im Lichte des Persönlichkeitsschutzes von Art.2 Abs.1 GG hoch zu gewichten.

28

c) Der Schaden, der der Rechtsordnung und dem Rechtsvertrauen in die Richtigkeit von gerichtlichen Entscheidungen dadurch zugefügt werden könnte, dass Urteile wegen des Lebenspartnern durch das Gesetz eingeräumten Zeugnisverweigerungsrechts auf der Basis einer eingeschränkten Sachverhaltsaufklärung ergingen, erscheint nicht schwerer als der Schaden, der unwiderruflich für das Zusammenleben von Partnern entstehen könnte, wenn durch Nicht-In-Kraft-Treten des Gesetzes ein Lebenspartner gegen den anderen mangels eines Zeugnisverweigerungsrechts aussagen müsste und damit die Aussage nicht mehr aus der Welt zu schaffen wäre und zwischen den Partnern stünde.

29

5. Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgekonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüberstehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht am In-Kraft-Treten zu hindern, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat. Für die zuvor angeführten Fälle irreversibler Folgen ist zumindest diese Gleichwertigkeit festzustellen.

30

Bei einer Gesamtbetrachtung des Gesetzes überwiegen indessen die Nachteile bei Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung eindeutig. Würde das Gesetz vorläufig außer Vollzug gesetzt, erwiese es sich jedoch später als verfassungsgemäß, träte zwar keine Rechtsunsicherheit ein; es wären auch keine Rechtsbeziehungen rückabzuwickeln, aber es käme zu endgültigen Rechtsverlusten bei allen durch das Gesetz begünstigten Personen. Das beträfe sämtliche Bereiche, die einer privatrechtlichen Gestaltung ganz oder teilweise verschlossen sind. Dass es sich dabei um nicht unerhebliche Rechtsfolgen handelt, gestehen auch die Antragstellerinnen zu, die gerade aus diesem Grunde die Aussetzung des Gesetzes anstreben. Die Folgen der einstweiligen Anordnung bewirken auch dann einen Rechtsverlust und nicht eine bloße Rechtsverhinderung, wenn das Bundesverfassungsgericht schon vor In-Kraft-Treten entscheidet, denn schon mit der Verkündung hat der Gesetzgeber den Begünstigten die Rechte zuerkannt. Diese Rechtspositionen verlieren sie bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unwiderruflich.

31

Die genannten Nachteile wiegen umso schwerer, als der Gesetzgeber Personen erstmals Rechte zuerkennt, die ihnen zu einer besseren Entfaltung ihrer Persönlichkeit verhelfen und die zum Abbau langdauernder Diskriminierungen führen sollen. Ein zumindest vorläufiger Entzug dieser gesetzlich eingeräumten Rechte im Wege einer einstweiligen Anordnung rechtfertigte sich nur bei anderenfalls eintretenden schwerwiegenderen Nachteilen für das gemeine Wohl. Solche sind hier nicht zu erkennen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb nicht geboten."

 

Auszug aus BVerfG B, 18.07.01, - 1_BvQ_23/01 -, www.BVerfG.de,  Abs.16 ff

§§§

01.031 Satirische Meinungsäußerung

  1. BVerfG,     B, 01.08.01,     – 1_BvR_1906/97 –

  2. www.BVerfG.de NJW_01,3613 - 15

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.5 Abs.1 + 2; StGB_§_185

  4. Meinungsäußerung - satirische / polemisch verletztende Formulierung.

 

LB 1) Auch bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung darf der Erklärungen kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte.

 

LB 2) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Auch die polemische oder verletztende Formulierung der Aussage entzieht sie nicht seinem Schutzbereich.

 

LB 3) Es ist widersprüchlich, eine Äußerung als ironisch zu charakterisieren, ihr sodann aber einen Bedeutungsinhalt beizumessen, der ihr nur zukommen würde, wenn sie als ernst gemeint beim Wort zu nehmen wäre.

§§§

01.032 Diplom-Jurist

  1. BVerfG,     B, 26.09.01,     – 1_BvR_1740/98 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1; GG_Art.12 Abs.1; BNotO_§_5; EV

  4. Gleichbehandlungsgrundsatz / Gesetzgeber / Gestaltungsspielraum / Grenzen richterlicher Kontrolle / gesetzliche Fiktion / Notar.

T-01-11

LB 1) Art.3 Abs.1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln.

Abs.26

LB 2) Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er bei Regelungen, die Personengruppen betreffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE_102,41 <54>; stRspr).

Abs.27

LB 3) Dabei sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl BVerfGE_88,87 <96>).

Abs.28

LB 4) Deshalb ist der Richter, wenn er Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten zu prüfen und darzulegen, ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in grundrechtlich geschützte Freiheiten eingreift oder Personengruppen ungleich behandelt.

Abs.30

LB 5) Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen werfen ebenfalls keine grundsätzlichen Fragen auf. Es ist geklärt, dass die von Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm verfassungsrechtlich nur zu beanstanden ist, wenn sie willkürlich ist, die Tragweite eines Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl BVerfGE_85,248 <257 f>; BVerfGE_94,372 <396>).

Abs.30

LB 6) Die Verfassungsmäßigkeit des § 5 BNotO ist nach den vom BVerfG entwichelten Maßstäben nicht zweifelhaft.

Abs.37

LB 7) Bei der Übernahme der Diplom-Juristen in juristische Berufe hat der Gesetzgeber die Gleichstellung mittels gesetzlicher Fiktionen bewirkt.

Abs.41

LB 8) Wer als Diplom-Jurist zum Richter auf Lebenszeit ernannt wird, erfüllt die Voraussetzungen des Deutschen Richtergesetzes in der ganzen Bundesrepublik.

Abs.44

LB 9) Auch für die Notare hat der Gesetzgeber entsprechende Fiktionen geschaffen.

Abs.52

LB 10) Das Nebeneinander von Diplom-Juristen und Juristen mit der Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz in den Berufen als Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare wird nach den ausdrücklich getroffenen Regelungen des Gesetzgebers so lange anhalten, wie Diplom-Juristen noch in diesen Berufen tätig sein werden.

Abs.54

LB 11) Eine Auslegung, die für das Anwaltsnotariat in Berlin für solche Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts noch nicht zum Anwaltsnotar bestellt waren, die Befähigung zum Richteramt zwar für den Anwaltsberuf nicht voraussetzt (oder als fingiert ansieht), wohl aber für den Notarberuf fordert, verkennt damit die Reichweite des Art.3 Abs.1 in Verbindung mit Art.12 Abs.1 GG in Ansehung der Gesamtregelung, die der Gesetzgeber zur Integration des Diplom-Juristen getroffen hat.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20.Juli 1998 - NotZ 7/98 -, der Beschluss des Kammergerichts vom 19.Februar 1998 - Not 21 und 31/97 - sowie der Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 30.Oktober 1997 - I-RA Z 212 - verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinen Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wird aufgehoben und das Verfahren an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

2) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.November 1998 - NotZ 13/98 -, der Beschluss des Kammergerichts vom 10.März 1998 - Not 27 und 28/97 - sowie der Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 30.Oktober 1997 - I-RA T 273 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 2) in ihren Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wird aufgehoben und das Verfahren an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

3) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.November 1998 - NotZ 14/98 -, der Beschluss des Kammergerichts vom 10.März 1998 - Not 29 und 30/97 - sowie der Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 30.Oktober 1997 - I-RA G 495 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 3) in ihren Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wird aufgehoben und das Verfahren an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-01-11Zulassung als Anwaltsnotar

23

"Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs.1 BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs.1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichbehandlung und in ihrer Berufsfreiheit (Art.3 Abs.1 und Art.12 Abs.1 GG).

I.

23

Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Grundsätzliche Fragen werfen die vorliegenden Fälle auch nach der Überzeugung, die sich der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Beratung am 9.Mai 2001 gebildet hat, nicht auf.

24

1. Den Beschwerdeführern, die im Zeitpunkt des Beitritts seit mehreren Jahren Diplom-Juristen waren und seit 1990 oder 1991 als Rechtsanwälte praktizieren, wird in den angegriffenen Entscheidungen der Zugang zum Zweitberuf des Notars verwehrt, weil sie keine Voll-Juristen im Sinne des bundesrepublikanischen Rechts sind. Abweichend von der Behandlung der Diplom-Juristen beim Zugang zum Beruf des Richters, Staatsanwalts, Rechtsanwalts und Nur-Notars haben die angegriffenen Entscheidungen der Gruppe der Berliner Rechtsanwälte, die vor oder kurz nach dem Beitritt ihre Berufstätigkeit in Berlin aufgenommen haben, für das Anwaltsnotariat keine wiedervereinigungsbedingten Sonderkonditionen eingeräumt. Sie haben sie auch anders behandelt als die Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts schon Anwaltsnotare in Berlin waren.

25

Derartige Ungleichbehandlungen sind am Maßstab des Art.3 Abs.1 GG zu messen. Berufswahlregelungen berühren zugleich den Schutzbereich von Art.12 Abs.1 GG.

26

2. Die verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz- und Prüfungsumfang bei Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes sind verfassungsrechtlich geklärt und werfen keine Fragen grundsätzlicher Bedeutung mehr auf (vgl BVerfGE_60,123 <133 f>; BVerfGE_82,126 <146>; BVerfGE_100,59 <90>). Art.3 Abs.1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er bei Regelungen, die Personengruppen betreffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE_102,41 <54>; stRspr).

27

Dabei sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl BVerfGE_88,87 <96>).

28

Der Richter ist bei Auslegung und Anwendung der Gesetze an denselben Maßstab gebunden. Ihm sind Differenzierungen verboten, die auch dem Gesetzgeber nicht erlaubt wären (vgl BVerfGE_54,224 <235>; BVerfGE_99,129 <139>). Deshalb ist der Richter, wenn er Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten zu prüfen und darzulegen, ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in grundrechtlich geschützte Freiheiten eingreift oder Personengruppen ungleich behandelt. Ferner ist zu begründen, warum dieser Eingriff oder die Ungleichbehandlung den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Absichten des Gesetzgebers entspricht und verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

29

3. Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass auch die Berufsausübung der Notare unter dem Grundrechtsschutz des Art.12 Abs.1 GG steht (vgl BVerfGE_73,280 <292>) und dass dieser Schutz auch für einen Zweitberuf gilt (vgl BVerfGE_21,173 <179>; BVerfGE_87,287 <316>).

30

4. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen werfen ebenfalls keine grundsätzlichen Fragen auf. Es ist geklärt, dass die von Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm verfassungsrechtlich nur zu beanstanden ist, wenn sie willkürlich ist, die Tragweite eines Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl BVerfGE_85,248 <257 f>; BVerfGE_94,372 <396>).

II.

31

Grundlage der angegriffenen Entscheidungen ist § 5 BNotO, dessen Verfassungsmäßigkeit nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben nicht zweifelhaft ist.

32

1. Die Vorschrift setzt für die Bestellung zum Notar die Befähigung zum Richteramt voraus. Es bedarf keiner vertieften Begründung, dass der Gesetzgeber die Norm für geeignet und erforderlich halten durfte, um die zu schützenden Gemeinwohlbelange in Gestalt der Sicherung der Funktionsfähigkeit der vorsorgenden Rechtspflege und der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu verwirklichen. Sie ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit an den Zugang zum Notariat regelmäßig keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an den Zugang zu den sonstigen juristischen Berufen (Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt).

33

2. An dieser Einschätzung hat der Gesetzgeber indessen nicht uneingeschränkt festgehalten, als die beiden deutschen Staaten zusammengeführt wurden. Der Gesetzgeber hat vielmehr durch zahlreiche Einzelregelungen im Einigungsvertrag und in nachfolgenden Gesetzen sichergestellt, dass die in der Deutschen Demokratischen Republik ausgebildeten und tätigen Diplom-Juristen nach dem Beitritt weiterhin als Juristen tätig sein konnten. Für diesen Personenkreis hat er in allen juristischen Vollberufen Ausnahmen von der sonst einheitlich vorausgesetzten Befähigung zum Richteramt geschaffen.

34

Den Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung bilden daher neben § 5 BNotO diese übergangsrechtlichen Sondernormen für Diplom-Juristen, welche im Gesetzgebungsverfahren als einschneidend, aber angesichts der Wirklichkeit in der Deutschen Demokratischen Republik auch für unvermeidlich gehalten worden sind (vgl die Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag in BTDrucks 11/7817, S.7). III.

35

Die im Zusammenwirken dieser Vorschriften zum Ausdruck gekommene Absicht des Gesetzgebers wird in den angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend gewürdigt. Diese genügen daher den oben genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht. Sie verfehlen eine dem Gleichheitssatz entsprechende Auslegung von § 5 BNotO in Verbindung mit den Normen des Einigungsvertrags und der nachfolgenden Gesetze, die die Rechtsverhältnisse der Rechtsanwälte und der Notare geregelt haben und erkennen lassen, dass einem Diplom-Juristen, der die Voraussetzungen für die Ausübung eines juristischen Berufes nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik erworben hat, jeweils die volle Befähigung zu seiner Ausübung zukommt, sofern ihm der Berufszugang zugleich nach den jeweiligen Übergangsvorschriften erhalten geblieben ist. Die berufsrechtlichen Einschränkungen sind vom Gesetzgeber auf das Unumgängliche zurückgeführt worden. Dieser Erkenntnis haben sich die angegriffenen Entscheidungen verschlossen und damit die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung im Berufsrecht verfehlt.

36

1. Neben die Sicherstellung einer kontinuierlichen Rechtspflege auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, die nur gewährleistet war, wenn die dort ausgebildeten und politisch unbelasteten Juristen weiterhin Rechtspflegeaufgaben wahrnahmen (vgl BTDrucks 11/7817, S.7), trat im Zeitpunkt der Vereinigung der deutschen Staaten auch das öffentliche Interesse an einer Integration der in der Deutschen Demokratischen Republik Berufstätigen als wichtiger öffentlicher Belang hinzu (vgl. zu diesem Gesichtspunkt im öffentlichen Dienst:BVerfGE 92, 140 <154> mit Hinweis auf BTDrucks 11/7817, S.179; s auch Denkschrift zum Einigungsvertrag BTDrucks 11/7760, S.356). So blieben beispielsweise auch die ärztlichen Approbationen und die Handwerkerrechte für die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik erhalten (vgl BTDrucks 11/7817, S.159 und S.130).

37

Bei der Übernahme der Diplom-Juristen in juristische Berufe hat der Gesetzgeber die Gleichstellung mittels gesetzlicher Fiktionen bewirkt.

38

a) Bis zum Beitritt stand nach bundesrepublikanischem Recht fest, dass der Abschluss als Diplom-Jurist dem Zweiten Juristischen Staatsexamen nicht gleichstand (vgl BGH, NJW 1968, S.1047; NJW 1990, S.910). Die juristischen Vollberufe setzten einheitlich die Befähigung zum Richteramt nach § 5 DRiG voraus (vgl § 122 Abs.1 DRiG für die Staatsanwälte, § 5 BNotO für die Notare, § 4 BRAO für die Rechtsanwälte und § 3 Abs.2 BVerfGG für die Verfassungsrichter). Diese Regelung gilt auch gegenwärtig und für die Zukunft, soweit nicht Probleme im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung betroffen sind.

39

Die Diplom-Juristen erfüllten diese Voraussetzungen nicht; dennoch wurden ihnen die juristischen Vollberufe in der Bundesrepublik ab dem Tag des Beitritts eröffnet. Dieser Zugang wurde nicht einmal nur denjenigen vorbehalten, die schon im Zeitpunkt des Beitritts in juristischen Berufen tätig waren; die Ausbildung zum Diplom-Juristen konnte noch danach beendet werden; die notwendige zweijährige Berufspraxis vor Aufnahme des Berufs musste erst spätestens im September 1996 abgeschlossen sein. Die an sich notwendige Qualifikation, die § 5 DRiG und die Verweisungen auf diese Vorschrift in den übrigen berufsregelnden Gesetzen sicherstellen sollen, wurde für diese Übergangszeit zurückgestellt. Bezogen auf einzelne Berufe wurde die Gleichwertigkeit der Ausbildungsgänge fingiert. 40

40

b) Die Diplom-Juristen gelten jeweils als nach den bundesrepublikanischen Vorschriften ernannt, bestellt oder zugelassen.

41

aa) Wer als Diplom-Jurist zum Richter auf Lebenszeit ernannt wird, erfüllt die Voraussetzungen des Deutschen Richtergesetzes in der ganzen Bundesrepublik (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr.8 Buchstabe y Doppelbuchstabe bb EV; vgl auch BTDrucks 11/7817, S.22). Das gilt für die Staatsanwälte entsprechend (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr.8 Buchstabe z Doppelbuchstabe cc EV). Hieraus hat das Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom 24.Juni 1994 die Konsequenz gezogen, dass Staatsanwälten, die in den Richterberuf wechseln wollen, oder Richtern, die als Staatsanwälte eingesetzt werden sollen, nicht entgegengehalten werden kann, ihnen fehle jeweils die für diesen Beruf notwendige Befähigung zum Richteramt nach § 5 oder nach § 122 Abs.1 DRiG.

42

bb) Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts als Rechtsanwälte tätig waren oder später nach dem Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit dem Einigungsvertrag zu diesem Beruf noch zugelassen worden sind, haben 1994 durch Art.21 Abs.2 des Neuordnungsgesetzes ihre volle Gleichstellung erhalten. Sie gelten als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen, wodurch die Erfüllung der dort vorgesehenen Voraussetzungen, also auch des § 4 BRAO, fingiert wird.

43

In Berlin, wo die Bundesrechtsanwaltsordnung unmittelbar durch den Einigungsvertrag eingeführt worden ist, gelten die dort nach dem Rechtsanwaltsgesetz am Tage des Beitritts zugelassenen Anwälte als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr.1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EV). Auch hier wird insofern vom Tage des Beitritts an fingiert, dass die zugelassenen Rechtsanwälte die Voraussetzungen der Bundesrechtsanwaltsordnung, also auch § 4 BRAO, erfüllen. Wer erst später die Befähigung zur Zulassung nach dem Rechtsanwaltsgesetz erworben hat, wird in Berlin ebenfalls als Diplom-Jurist nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen; auch auf diese Personen erstreckt sich die Fiktion (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb EV).

44

cc) Auch für die Notare hat der Gesetzgeber entsprechende Fiktionen geschaffen.

45

In den fünf neuen Ländern war eine solche Gleichstellung zunächst nicht nötig, da die Notariatsverordnung fortgalt. Sie ist jedoch im Jahr 1998 durch Art.13 Abs.2 3.ÄndG BNotO eingeführt worden. Seitdem gelten die Notare in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als nach der Bundesnotarordnung bestellt und können demzufolge auch in den übrigen Ländern zum Notar bestellt werden; in Art.13 Abs.7 3.ÄndG BNotO wird dies nochmals ausdrücklich klargestellt.

46

In Berlin waren die Rechtsanwälte, die am Tage des Wirksamwerdens des Beitritts zu Anwaltsnotaren in eigener Praxis bestellt waren, nach ihrer Zulassung als Rechtsanwalt bei einem Gericht Berlins zugleich auch zu "Anwaltsnotaren nach der Bundesnotarordnung" bestellt. Dies regelt der Einigungsvertrag in Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr.1 Buchstabe b, ohne ausdrücklich eine Befreiung von § 5 BNotO auszusprechen. Dies war auch entbehrlich, da die Anwaltszulassung, wie oben dargestellt, bereits auf der Fiktion beruhte, dass die Voraussetzungen von § 5 DRiG als erfüllt galten.

47

2. a) Bei den drei Beschwerdeführern könnten schon allein nach dem Wortlaut des Einigungsvertrages die Voraussetzungen für eine Zulassung zum Anwaltsnotariat vorliegen. Sie hatten lediglich - wie für die Zulassung am Kammergericht (vgl BTDrucks 11/7817, S.33) - die erforderliche Zeit der Zulassung im Sinne von § 6 Abs.2 Nr.1 und 2 BNotO abzuwarten. Da die Zulassung zur Anwaltschaft im Lande Berlin nur an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der Diplom-Jurist als Anwalt im Zeitpunkt des Beitritts zugelassen war (so die Beschwerdeführerinnen zu 2 und 3) oder dort später die Voraussetzungen für diese Zulassung erfüllte (so der Beschwerdeführer zu 1), gelten alle Beschwerdeführer nach dem Wortlaut des Einigungsvertrages als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen. Personen, die im Sinne des Einigungsvertrages als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen gelten, erfüllen die Voraussetzungen auch für die Zulassung zum Anwaltsnotariat, soweit die Voraussetzungen beider Berufe identisch sind. Ob ein Bewerber um ein Notaramt Voll-Jurist ist, bedarf in Berlin danach keiner erneuten Prüfung. Lediglich für eine Bewerbung um ein Anwaltsnotariat außerhalb Berlins war die ergänzende Regelung in Art.21 Abs.2 Satz 1 des Neuordnungsgesetzes von Bedeutung, die ab 1994 für die Rechtsanwälte des Beitrittsgebiets die Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet hergestellt hat.

48

b) Allein ein solches Verständnis der Normen wird jedenfalls dem Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG unter besonderer Berücksichtigung der Gewährleistung von Art.12 Abs.1 GG gerecht. Sollte der Wortlaut noch andere Auslegungsvarianten zulassen, kommen sie von Verfassungs wegen nicht in Betracht.

49

Es sind keine ausreichend gewichtigen Gründe dafür ersichtlich, den Diplom-Juristen das Anwaltsnotariat zu verschließen, nachdem ihnen das Nur-Notariat nicht nur überall dort offen steht, wo es im Beitrittsgebiet eingeführt worden ist, sondern seit 1998 auch im restlichen Bundesgebiet. An den Anwaltsnotar dürfen nach dem allgemeinen Gleichheitssatz keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an den Nur-Notar, zumal der Gesetzgeber solche Differenzierungen zwischen den beiden Notariatsformen in der Bundesnotarordnung auch im Übrigen nicht kennt. Hierauf hat die Bundesnotarkammer zutreffend hingewiesen.

50

Der ursprüngliche Rechtfertigungsgrund, dass zwar in den fünf neuen Ländern die Rechtspflege ohne gewisse Abstriche an der Qualifikation der Juristen nicht hätte aufrechterhalten werden können, dass dies aber für Berlin nicht in gleichem Maße gelte, überzeugt nicht mehr, nachdem der Gesetzgeber den zu Notaren bestellten Diplom-Juristen die volle Freizügigkeit gewährt hat. Seitdem haben sich die Übergangsvorschriften von der Bedarfslage in den neuen Ländern abgelöst.

51

Ebenso wenig ist der Gedanke der Rechtseinheit im Lande Berlin ein zureichender Grund für die angegriffenen Entscheidungen. Diese Rechtseinheit kann mit keiner Auslegungsvariante hergestellt werden. Denn vom Beitritt an sind dort Diplom-Juristen als Anwaltsnotare zugelassen; sie können auch - jedenfalls mit dem Umweg über eine Zulassung in den neuen Ländern - dort weiterhin zu Notaren bestellt werden. Mit Art.13 Abs.7 3.ÄndG BNotO hat der Gesetzgeber die Rechtseinheit vielmehr definitiv zugunsten der Integration der Diplom-Juristen zurückgestellt, indem er ihnen das Notariat in den alten Ländern zugänglich gemacht hat.

52

c) Das Nebeneinander von Diplom-Juristen und Juristen mit der Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz in den Berufen als Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare wird nach den ausdrücklich getroffenen Regelungen des Gesetzgebers so lange anhalten, wie Diplom-Juristen noch in diesen Berufen tätig sein werden. Es lässt sich dem seit der Wiedervereinigung geltenden Recht als Grundgedanke entnehmen, dass die Diplom-Juristen mit entsprechender Berufserfahrung den Volljuristen gleichgestellt sind, so dass jede Abweichung hiervon besonderer Begründung bedarf. Eine solche Begründung kann gegebenenfalls aus dem Anforderungsprofil eines Berufes abgeleitet werden; dann müssen die Anforderungen aber für dasselbe Amt ausnahmslos durchgesetzt werden.

53

Nachdem der Gesetzgeber ersichtlich die Diplom-Juristen vom Notaramt nicht hat fernhalten wollen, fehlt es im Anwaltsnotariat Berlins insofern an einer stichhaltigen Rechtfertigung für ihren Ausschluss. Die Besonderheiten des Auswahlverfahrens können entgegen der Auffassung des Bundesministeriums der Justiz ebenfalls nicht als Differenzierungsgrund herangezogen werden. Für Bewerber, deren Zeugnis eine Benotung nicht enthält, bestehen schon Sonderregelungen (vgl Nr.12 Abs.2 Buchstabe a der Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom 22.April 1996, ABl Berlin, S.1741). Die Vermeidung von Problemen bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern stellt keinen Gemeinwohlbelang dar, der vor Art.12 Abs.1 GG die vollständige Sperre des Berufszugangs rechtfertigen könnte.

54

d) Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigen die Fiktionen des Einigungsvertrages und der nachfolgenden Gesetze nicht. Ihre Auslegung, die für das Anwaltsnotariat in Berlin für solche Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts noch nicht zum Anwaltsnotar bestellt waren, die Befähigung zum Richteramt zwar für den Anwaltsberuf nicht voraussetzt (oder als fingiert ansieht), wohl aber für den Notarberuf fordert, verkennt damit die Reichweite des Art.3 Abs.1 in Verbindung mit Art.12 Abs.1 GG in Ansehung der Gesamtregelung, die der Gesetzgeber zur Integration des Diplom-Juristen getroffen hat. Die Entscheidungen sind daher aufzuheben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung in der Sache an die letzte Tatsacheninstanz zurückzuverweisen."

 

Auszug aus BVerfG B, 26.09.01, - 1_BvR_1740/98 -, www.BVerfG.de,  Abs.23 ff

§§§

01.033 NPD-Parteiverbotsverfahren

  1. BVerfG,     B, 01.10.01,     – 2_BvB_1/01 –

  2. BVerfGE_104,63 = www.BVerfG.de

  3. BVerfGG_§_45;

  4. NPD.Verbotsverfahren / Durchführungsanordnung

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die Verhandlung über die Anträge des Deutschen Bundestags, des Bundesrats und der Bundesregierung, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) für verfassungswidrig zu erklären, ist durchzuführen.

§§§

01.034 Schuldnerspiegel-Internet

  1. BVerfG,     B, 09.10.01,     – 1_BvR_622/01 –

  2. BVerfGE_104,65 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.1 +2, GG_Art.17; BVerfGG_§_92; BGB_§_1004, BGB_§_823

  4. Erschöpfung / Rechtsweg / Hauptsache / Abhilfe /

T-01-12

LB 1) die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache ist geboten, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl BVerfGE_79,275 <278 f>; BVerfGE_86,15 <22 f> ; stRspr). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl BVerfGE_86,15 <22>).

Abs.30

LB 2) Die Problematik der Prangerwirkung des Schuldnerspiegels hat das Oberlandesgericht auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb entschieden. Vorliegend besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Gerichte bei der im Hauptsacheverfahren gebotenen umfassenden Sachprüfung den Besonderheiten einer Veröffentlichung im Internet gesteigertes Augenmerk widmen und eine hierauf zugeschnittene Lösung entwickeln.

Abs.31

LB 3) Dem Hauptsacheverfahren kann grundsätzliche Bedeutung zukommen, weil die Zivilgerichte bei der rechtlichen Bewertung von Internetkommunikation inhaltlich Neuland betreten.

Abs.32

LB 4) Es wird von den Zivilgerichten daher zu prüfen sein, ob die mit der im Internet erfolgenden öffentlichen Anprangerung einer Person als Schuldner verbundenen nachteiligen Wirkungen Besonderheiten bei der rechtlichen Würdigung, insbesondere bei der Abwägung mit den ebenfalls grundrechtlich geschützten Kommunikationsinteressen der Domain-Inhaber, bewirken.

Abs.37

LB 5) Die Nutzung des erst im Aufbau befindlichen und daher mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbundenen Internet für eine neuartige, Dritte gezielt in ihren grundrechtlich geschützten Positionen belastende Tätigkeit ist mit einem rechtlichen Risiko verbunden. Dies besteht auch darin, gegebenenfalls eine gerichtliche Klärung abwarten zu müssen, die in der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes im Interesse der Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses die Einschaltung mehrerer Instanzen vorsieht.

* * *

T-01-12Subsidiaritätsgrundsatz

23

"Einer Sachprüfung der auf eine Verletzung der Grundrechte aus Art.5 Abs.1 Satz 1 und 2, Art.17 GG gestützten Rüge steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

24

1. Die angegriffenen Entscheidungen sind im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen. Der in diesem Verfahren zulässige Rechtsweg ist erschöpft, da die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts gemäß § 545 Abs.2 Satz 1 ZPO nicht zulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert der Grundsatz der Subsidiarität im materiellen Sinne jedoch zusätzlich, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese gar zu verhindern. Daher ist die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl BVerfGE_79,275 <278 f>; BVerfGE_86,15 <22 f> ; stRspr). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl BVerfGE_86,15 <22>). Mit dem Vorbringen, sie sei in ihrem Grundrecht aus Art.5 Abs.1 und Art.17 GG verletzt, erhebt die Beschwerdeführerin vorliegend Rügen, die das Hauptsacheverfahren betreffen.

25

Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg erschöpft, soweit sie nach § 926 Abs.1 ZPO den Antrag auf Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage gestellt hat (vgl zu dieser Voraussetzung auch BVerfGE_75,318 <325>). Über die von der Verfügungsklägerin daraufhin erhobene Klage ist jedoch noch nicht entschieden worden.

26

2. Die Voraussetzungen, unter denen vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung in der Hauptsache abgesehen werden könnte, liegen nicht vor.

27

Ein Beschwerdeführer darf bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen, dann nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein aussichtslos erscheinen muss (vgl BVerfGE_70,180 <186>), oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs.2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl BVerfGE_79,275 <279>; BVerfGE_86,15 <22 f>).

28

a) Das Oberlandesgericht hat zwar die für die Beurteilung maßgeblichen Rechtsfragen schon im Verfügungsverfahren nicht nur summarisch geprüft. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen aber auf der Beurteilung schwieriger rechtlicher Fragen, die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht höchstrichterlich entschieden sind. Das Hauptsacheverfahren bietet daher Möglichkeiten weiterer Klärung.

29

aa) Dies gilt zum einen für die Rüge der Verletzung des Art.5 Abs.1 Satz 1 und 2 GG.

30

Die Problematik der Prangerwirkung der hier in Rede stehenden Veröffentlichung hat das Oberlandesgericht auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb entschieden. Vorliegend besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Gerichte bei der im Hauptsacheverfahren gebotenen umfassenden Sachprüfung den Besonderheiten einer Veröffentlichung im Internet gesteigertes Augenmerk widmen und eine hierauf zugeschnittene Lösung entwickeln. Auch kann das Hauptsacheverfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zur Anrufung des Bundesgerichtshofs führen (vgl § 543 Abs.1 Nr.1, Abs.2 Nr.1 und § 544 ZPO nF).

31

Dem Hauptsacheverfahren kann grundsätzliche Bedeutung zukommen, weil die Zivilgerichte bei der rechtlichen Bewertung von Internetkommunikation inhaltlich Neuland betreten. Das Internet ist ein weltumspannender, in schnellem Wachstum begriffener Zusammenschluss zahlreicher öffentlicher und privater Computernetze. Es ist für den Informationsaustausch zwischen bestimmten Teilnehmern verfügbar (etwa für die Versendung von e-mails), aber auch für die mit dem "Schuldnerspiegel" beabsichtigte Kommunikation an eine unbestimmte und grundsätzlich unbegrenzte Öffentlichkeit. Die Nutzbarkeit wird durch eine Vielzahl von Suchdiensten erleichtert, die ein systematisches Auffinden einzelner Informationen aus großen Datenmassen erleichtern und es zum Beispiel erlauben, das Internet nach bestimmten Informationstypen oder konkreten Informationen durchzusehen und in kurzer Zeit die jeweils interessierende Information zu identifizieren. Es ermöglicht ferner spezifische Formen der Informationsverknüpfung unter Einbeziehung anderer im Netz verfügbarer Inhalte. Die Information kann für einen langen oder gar unbegrenzten Zeitraum bereitgehalten werden.

32

Derartige Besonderheiten des Internet können dazu führen, dass eine Information schnell für alle verfügbar ist, die an ihr interessiert sind, und dass sie mit anderen relevanten Informationen leicht kombiniert werden kann. Es wird von den Zivilgerichten daher zu prüfen sein, ob die mit der im Internet erfolgenden öffentlichen Anprangerung einer Person als Schuldner verbundenen nachteiligen Wirkungen Besonderheiten bei der rechtlichen Würdigung, insbesondere bei der Abwägung mit den ebenfalls grundrechtlich geschützten Kommunikationsinteressen der Domain-Inhaber, bewirken. Auch werden die Gerichte klären müssen, wie weit die von der Beschwerdeführerin verfolgten Zwecke und die beabsichtigte redaktionelle Bearbeitung der zunächst von Gläubigern bereitgestellten Informationen rechtserheblich sind. Dabei ist es auch Aufgabe der Zivilgerichte, die Ausstrahlungswirkung der betroffenen Grundrechte in das einfache Recht zu berücksichtigen.

33

Damit besteht die Aussicht, dem Bundesverfassungsgericht für den Fall einer gegen die letztinstanzliche Hauptsachenentscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde die vertieft begründete Rechtsauffassung der Fachgerichte unter Einschluss des Bundesgerichtshofs zu vermitteln; zugleich wird auf diese Weise der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren (vgl BVerfGE_68,376 <380> mwN).

34

bb) Bei der vorherigen fachgerichtlichen Prüfung können auch die Gesichtspunkte gewürdigt werden, auf denen die Rüge der Verletzung des Petitionsrechts aus Art.17 GG beruht.

35

Die angegriffenen Entscheidungen unterbinden den Zugang eines Schreibens an die öffentliche Hand, also an eine nach Art.17 GG "zuständige Stelle". Das gerichtliche Verbot gilt aber der Durchsetzung eines von der Verfügungsklägerin geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruchs. Für die Entscheidung in der Hauptsache bedarf es der Klärung, ob der Schutzbereich des Art.17 GG unter diesen Umständen berührt ist beziehungsweise wie weit Art.17 GG im Rahmen mittelbarer Drittwirkung von Grundrechten auf zivilrechtliche Beziehungen einwirken kann.

36

b) Die Zumutbarkeit des Abwartens einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren scheitert auch nicht daran, dass die Beschwerdeführerin vorträgt, von der Eilentscheidung der Zivilgerichte in existentieller Weise betroffen zu sein, so dass ihr ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne des § 90 Abs.2 Satz 2 BVerfGG entstehe.

37

Die Nutzung des erst im Aufbau befindlichen und daher mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbundenen Internet für eine neuartige, Dritte gezielt in ihren grundrechtlich geschützten Positionen belastende Tätigkeit ist mit einem rechtlichen Risiko verbunden. Dies besteht auch darin, gegebenenfalls eine gerichtliche Klärung abwarten zu müssen, die in der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes im Interesse der Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses die Einschaltung mehrerer Instanzen vorsieht. Dazu wird ungeachtet des rechtsstaatlichen Gebots der Zügigkeit gerichtlicher Verfahren notwendigerweise Zeit benötigt. Das Abwarten der fachgerichtlichen Prüfung der im Instanzenzug ergehenden letztinstanzlichen Entscheidung dient auch der Rechtssicherheit und kommt daher grundsätzlich allen von dem Rechtsstreit Betroffenen zugute."

 

Auszug aus BVerfG B, 09.10.01, - 1_BvR_622/01 -, www.BVerfG.de,  Abs.23 ff

§§§

01.035 "Kalte Enteignung"

  1. BVerfG,     B, 10.10.01,     – 1_BvL_17/00 –

  2. BVerfGE_104,74 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1; EntschG_§_1 Abs.3

  4. Entschädigungsgesetz / Gleichheitssatz / Vereinbarkeit.

 

§ 1 Abs.3 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vom 27.September 1994 ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG unvereinbar und nichtig. Deshalb ist auch für Mietshausgrundstücke im Beitrittsgebiet, die in der Deutschen Demokratischen Republik auf Grund nicht kostendeckender Mieten und infolgedessen eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Überschuldung durch Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurden und nicht in Natur zurückgegeben werden können, eine Entschädigung zu gewähren.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 1 Absatz 3 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz - EntschG) vom 27.September 1994 (Bundesgesetzblatt I Seite 2624) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

§§§

01.036 Blockadeaktion

  1. BVerfG,     B, 24.10.01,     – 1_BvR_1190/90 –

  2. BVerfGE_104,92 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.8, GG_Art.103 Abs.2; StGB_§_240 Abs.1, StGB_§_240 Abs.2

  4. § 240/1 StGB / körperliche Anwesenheit / psychische Barriere / Gewalt / Nötigung / Versammlung / Selbstbestimmungsrecht / Rechte anderer.

 

1) Art.103 Abs.2 GG ist nicht verletzt, wenn die Strafgerichte das Tatbestandsmerkmal der Gewalt in § 240 Abs.1 StGB auf Blockadeaktionen anwenden, bei denen die Teilnehmer über die durch ihre körperliche Anwesenheit verursachte psychische Einwirkung hinaus eine physische Barriere errichten.

 

2) Versammlung im Sinne des Art.8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

 

3) Das Selbstbestimmungsrecht der Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinsichtlich Ziel und Gegenstand sowie über Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben.

 

4) Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Prüfung der Verwerflichkeit nach § 240 Abs.2 StGB.

 

LB 5) Zur abweichenden Meinung der Richterin Dr Haas, siehe BVerfGE_104,115 = www.BVerfG.de, Abs.70 ff.

 

LB 6) Zur abweichenden Meinung der Richterin Jaeger und des Richters Prof Dr Bryde, siehe BVerfGE_104,124 = www.BVerfG.de, Abs.95 f.

§§§

01.037 Dienstbeschädigungsteilrenten

  1. BVerfG,     B, 21.11.01,     – 1_BvL_19/93 –

  2. BVerfGE_104,126 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1; AAÜG_§_9 Abs.1 Nr.2 S.2, AAÜG_§_11 Abs.2, AAÜG_§_11 Abs.5 S.2

  4. Wiedervereinigung / DDR / Dienstbeschädigungsteilrenten / Beendung / ostdeutsche Unfallrente / Überführung / gesetzliche Unfallversicherung.

 

Es verstößt gegen Art.3 Abs.1 GG, wenn der Gesetzgeber im Zuge der Wiedervereinigung die Zahlung von Dienstbeschädigungsteilrenten beendet, die den Angehörigen von Sonderversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausgleich einer durch Dienstunfall oder Diensterkrankung verursachten Beschädigung gewährt wurden, demgegenüber aber die ostdeutschen Unfallrenten in die gesamtdeutsche gesetzliche Unfallversicherung überführt.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) § 9 Absatz 1 Nummer 2 Satz 2 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) vom 25.Juli 1991 (Bundesgesetzblatt I Seite 1606, 1677) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit auf Grund der in der Vorschrift angeordneten Anrechnung die Dienstbeschädigungsteilrente wegfällt.

2) § 11 Absatz 2 und Absatz 5 Satz 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes sowie § 11 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 5 Satz 2 dieses Gesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG-Änderungsgesetz - AAÜG-ÄndG) vom 11.November 1996 (Bundesgesetzblatt I Seite 1674) sind mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit danach Dienstbeschädigungsteilrenten nicht gewährt werden.

3) Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.Mai 1994 - RA 49/93 -, das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. August 1993 - L 1 An 44/92 -, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. August 1992 - S (KG) 8 An 4/92 - und der Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamtes VII vom 23.Juli 1991 - 67-01-00 - in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Wehrbereichsverwaltung VII in Strausberg vom 3.Dezember 1991 - II B 4 Az 20-01-10 - verletzen den Beschwerdeführer zu 1 in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zurückverwiesen.

4) Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Mai 1994 - 4 RA 47/93 -, das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. August 1993 - L 1 An 40/92 -, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 30. Juni 1992 - S 5 An 138/92 - und der Bescheid der Bezirksregierung Halle vom 20. September 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1992 - 14.P - verletzen den Beschwerdeführer zu 2 in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zurückverwiesen.

5) Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. September 1994 - 4 RA 7/94 -, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Mai 1993 - S 4 An 9/93 - und der Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamtes VII vom 29.Mai 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Wehrbereichsverwaltung VII in Strausberg vom 18.Dezember 1992 - II B 4.030 Az 20-01-10 - verletzen den Beschwerdeführer zu 3 in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialgericht Halle zurückverwiesen.

6) Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.Dezember 1994 - 4 RA 23/94 -, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 20.Januar 1994 - L 2 An 27/93 -, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8.Juli 1993 - S 3a An 829/92 - und der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes - Außenstelle Berlin-Lichtenberg - vom 31.Juli 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7.November 1991 - IX 4 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 4 in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht für das Land Brandenburg zurückverwiesen.

7) Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

01.038 Nato-Konzept

  1. BVerfG,     U, 22.11.01,     – 2_BvE_6/99 –

  2. BVerfGE_104,151 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.24 Abs.2, GG_Art.59 Abs.2 S.1

  4. Sicherheitssystem / Einordnung / Zustimmung - Gesetzgeber / Fortentwicklung.

 

1) Die Einordnung Deutschlands in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit bedarf nach Art.24 Abs.2 iVm Art.59 Abs.2 Satz 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers.

 

2) Die Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art.24 Abs.2 GG, die keine Vertragsänderung ist, bedarf keiner gesonderten Zustimmung des Bundestags.

 

3) Die Zustimmung der Bundesregierung zur Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit darf nicht die durch das Zustimmungsgesetz bestehende Ermächtigung und deren verfassungsrechtlichen Rahmen gem Art.24 Abs.2 GG überschreiten. 3) Die Zustimmung der Bundesregierung zur Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit darf 6? v? nicht die durch das Zustimmungsgesetz bestehende Ermächtigung und deren verfassungsrechtlichen Rahmen gem Art.24 Abs.2 GG überschreiten.

 

4) Der Bundestag wird in seinem Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt verletzt, wenn die Bundesregierung die Fortentwicklung des Systems jenseits der ihr erteilten Ermächtigung betreibt.

 

5) Die Fortentwicklung darf nicht die durch Art.24 Abs.2 GG festgelegte Zweckbestimmung des Bündnisses zur Friedenswahrung verlassen.

 

6) Das neue Strategische Konzept der NATO von 1999 ist weder ein förmlich noch ein konkludent zu Stande gekommener Vertrag.

§§§

01.039 Vorabentscheidung

  1. BVerfG,     B, 22.11.01,     – 2_BvB_1/01 –

  2. BVerfGE_104,214 = www.BVerfG.de

  3. EGV_Art.234 Abs.1 Buchst.a, EGV_Art.191

  4. Gemeinschaftsrecht - vertragliches / Auslegung / Vorabentscheidung.

T-01-13

LB 1) Die Voraussetzungen für die Vorlage auf Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof nach Art.234 Abs.1 Buchstabe a EGV liegen nicht vor. Fragen der Auslegung von vertraglichem Gemeinschaftsrecht bedürfen keiner Klärung.

Abs.15

LB 2) Eine Zuständigkeit zur Regelung des Rechts der politischen Parteien hat die Gemeinschaft nach geltendem Vertragsrecht nicht.

Abs.18

LB 3) Es fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten darüber zu entscheiden, welche Parteien sich an der Wahl beteiligen dürfen.

Abs.19

LB 4) Allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechtsschutz begründen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ebenfalls keine vorlagefähige Frage.

* * *

T-01-13Vorabentscheidung EuGH

14

"1. Die Voraussetzungen für die Vorlage auf Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof nach Art.234 Abs.1 Buchstabe a EGV liegen nicht vor. Fragen der Auslegung von vertraglichem Gemeinschaftsrecht bedürfen keiner Klärung.

15

Eine Zuständigkeit zur Regelung des Rechts der politischen Parteien hat die Gemeinschaft nach geltendem Vertragsrecht nicht. Das Gemeinschaftsrecht beschränkt sich auf die Regelung des Art.191 EGV. Diese Vorschrift bestimmt:

16

"Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen."

17

Die Norm erkennt die Funktion der politischen Parteien auf europäischer Ebene im Prozess der europäischen Integration an und ist insoweit die Grundlage für die Bildung von gemeinsamen Fraktionen der als Mitglieder bestimmter nationaler Parteien gewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament.

18

Eine Aussage dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine politische Partei durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union verboten werden kann, enthält das Gemeinschaftsrecht nicht. Die Beteiligung einer Partei auf mitgliedstaatlicher Ebene an einer Wahl zum Europäischen Parlament wirft keine gemeinschaftsrechtlichen Fragen auf. Regelung und Durchführung einer solchen Wahl sind nach Art.190 EGV iVm Art.7 Abs.2 DWA Sache der Mitgliedstaaten. Es fällt folglich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten darüber zu entscheiden, welche Parteien sich an der Wahl beteiligen dürfen. Das folgt auch aus Art.12 Abs.2 DWA der das Freiwerden eines Mandats im Europäischen Parlament auf Grund des innerstaatlichen Rechts regelt. Zu den den Staaten bei Beschluss des Direktwahlakts bekannten Gründen für den Verlust des Mandats gehört auch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei. Folglich normiert § 22 Abs.2 Nr.5 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.März 1994 (Europawahlgesetz - EuWG; BGBl I S.423, ber S.555 ) entsprechend § 46 Abs.1 Nr.5 BWahlG, dass ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei des Abgeordneten durch das Bundesverfassungsgericht nach Art.21 Abs.2 Satz 2 GG verliert.

19

Allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechtsschutz begründen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ebenfalls keine vorlagefähige Frage. Die Anwendbarkeit dieser Grundsätze setzt voraus, dass entweder die Gemeinschaft selbst oder aber ein Mitgliedstaat im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts tätig wird. Eine allgemeine Bindung der Mitgliedstaaten an die konstitutionellen Vorschriften des Unions- und Gemeinschaftsrechts besteht nicht (stRspr; vgl EuGH, Urteil vom 18.Juni 1991, Rs.C-260/89, Slg.1991, I-2925; vgl auch Art.51 Charta der Grundrechte der EU).

20

2. Auch eine Vorlage gemäß Art.234 Abs.1 Buchstabe b EGV wäre unzulässig. Danach entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die "Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft". Insoweit käme allein der genannte Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Betracht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine auf der Grundlage vertraglicher Ermächtigung ergangene Handlung der Organe der Gemeinschaft, sondern um einen ratifizierungsbedürftigen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des EG-Vertrags (vgl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 18.Februar 1999, Rs.24833/94, Matthews gegen Vereinigtes Königreich Rn.31 ff). 21

21

3. Eine Vorlage gemäß Art.68 Abs.1 EGV kommt nicht in Betracht, weil die zur Entscheidung stehenden Fragen nicht den freien Personenverkehr im Sinne der Art.61 ff EGV berühren.

22

4. Eine Vorlage zum Recht des Vertrags über die Europäische Union gemäß Art.46 EUV in Verbindung mit Art.234 EGV wäre ebenfalls nicht zulässig. Insoweit kommt nur Art.46 Buchstabe d EUV in Betracht. Danach gelten die Bestimmungen des Art.234 EGV nur für die Vorschriften des Art.6 Abs.2 EUV und dies nur in Bezug auf Handlungen der Organe. Bei dem hier in Frage stehenden Verfahren auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei gemäß Art.21 Abs.2 GG stehen jedoch Handlungen des Europäischen Rates oder der Europäischen Gemeinschaftsorgane nicht in Rede. Soweit der Vertrag über die Europäische Union gemäß Art.6 Abs.1 EUV gegebenenfalls materielle Anforderungen an die mitgliedstaatlichen verfassungsmäßigen Ordnungen auch für die Parteiverbote ergeben sollte, schiede eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof demnach bereits deswegen aus, weil der Gerichtshof für die Auslegung der Vorschrift insoweit nicht zuständig ist."

 

Auszug aus BVerfG B, 22.11.01, - 2_BvB_1/01 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.14 ff

§§§

01.040 Abschiebungshaft

  1. BVerfG,     B, 05.12.01,     – 2_BvR_527/99 –

  2. BVerfGE_104,220 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.19 Abs.4; AuslG_§_57 Abs.1; FEVG_§_11

  4. Inhaftierung / Freiheitsverlust / Rehabilitierungsinteresse / Rechtsschutzbedürfnis / nach Erledigung der Maßnahme.

 

1) Ein Freiheitsverlust durch Inhaftierung (hier: Abschiebungshaft) indiziert ein Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen, das ein von Art.19 Abs.4 GG umfasstes Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit auch dann begründet, wenn die Maßnahme erledigt ist.

 

2) Die Gewährung von Rechtsschutz kann hier weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon abhängen, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden kann (Ergänzung zu BVerfGE_96,27).

§§§

01.041 Moratorium Gorleben

  1. BVerfG,     B, 05.12.01,     – 2_BvG_1/00 –

  2. BVerfGE_104,238 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.20 Abs.3, GG_Art.20a, GG_Art.87 Abs.3 S.1

  4. Bund Kompetenzausübungsschranke / bundesfreundliches Verhalten / Akzessorietät / Rechtsposition der Länder / Vollzug bestimmter Gesetze.

 

Als Kompetenzausübungsschranke für den Bund setzt der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens wegen seiner Akzessorietät eine korrespondierende Rechtsposition der Länder voraus. Allein der Umstand, dass das Land für den Vollzug bestimmter Gesetze zuständig ist, begründet noch keine solche Rechtsposition.

§§§

01.042 Ehrenamtl-Parteileistungen

  1. BVerfG,     B, 06.12.01,     – 2_BvE_3/94 –

  2. BVerfGE_104,287 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. PartG_§_26 Abs.4 S.1, PartG_§_26 Abs.4 S.2

  4. Parteienfinanzierung / ehrenamtliche Leistungen / Nichtberücksichtigung.

 

Zur Nichtberücksichtigung ehrenamtlicher Leistungen von Parteimitgliedern im Recht der staatlichen Parteienfinanzierung.

§§§

01.043 IHK-Zwangsmitgliedschaft

  1. BVerfG,     B, 07.12.01,     – 1_BvR_1806/98 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.9 Abs.1; BVerfGG_§_93a Abs.2; IHKG_§_3 Abs.2 S.1,

  4. Vereinigungsfreiheit / Schutz / Eingliederung / öffentlich-rechtliche Körperschaft / privatrechtlicher freiwilliger Zusammenschluss / Fernbleiberecht / Zwangskorporation / Prüfungsmaßstab.

Abs.28

LB 1) Art.9 Abs.1 GG schützt nicht vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlichrechtliche Körperschaft (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_10,354 <361 f>; BVerfGE_15,235 <239>; BVerfGE_38,281 <297 f>).

Abs.29

LB 2) Der Schutz der Vereinigungsfreiheit greift ein, wenn es um einen privatrechtlichen Zusammenschluss natürlicher oder juristischer Personen geht, der auf Dauer angelegt ist, auf der Basis der Freiwilligkeit erfolgt, zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks konstituiert ist und eine organisierte Willensbildung aufweist.

Abs.30

LB 3) Auch aus der Entstehungsgeschichte folgt, dass Art.9 Abs.1 GG nicht im Sinne eines umfassenden Fernbleiberechts gegenüber öffentlichrechtlichen Verbänden verstanden werden kann.

Abs.34

LB 4) Wenn vom Bundesverfassungsgericht der Schutzbereich des Art.9 Abs.1 GG in ständiger Rechtsprechung auf das Recht ausgedehnt wird, einer Vereinigung fernzubleiben (vgl BVerfGE_10,89 <102> ; BVerfGE_50,290 <354>), so reicht dieser Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit daher nicht weiter als der Schutzbereich der positiven Gewährleistung. Den Bürgerinnen und Bürgern ist die Freiheit garantiert, sich auf freiwilliger Basis zusammenzuschließen, und der Staat darf nicht andere Bürger zwingen, sich diesem freiwilligen Zusammenschluss anzuschließen.

Abs.35

LB 5) Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art.2 Abs.1 GG (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_10,354 <363>; BVerfGE_15,235 <239>; BVerfGE_38,281 <297 f>).

Abs.37

LB 6) Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbands mit Zwangsmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche Aufgaben erfüllt (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_15,235 <241>; BVerfGE_38,281 <299>). Damit sind Aufgaben gemeint, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss (vgl BVerfGE_38,281 <299>). Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Staat ein weites Ermessen zu.

Abs.38

LB 7) Die Änderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zum Beispiel die Änderung der Struktur von den in den Kammern zusammengefassten Unternehmen und die Entwicklung des Verbandswesens im entsprechenden Bereich, verlangt vom Gesetzgeber allerdings die ständige Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine öffentlichrechtliche Zwangskorporation noch bestehen.

Abs.40

LB 8) Die Organisation dieser öffentlichen Aufgabe in einer Selbstverwaltungskörperschaft mit Zwangsmitgliedschaft ist auch im Lichte der geänderten Verhältnisse noch verhältnismäßig, nämlich geeignet und erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne.

* * *

T-01-14Verfassungsmäßigkeit

22

"Die Verfassungsbeschwerde ist mangels Vorliegens der Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs.2 BVerfGG) nicht zur Entscheidung anzunehmen.

23

Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit der Zwangsmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer mit dem Grundgesetz lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE_15,235 ff; BVerfGE_38,281 ff) beantworten.

24

Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Verfassungsbeschwerde ist zum Teil unzulässig, im Übrigen unbegründet.

I.

25

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie mittelbar gesondert gegen § 3 Abs.2 Satz 1 in Verbindung mit Abs.3 IHKG (auch) in der neuesten, ab 1.Januar 1998 und ab 1.Januar 1999 wirksamen Fassung gerichtet ist. Hinsichtlich der Neufassung ist die Beschwerdeführerin nicht beschwert, da die neue Fassung dem Ausgangsverfahren noch nicht zugrunde lag (vgl BVerwGE_107,169 <170>). Insoweit ist auch der Rechtsweg noch nicht erschöpft. Zudem fehlt es an einer ausreichenden Substantiierung.

II.

26

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die Pflichtmitgliedschaft der Beschwerdeführerin in einer Industrie- und Handelskammer ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

27

1. Der Schutzbereich von Art.9 Abs.1 GG ist nicht berührt.

28

Art.9 Abs.1 GG schützt nicht vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlichrechtliche Körperschaft (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_10,354 <361 f>; BVerfGE_15,235 <239>; BVerfGE_38,281 <297 f>).

29

a) Der Schutz der Vereinigungsfreiheit greift ein, wenn es um einen privatrechtlichen Zusammenschluss natürlicher oder juristischer Personen geht, der auf Dauer angelegt ist, auf der Basis der Freiwilligkeit erfolgt, zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks konstituiert ist und eine organisierte Willensbildung aufweist (vgl Löwer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd.1, 5.Aufl 2000, Art.9 Rn.27 ff; Bauer, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Bd.I, 1996, Art.9 Rn.33 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 38.Erg-Lief 2001, Art.9 Rn.57; Rinken, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Alternativkommentar, 3.Aufl 2001, Art.9 Abs.1 Rn.46; Kemper, in: v Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd.1, 4.Aufl 1999, Art.9 Rn.78). Damit ist das Element der Freiwilligkeit für den in Art.9 Abs.1 GG verwandten Vereinsbegriff konstituierend. Vereinigungen, die ihre Entstehung und ihren Bestand nicht grundrechtsinitiierter Freiwilligkeit verdanken - wie hier die Industrie- und Handelskammer -, unterfallen daher von vornherein nicht dem Vereinsbegriff des Art.9 Abs.1 GG.

30

b) Auch aus der Entstehungsgeschichte folgt, dass Art.9 Abs.1 GG nicht im Sinne eines umfassenden Fernbleiberechts gegenüber öffentlichrechtlichen Verbänden verstanden werden kann.

31

Schon im Verfassungskonvent von Herrenchiemsee wurde der Vorschlag der Ergänzung der Vereinigungsfreiheit um eine Regelung, dass niemand solle gezwungen werden dürfen, sich einer Vereinigung anzuschließen, abgelehnt. Die Ablehnung gründete sich auf die möglicherweise bestehende Notwendigkeit, auch künftig Angehörige bestimmter Berufe in öffentlich-rechtlichen Organisationen verpflichtend zusammenzufassen (Dt Bundestag/Bundesarchiv , Der Parlamentarische Rat. 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd.2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, bearbeitet von Peter Bucher, 1981, Dok Nr.14, S.514 f).

32

Auf dieser eindeutigen Stellungnahme bauen die Beratungen des Parlamentarischen Rats auf. Dieser trennte die allgemeine Vereinigungsfreiheit von den arbeitsverfassungsrechtlichen Problemen, fasste aber beide Aspekte der Vereinigungsfreiheit in einen Artikel, wobei nur für die Koalitionsfreiheit ein ausdrückliches Fernbleiberecht diskutiert wurde (Dt. Bundestag/Bundesarchiv , Der Parlamentarische Rat, 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd.7: Entwürfe zum Grundgesetz, bearbeitet von Michael Hollmann, 1995, Dok Nr.1, S.4; Bd.5/1: Ausschuss für Grundsatzfragen, bearbeitet von Eberhard Pikart und Wolfram Werner, 1993, Dok Nr.7, S.123 ff.; Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 1948/49, S. 569 ff).

33

Den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats war in dieser Diskussion die Existenz berufsständischer Zwangszusammenschlüsse bewusst. Diesen alten Traditionszusammenhang wollten sie weder unterbrechen noch aufheben, sonst hätte dies besonders zum Ausdruck gebracht werden müssen.

34

c) Wenn vom Bundesverfassungsgericht der Schutzbereich des Art.9 Abs.1 GG in ständiger Rechtsprechung auf das Recht ausgedehnt wird, einer Vereinigung fernzubleiben (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_50,290 <354>), so reicht dieser Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit daher nicht weiter als der Schutzbereich der positiven Gewährleistung. Den Bürgerinnen und Bürgern ist die Freiheit garantiert, sich auf freiwilliger Basis zusammenzuschließen, und der Staat darf nicht andere Bürger zwingen, sich diesem freiwilligen Zusammenschluss anzuschließen.

35

2. Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art.2 Abs.1 GG (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_10,354 <363>; BVerfGE_15,235 <239>; BVerfGE_38,281 <297 f>).

36

Diese Vorschrift stellt ein hinreichendes Instrument zur Abwehr unnötiger Pflichtverbände dar und erlaubt damit auch, dem Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung, das Art.9 Abs.1 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE_38,281 <303>; BVerfGE_50,290 <353>) zugrunde liegt, gerecht zu werden. Zugleich lässt dieser Prüfungsmaßstab aber dem Staat genügende Gestaltungsfreiheit, damit er seine Aufgaben angemessen wahrnehmen kann. Zwangsverbände sind danach nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist.

37

a) Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbands mit Zwangsmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche Aufgaben erfüllt (vgl BVerfGE_10,89 <102>; BVerfGE_15,235 <241>; BVerfGE_38,281 <299>). Damit sind Aufgaben gemeint, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss (vgl BVerfGE_38,281 <299>). Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Staat ein weites Ermessen zu.

38

Die Änderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zum Beispiel die Änderung der Struktur von den in den Kammern zusammengefassten Unternehmen und die Entwicklung des Verbandswesens im entsprechenden Bereich, verlangt vom Gesetzgeber allerdings die ständige Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine öffentlichrechtliche Zwangskorporation noch bestehen. Dies hat der Gesetzgeber bei der letzten Gesetzesreform im Jahre 1998 überprüft und bejaht, wie die begleitende Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. April 1998 (vgl BTDrucks 13/10297, S.1; BTProtokoll 13/227, S.20897 ff <20901>) zeigt. Nach dem Entschließungsantrag kommt vornehmlich der Herstellung eines "Gesamtinteresses" Bedeutung zu. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nach wie vor von der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Kammern ausgeht.

39

§ 1 IHKG weist den Kammern Aufgaben in der Wirtschaftsförderung zu. Es begegnet von Verfassungs wegen keinen Bedenken, wenn der Staat sich bei der öffentlichen Aufgabe der Wirtschaftsförderung der Hilfe von Selbstverwaltungseinrichtungen bedient, die er aus der Wirtschaft selbst heraus sich bilden lässt und die durch ihre Sachkunde die Grundlagen dafür schaffen helfen, dass staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen (vgl BVerfGE_15,235 <240 ff.>). Das Bundesverfassungsgericht hat als zwei unterscheidbare Aufgabenkomplexe die "Vertretung der gewerblichen Wirtschaft" und die "Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet" benannt und beide als legitime öffentliche Aufgaben eingeordnet ( BVerfGE_15,235 <241>). In der Aufgabenstellung der Kammern s ind die beiden Komplexe nicht getrennt, sondern - wie auch der Wortlaut des § 1 IHKG deutlich macht ("dabei") - in der Sicht des Gesetzgebers in einer für Wirtschaftsverwaltung mithilfe von Selbstverwaltungseinrichtungen spezifischen Weise verbunden. Die Organisation der Wirtschaftssubjekte in einer Selbstverwaltungskörperschaft soll Sachverstand und n Interessen bündeln, sie strukturiert und ausgewogen in de d wirtschaftspolitischen Willensbildungsprozess einbringen un gleichzeitig den Staat in der Wirtschaftsverwaltun e entlasten. Gerade diese Kombination rechtfertigt die Annahm einer öffentlichen Aufgabe, ohne dass es darauf ankommt, o einzelne dieser Aufgaben auch in anderer Form wahrgenommen werden könnten. Insbesondere handelt es sich nicht um eine reine Inte ressenvertretung wie Fachverbände sie wahrnehmen, sondern um die Vertretung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft mit der praktisch im Vordergrund stehenden Aufgabe, die Staatsorgane zu beraten (vgl BVerfGE_15,235 <241 f.>). Es bedarf daher nicht der Prüfung, ob auch eine reine Interessenvertretung in einer Gesellschaft mit entwickeltem Verbandswesen noch öffentlichrechtlich organisiert werden dürfte.

40

b) Die Organisation dieser öffentlichen Aufgabe in einer Selbstverwaltungskörperschaft mit Zwangsmitgliedschaft ist auch im Lichte der geänderten Verhältnisse noch verhältnismäßig, nämlich geeignet und erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne.

41

aa) Ein Mittel ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl BVerfGE_63,88 <115>; BVerfGE_67,157 <175>; BVerfGE_96,10 <23>). Auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung gebührt dem Gesetzgeber ein besonders weitgehender Einschätzungs- und Prognosevorrang (vgl BVerfGE_25,1 <17, 19 f>; BVerfGE_37,1 <20>; BVerfGE_50,290 <338>; BVerfGE_51,193 <208>; BVerfGE_77,84 <106 f>; BVerfGE_87,363 <383>). Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will.

42

Die Entscheidung des Gesetzgebers, Wirtschaftsförderung und -verwaltung mit Hilfe von Selbstverwaltungseinrichtungen zu organisieren, ist von diesen Grundsätzen gedeckt. Es ist daher nicht zulässig, aus dem Gesamtzusammenhang Aufgaben herauszugreifen, die - isoliert betrachtet - auch von privaten Verbänden oder von staatlichen Behörden wahrgenommen werden könnten. Aus der Sicht des Gesetzgebers ist die Erfüllung von Wirtschaftsverwaltungsaufgaben durch die Kammern sachnäher und wegen der Beteiligung der Betroffenen durch selbstgewählte Organe auch freiheitssichernder als durch staatliche Behörden. Die Interessenvertretung durch private Verbände ist in dieser Sicht nicht im gleichen Maße am Gesamtinteresse und am Gemeinwohl orientiert. Eine Aufteilung der Aufgaben auf private Verbände und Behörden würde damit gerade die vom Gesetzgeber mit einer Selbstverwaltungsorganisation zulässigerweise verfolgten Ziele verfehlen und wäre daher nicht gleich geeignet.

43

bb) Die Errichtung von Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft ist für die Erreichung der gesetzgeberischen Ziele auch erforderlich.

44

Das Gebot der Erforderlichkeit ist verletzt, wenn das Ziel der staatlichen Maßnahme durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, mit dem das betreffende Grundrecht nicht oder weniger fühlbar eingeschränkt wird (vgl BVerfGE_68,193 <218 f>; BVerfGE_77,84 <109>; BVerfGE_81,70 <90 f>). Allerdings muss nicht jeder einzelne Vorzug einer anderen Lösung gegenüber der vom Gesetzgeber gewählten schon zu deren Verfassungswidrigkeit führen. Die sachliche Gleichwertigkeit zur Zweckerreichung muss vielmehr bei dem als Alternative vorgeschlagenen geringeren Eingriff in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (vgl BVerfGE_25,1 <19 f>; BVerfGE_30,292 <319>; BVerfGE_81,70 <90>).

45

Auch bei dieser Prüfung kann es nicht darauf ankommen, ob einzelne der Aufgaben in bestimmter Hinsicht in für die Beschwerdeführerin weniger belastender Weise erfüllt werden könnten.

46

Rein private Verbände wären mangels Gemeinwohlbindung nicht in der Lage, die Aufgaben wahrzunehmen, die die Industrie- und Handelskammern mit Hilfe der Pflichtmitgliedschaft zu erfüllen befähigt sind. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Verwaltungsaufgaben im wirtschaftlichen Bereich im Rahmen seiner ihm grundsätzlich eröffneten Wahlfreiheit, öffentliche Aufgaben auch in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen zu lassen, auf die Industrie- und Handelskammern überträgt. Dies gilt insbesondere für Verwaltungsaufgaben, die sich in den Rahmen der Gesamtaufgabe der Industrie- und Handelskammern einfügen und die die besondere Sachnähe und Kompetenz der Kammern nutzen (vgl BVerfGE_15,235 <242>). Die Wahrnehmung der Aufgabe durch den Staat könnte das zulässige rechtspolitische Ziel der Verlagerung auf die primären Träger wirtschaftlicher Interessen, deren Sachkompetenz der Staat zur Entfaltung volkswirtschaftlich sinnvoller Rahmenbedingungen für sich nutzbar machen will, nicht erreichen.

47

Demgemäß ist auch die Mitgliedschaft aller Gewerbetreibenden in den Industrie- und Handelskammern zur sachgerechten Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich. Wegen des Gemeinwohlauftrags der Industrie- und Handelskammern und ihrer vielfältigen Wirtschaftsverwaltungsaufgaben ist ein alle Branchen und Betriebsgrößen umfassender Mitgliederbestand vonnöten. Für die wirtschaftliche Selbstverwaltung bedarf es der Mitwirkung aller Unternehmen, gerade auch der mittleren und kleinen, damit die Kammern ihre Aufgaben umfassend erfüllen können. Der Wert der von den Kammern erarbeiteten Vorschläge und Gutachten beruht neben der Unabhängigkeit ihres Urteils auf der Vollständigkeit des Überblicks, das die Kammern im Bereich der zu beurteilenden Verhältnisse besitzen (vgl BVerfGE_15,235 <241>).

48

Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit ist auch die Verknüpfung der Pflichtmitgliedschaft mit der in § 3 Abs.2 Satz 1 IHKG begründeten Beitragslast verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit ist die für wirtschaftliche Selbstverwaltung typische Verbindung von Interessenvertretung, Förderung und Verwaltungsaufgaben der Aufgabenstellung nach § 1 IHKG zu beachten. Die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer besteht auch, wenngleich es sich um eine öffentliche Aufgabe handelt, in der Wahrnehmung des Interesses der Mitglieder und der Förderung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, was es rechtfertigt, diese an der Kostenlast der Kammer angemessen zu beteiligen.

49

cc) Die Anordnung der Pflichtmitgliedschaft ist zu dem angestrebten legitimen Zweck auch verhältnismäßig im engeren Sinn und damit zumutbar.

50

Die Beeinträchtigung des einzelnen Gewerbetreibenden durch die Pflichtmitgliedschaft bedeutet keine erhebliche Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit. Zu berücksichtigen ist dabei vor allem, dass die Pflichtmitgliedschaft den Kammerzugehörigen zum einen die Chance zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet, dabei aber zum anderen ihnen die Möglichkeit offen lässt, sich nicht aktiv zu betätigen. Zugleich hat die Pflichtmitgliedschaft eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort, wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und statt dessen auf die Mitwirkung der Betroffenen setzt.

51

Etwaige Aufgabenüberschreitungen durch den Zwangsverband und seine Organe kann das einzelne Mitglied, worauf das Bundesverwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil zutreffend verweist, erforderlichenfalls im Klagewege abwehren."

 

Auszug aus BVerfG B, 07.12.01, - 1_BvR_1806/98 -, www.BVerfG.de,  Abs.22

§§§

01.044 Ethik-Unterricht

  1. BVerfG,     U, 11.12.01,     – 1_BvF_1/96 –

  2. BVerfGE_104,305 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. (Bb) SchulG_§_9, SchulG_§_11 Abs.2 -4

  4. Bundesverfassungsgericht / Bereitschaft / einvernehmliche Verständigung / Brandenburgisches Schulgesetz / Vorschlag.

 

LB: Nachdem die Beteiligten gegenüber dem BVerfG ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt haben über den Gegenstand der anhängigen Verfahren eine einvernehmliche Verständigung herbeizuführen unterbreitet der Senat einen Vorschlag für eine Vereinbarung über die Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes, die die Voraussetzungen dafür schaffen soll, dass die Antragsteller und Beschwerdeführer der anhängigen Verfahren Erklärungen abgeben, durch die die Verfahren beendet werden können.

§§§

01.045 Profalla II

  1. BVerfG,     U, 17.12.01,     – 2_BvE_2/00 –

  2. BVerfGE_104,310 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.38 Abs.1 S.2, GG_Art.46 Abs.2

  4. Art.46/2 GG / Abgeordnete / Rechte / Genehmigungsvorbehalt / Funktion / Aufhebung der Immunität / Willkür.

 

Aus Art.46 Abs.2 GG können sich nicht ohne weiteres Rechte eines einzelnen Abgeordneten gegenüber dem Bundestag ergeben; der Genehmigungsvorbehalt für die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten dient vornehmlich dem Parlament als Ganzes. Der einzelne Abgeordnete hat aber aus Art.46 Abs.2 iVm Art.38 Abs.1 Satz 2 GG einen Anspruch darauf, dass sich das Parlament bei der Entscheidung über die Aufhebung der Immunität nicht - den repräsentativen Status des Abgeordneten grob verkennend - von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lässt.

[ 2000 ] BVerfG - 2001 2002       [ › ]

Saar-Daten-Bank (SaDaBa)   -   I n f o – S y s t e m – R e c h t   -   © H-G Schmolke 1998-2018
Rechtsprechung  -  BVerfG   (RS-BVerfG)
K-Adenauer-Allee 13, 66740 Saarlouis, Tel: 06831-988099, Fax: 06831-988066, Email: hgs@sadaba.de
Der schnelle Weg durch's Paragraphendickicht!
www.sadaba.de

§§§