zu § 80   VwGO   (3) (R)
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IV. Begründungserfordernis (Absatz 3 S.1)

a) Allgemeines

  1. Fehlt der Anordnung sofortiger Vollziehung die schriftliche Begründung, so hebt das Gericht die Anordnung auf, ohne daß es darauf ankommt, ob ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht. Durch ein Nachbringen der schriflichen Begründung kann der Mangel nicht geheilt werden. Es bedarf vielmehr einer erneuten, formgemäßen Anordnung. (vgl. VGH BW, B 25.08.76 - 10 1318/76 - Sofortige Vollziehung, NJW 77,165 = DNr.76.013)

  2. Die Begründung einer Vollzugsanordnung muß aus sich selbst heraus verständlich sein; sie ist fehlerhaft, wenn die Behörde nur pauschal auf anderweitige Entscheidungen oder Feststellungen verweist und diese dem Betroffenen nicht übermittelt. Die fehlende oder unzureichende Begründung einer Vollzugsanordnung kann jedenfalls nach Stellung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht mehr geheilt werden. (vgl. OVG Saarl, B 11.04.83 - 2 W 46/83 - VV - Vollzugsanordnung - Begründungsmangel -, AS 18,187 -192 = BRS 40 Nr.171, BRS 40 Nr.219 = SKZ 84,51 -53 = = DNr.83.019)

  3. In der schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung muß nicht näher auf den konkreten Fall eingegangen werden, wenn sich dieses besondere öffentliche Interesse unabhängig vom Einzelfall ausnahmsweise bereits aus der Art der getroffenen Verwaltungsmaßnahme ergibt. Bei einer Baueinstellungsverfügung ist das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug wegen ihrer Zweckbestimmung im Regelfall zu bejahen. (vgl. BayVGH, B 24.10.77 - Nr.213-2 76 - Baueinstellung, BayVBl 78,19 = DNr.77.015)

  4. In der schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung muß nicht näher auf den konkreten Fall eingegangen werden, wenn sich dieses besondere öffentliche Interesse unabhängig vom Einzelfall ausnahmsweise bereits aus der Art der getroffenen Verwaltungsmaßnahme ergibt. Bei einer Baueinstellungsverfügung ist das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug wegen ihrer Zweckbestimmung im Regefall zu bejahen. (vgl. BayVGH, B 24.10.77 - Nr.213-2 76 - Baueinstellung, BayVBl 78,19 = DNr.77.015)

  5. Verwaltungsakt und Vollzugsanordnung können auch einheitlich begründet werden. Erforderlich ist allerdings, daß die Umstände, aus denen die Behörde das besondere Vollzugsinteresse herleitet, hinreichend klar zum Außdruck kommen. (vgl. OVG Saarl, B 12.10.92 - 2 W 17/92 - Sicherheitsanordnung, SKZ 93,108/54 (L) = Juris = DNr.92.152)

  6. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs.3 VwGO kann auch dadurch genügt werden, daß die Behörde zum Beleg eines besonderen Vollzugsinteresses gezielt auf einen Teil der für den Erlaß der Verfügung angeführten Gründe verweist. (vgl. OVG Saarl, E 19.01.90 - 2 W 28/89 - Begründungserfordernis, SKZ 90,259/41 (L1) = Juris = DNr.90.005)

  7. Die sofortige Vollziehung einer Verfügung kann auch noch nach einem längeren Zeitraum (hier: ein Jahr nach ihrem Erlaß) angeordnet werden, wenn die Notwendigkeit für diese ĒK ^ Anordnung sich erst nachträglich gezeigt hat. (vgl. OVG Saarl, B 29.05.91 - 1 W 37/91 - Sofortvollzug, SKZ 91,255/42 (L) = DNr.91.077)

  8. Die Bekundung ihrer Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts genügt nicht der die Behörde treffenden Pflicht zur Darlegung des besonderen Interesses an dessen sofortiger Vollziehung. (vgl. OVG Saarl E 08.07.93 - 2 W 13/93 - Sandgrube, SKZ 94,115/65 (L) = Juris = DNr.93.114)

  9. Auf Geldforderungen gerichtete Verwaltungsakte können nicht allein wegen eines öffentlichen Interesses der Zinsvorteile für sofort vollziehbar erklärt werden. (vgl. VGH BW, B 18.01.93 - 8 S 1023/92 - Zinsvorteil, DÖV 93,538 Nr.126 = DNr.93.002)

  10. Sofortvollzug: Begründung

b) Einzelfälle

  1. Führt die Behörde für die Anordnung des Sofortvollzugs einer Baugenehmigung Umstände an, die dem Bauwerber gegebenenfalls einen Anspruch auf die Anordnung verschaffen würden, so ist dem Begründungserfordernis des § 80 Abs.3 VwGO genügt. (vgl. OVG Saarl, E 23.04.93 - 2 W 9/93 - Störender Betrieb, SKZ 93,279/56 = Juris = DNr.93.070)

  2. Auf Geldforderungen gerichtete Verwaltungsakte können nicht allein wegen eines öffentlichen Interesses der Zinsvorteile für sofort vollziehbar erklärt werden. (vgl VGH BW B 18.01.93 - 8 S 1023/92 - Zinsvorteil, DÖV 93,538 Nr.126 = DNr.93.001)

  3. Ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Baugenehmigung nicht ordnungsgemäß begründet, so kann der durch das Vorhaben betroffene Nachbar ihre Aufhebung ohne Rücksicht darauf durchsetzen, ob die Genehmigung seine materiellen Rechte verletzt. (vgl. OVG Saarl, B 11.04.83 - 2 W 46/83 - VV - Vollzugsanordnung - Begründungsmangel -, AS 18,187 -192 = BRS 40 Nr.171, BRS 40 Nr.219 = SKZ 84,51 -53 = = DNr.83.019)

  4. § 80 Abs.3 S.1 VwGO verpflichtet nicht notwendigerweise zu einer einzelfallbezogenen Begründung. Wiederholen sich bestimmte Tatbestände immer wieder, darf die Behörde die für diese Fallgruppe typische Interessenlage aufzeigen und deutlich machen, daß nach ihrer Auffassung diese tyische Interessenlage auch im konkreten Fall zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung dienen soll. Zur Begründung des Sofortvollzuges eines Nutzungsverbotes für den Betrieb eine formell illegale Anlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genügt folgende Formulierung:

  5. Solange gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach StGB § 69 in Betracht kommt, darf die Verwaltungsbehörde gem StVG § 4 Abs.2 S.1 den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in dem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Der gesamte Vorgang, auf den sich die Untersuchung erstreckt, wird von der Bindung des StVG § 4 Abs.2 S.1 erfaßt. Die Behörde darf das öffentliche Vollziehungsinteresse nicht aus einem Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers herleiten, das Gegenstand eines Strafverfahrens ist. Es liegt insoweit allein bei den Strafgerichten, die Fahrerlaubnis nach StPO § 111a vorläufig zu entziehen. Dem dürfen weder die Straßenverkehrsbehörden noch die Verwaltungsgerichte vorgreifen. (vgl. VG Saarl, E 19.01.93 - 5 F 114/92 - Führerscheinentzug, ZfS 93, 107 -108 = Juris = DNr.93.005)

  6. Bei Verwaltungsakten zur Gefahrenabwehr (hier: Ausweisung nach § 45 AuslG (AuslG 1990)) sind die für den Erlaß der Verfügung und die Begründung ihrer sofortigen Vollziehbarkeit maßgeblichen Gründe häufig deckungsgleich, so daß die Behörde zur Darlegung des besonderen Vollzugsinteresses auf die Begründung des VA verweisen kann. Wird das Erlaßinteresse einer ausländerrechtlichen Ausweisungsverfügung gegenüber einem straffällig gewordenen Ausländer allein auf general- wie spezialpräventive Erwägungen (Wiederholungsgefahr) gestützt, so sind an die Darlegung des Vollzugsinteresses nach § 80 Abs.3 VwGO jedenfalls dann erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn der Ausländer eine Haftstrafe zu verbüßen hat und seine Entlassung nicht im Raum steht. (vgl. OVG Saarl, E 01.09.93 - 3 W 7/93 - Ausweisungsverfügung, Juris = DNr.93.142)

  7. (JOS) Die Ausländerbehörde muß sich mit der Prognose des Strafvollstreckungsgerichts zu möglichen Vollzugslockerungen und zu einer möglicherweise in Aussicht genommenen Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auseinandersetzen, falls sie auf eine Wiederholungsgefahr abstellt. Wird die Anordnung des Sofortvollzugs auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt, so ist allein der Verweis auf das Fehlen von entgegenstehenden rechtlich geschützten Interessen auf Seiten des Ausländers insofern nicht ausreichend, wenn beispielsweise die Frage der Erforderlichkeit und Geeignetheit der Maßnahme zur Erzielung des angestrebten Zwecks auch nicht ansatzweise anklingt. (vgl. VG Saarl, E 14.09.95 - 6 F 29/95 - Ausweisungsanordnung, InfAuslR 95,413 -415 = DNr.95.095)

  8. Die Bleibelastung des Bodens durch eine Wurftaubenschießanlage rechtfertigt die sofortige Vollziehung einer wasserbehördlichen Untersagung des Schießbetriebs, wenn bei einem niedrigen pH-Wert des Bodens und ungünstigen Untergrundverhältnisses eine Infiltration gelösten Bleis in das Grundwasser eines Trinkwassereinzugsbereiches zu befürchten ist. (vgl. OVG Saarl, B 18.02.94 - 8 W 79/93 - Wurftaubenschießanlage, SKZ 94,256/31 (L1) = Juris (L1+2) = DNr.94.022)

  9. Bei Verwaltungsakten zur Gefahrenabwehr (hier: Ausweisung nach § 45 AuslG (AuslG 1990)) sind die für den Erlaß der Verfügung und die Begründung ihrer sofortigen Vollziehbarkeit maßgeblichen Gründe häufig deckungsgleich, so daß die Behörde zur Darlegung des besonderen Vollzugsinteresses auf die Begründung des VA verweisen kann. Wird das Erlaßinteresse einer ausländerrechtlichen Ausweisungsverfügung gegenüber einem straffällig gewordenen Ausländer allein auf general- wie spezialpräventive Erwägungen (Wiederholungsgefahr) gestützt, so sind an die Darlegung des Vollzugsinteresses nach § 80 Abs.3 VwGO jedenfalls dann erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn der Ausländer eine Haftstrafe zu verbüßen hat und seine Entlassung nicht im Raum steht. (vgl. OVG Saarl, E 01.09.93 - 3 W 7/93 - Ausweisungsverfügung, Juris = DNr.93.142)

  10. Wird im Falle der polizeilichen Unterbringung eines Obdachlosen die Umsetzung in eine andere Wohnung angeordnet, so muß die insoweit gesetzte Räumungsfrist unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls angemessen sein. Auch wenn der Obdachlose mit der alsbaldigen Umsetzung rechnen mußte, ist eine Räumungsfrist von 4 Werktagen ungenügend, wenn der Obdachlose gesundheitlich beeinträchtigt ist und ein Umzug aus einer voll möbilierten 3 1/2 - Zimmerwohnung in eine Wohnung mit einem Zimmer und Küche zu bewerkstelligen ist. (vgl. OVG Saarl, B 28.04.83 - 1 W 653/83 - Polizei - Obdachloser - Umsetzung - Räumungsfrist -, SKZ 83,246/23 (L) = DNr.83.027)

  11. Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs: Die Bezugnahme auf eine dem Betroffenen bereits vorliegende schriftliche Begründung einer früheren Verwaltungsentscheidung zur inhaltlichen Ausfüllung einer ansonsten inhaltlich unzureichenden, weil formelhaften Begründung des Sofortvollzugs ist generell und auch speziell bei Verwaltungsakten zum Abschluß eines förmlichen Verfahrens (hier: abfallrechtliche Planfeststellung) zulässig (Fortführung der Rspr des 2.Senats, Beschluß vom 11.04.83 - 2 W 46/83 - ). Eine formal hinreichend begründete - Vollzugsanordnung gerät nicht allein schon dann zu Fall, wenn sich ihre Begründung ganz oder teilweise als nicht tragend erweist oder die von der Behörde angestellten Erwägungen aus anderen Rechtsgründen ( etwa wegen einer unwirksamen Bezugnahme ) keine Berücksichtigung finden können. Wenn das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf den im Hauptsacheverfahren gewonnenen, Spruchreife im Sinne einer Sachentscheidung bewirkenden Erkenntnisstand zugreifen kann, ist auf die materielle Rechtslage nicht nur "oberflächlich" im Sinne einer Offensichtlichkeitsprüfung abzustellen. (vgl.OVG Saarl, B 05.10.83 - 3 W 1619/83 - Planfeststellung (AbfG) - Sofortvollzug - Begründung -, AS 18,281 = SKZ 84,72 -78 = SKZ 84,101/6 (L) = UPR 85,263 -264 DNr.83.068)



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