D-Bundestag 14.Wahlperiode |
Drucksache 14/3750 04.07.00 |
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Der Zivilprozess muss durch eine grundlegende Strukturreform bürgernäher, effizienter und transparenter werden. Die Verhandlungskultur, die Funktion der Rechtsmittelzüge und der Gerichtsaufbau genügen den berechtigten Ansprüchen der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft nicht mehr. Zudem kommen auf die Ziviljustiz durch die zunehmende Verrechtlichung des Alltagslebens, den rasanten Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien und nicht zuletzt durch die Vereinheitlichung des europäischen Rechtsraums neue Aufgaben zu, die sie – angesichts der Haushaltslage der Länder – ohne zusätzliches Personal bewältigen muss.
Die angestrebte Qualitätsverbesserung und Effizienzsteigerung innerhalb der Ziviljustiz können nur mit einer grundlegenden Strukturreform erreicht werden. Die Reform enthält folgende Schwerpunkte:
Institutionalisierung des Schlichtungsgedankens im Zivilprozess durch die Einführung einer Güteverhandlung,
Erhöhung der Transparenz und Akzeptanz richterlicher Entscheidungsfindung durch eine stärkere Betonung der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten,
Einführung des originär zuständigen Einzelrichters beim Landgericht,
Abbau von streitwertabhängigen Zugangsbarrieren zum Rechtsmittel durch Einführung eines Abhilfeverfahrens und einer Zulassungsberufung gegen bisher unanfechtbare Urteile sowie Abschaffung der Streitwertrevision,
deutlichere Funktionsdifferenzierung der Rechtsmittelebenen durch die Umgestaltung der Berufung in ein Instrument zur Fehlerkontrolle und -beseitigung,
Einführung einer beschleunigten Erledigungsmöglichkeit für substanzlose Berufungen sowie
Wegbereitung für eine weitere Harmonisierung der Verfahrensordnungen.
Keine.
Das Gesetz führt zu keinen zusätzlichen Belastungen der Haushalte von Bund und Ländern. Das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten und die Berufungs- und Beschwerdeverfahren werden effizienter gestaltet. Der dortige Geschäftsanfall kann daher künftig mit erheblich weniger Personal bewältigt werden. Dadurch werden die Länder in die Lage versetzt, die notwendige personelle Stärkung der ersten Instanz sowie die infolge der Konzentration der Berufungen bei den Oberlandesgerichten anfallenden Belastungen ohne zusätzliche Haushaltsmittel zu bewältigen.
Die Prozessgebühr für den Rechtsanwalt im Berufungsverfahren wird durch das Gesetz um rund 15% erhöht. Dem stehen Entlastungen für den Rechtsuchenden infolge des Wegfalls der Verhandlungsgebühr für den Rechtsanwalt in aussichtslosen Berufungsverfahren gegenüber.
Drucksache 14/3750 Seite 3 bis 34 nicht abgebildet.
Der Zivilprozess muss bürgernäher, effizienter und durchschaubarer werden. Die Verfahrensregelungen, die Funktion der Rechtsmittelzüge und der Gerichtsaufbau genügen den berechtigten Ansprüchen der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft nicht mehr. Den Richtern müssen gesetzliche Möglichkeiten geschaffen werden, den Zivilprozess noch präziser auf seine gesellschaftliche Funktion, der zügigen Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit, zuschneiden zu können. Eine Reform des Zivilprozesses muss die strukturellen Rahmenbedingungen dafür verbessern, dass die Prozessparteien schnell zu ihrem Recht kommen und eine Entscheidung erhalten, die sie verstehen und akzeptieren. Dadurch werden die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem materiellen Recht erhöht und der Rechtsfrieden nachhaltig gestärkt. Bei allem Einsatz und aller Qualität der Richterschaft erscheint es geboten, den Richtern ein noch wirksameres Verfahrensrecht an die Hand zu geben.
Die angestrebte Qualitätsverbesserung des Zivilprozesses kann nur mit einer grundlegenden Reform erreicht werden. Sie muss sich an folgenden Leitlinien orientieren:
Die streitschlichtenden Elemente im Zivilprozess müssen gestärkt werden. Eine gütliche Einigung zwischen den Parteien in einem möglichst frühen Prozessstadium ist die effizienteste und zugleich bürgerfreundlichste Form der Erledigung eines Rechtsstreits.
Der Gang des Verfahrens bis zur Entscheidung muss für die Parteien transparenter und nachvollziehbarer werden. Am Ende des erstinstanzlichen Verfahrens muss eine Entscheidung stehen, die von den Parteien wirklich akzeptiert werden kann. Die Parteien sollen erkennen, dass das Gericht alle Chancen nutzt, um eine umfassende Prüfung des vorgetragenen Sachverhalts vorzunehmen. Dann werden mehr Prozesse in erster Instanz endgültig abgeschlossen werden können.
Mit der Stärkung der ersten Instanz geht die Umgestaltung der zweiten einher. Die Berufungsinstanz soll sich in aller Regel auf den vom Eingangsgericht festgestellten Sachverhalt stützen und auf ihre genuine Aufgabe der Fehlerkontrolle und -beseitigung bei Tatbestand und rechtlicher Bewertung konzentrieren. Der Rechtsuchende soll sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass die in erster Instanz fehlerfrei festgestellten Tatsachen im höheren Rechtszug Bestand haben. Nur wenn das Berufungsgericht aufgrund konkreter Anhaltspunkte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen in der ersten Instanz hat, sollen diese im Berufungsverfahren überprüft werden.
Die Berufungsverfahren müssen beschleunigt werden. Der Bearbeitungsaufwand für aussichtslose Rechtsmittel muss im Interesse der Partei, die in erster Instanz überzeugend obsiegt hat, reduziert werden. Zugleich soll die zeitaufwendige Zurückverweisung von der zweiten an die erste Instanz auf unverzichtbare Ausnahmefälle beschränkt werden.
Das spezielle „Know-how“ der Berufungsinstanz soll effizient in einem einheitlichen Berufungsgericht gebündelt werden.
Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Die Abgrenzung zu Zivilsachen mit geringem Streitwert ist auf eine für eine funktionierende Justiz unerlässliche Höhe abzusenken. Die Wertgrenzen müssen zudem durchlässiger gestaltet werden, damit Fälle von grundsätzlicher Bedeutung unabhängig vom Wert des Streitgegenstandes bis zum Bundesgerichtshof gelangen können. Daraus folgt auch der Abschied von der geltenden Streitwertrevision.
Durch eine solche grundlegende Strukturreform wird der Zivilprozess nicht nur bürgernäher und transparenter; er wird auch effizienter, weil richterliche Arbeitskraft dort konzentriert wird, wo sie vermehrt gebraucht wird. Durch den effektiveren Umgang mit dieser Ressource finanziert sich die Reform gewissermaßen von selbst. Die vorgesehenen Änderungen des Verfahrens in der ersten Instanz sind so gewählt, dass eine zusätzliche Belastung der Richter vermieden wird. Die Vermeidung unnötiger Prozesse, die Beschränkung des Prüfungsaufwands für aussichtslose Rechtsmittel und nicht zuletzt der Ausbau des Einzelrichtereinsatzes insbesondere in erster Instanz werden bisher nicht effizient genutzte richterliche Arbeitskraft freisetzen, die künftig verwendet werden kann für intensive Rechtsgespräche mit den Parteien, eine vertiefte Feststellung der Tatsachen in erster Instanz und für überzeugende Urteile, die auch von der unterlegenen Partei anerkannt werden.
Das geltende Zivilprozessrecht wird diesen Ansprüchen nicht gerecht. Der vom Gesetzgeber in den letzten Jahren eingeschlagene Weg der sog. Rechtspflegeentlastungsgesetze hat sich als letztlich untaugliches Steuerungsinstrument erwiesen, weil nicht die Ursachen der Defizite angegangen wurden, sondern lediglich die Symptome. Er hat weder eine echte Entlastung der Justiz noch gar die Verbesserung von Bürgernähe, Effizienz oder Transparenz gebracht. Erkennbar sind vielmehr immer deutlicher strukturelle Mängel, die nicht länger hingenommen werden können.
Die Möglichkeit einer einvernehmlichen Konfliktregelung, die rascher und kostengünstiger erfolgen und eher dauerhaft Rechtsfrieden zwischen den Parteien stiften kann als die streitige Entscheidung, wird im heutigen Zivilprozess nicht ausreichend genutzt. Die Vergleichsquoten in erster Instanz sind unbefriedigend. Anders als in der Arbeitsgerichtsbarkeit fehlt im Zivilprozess eine verfahrensrechtliche Verankerung des Schlichtungsgedankens in Form einer Güteverhandlung. Ein erster Schritt zu Verbesserungen ist jetzt mit dem Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung vom 15.Dezember 1999 (BGBl.I S.2400) getan worden, das den Ländern die Möglichkeit eröffnet, in bestimmten zivilrechtlichen Streitfällen den Zugang zu den Gerichten von der Durchführung eines vorgerichtlichen Güteverfahrens abhängig zu machen. In diesem Bereich liegt weiteres, bislang ungenutztes Potenzial, durch dessen Aktivierung die streitige Entscheidung und der Weg in das Rechtsmittel verhindert werden können.
Als Folge der gesetzgeberischen Reformmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte durch die stufenweise Heraufsetzung der Rechtsmittelsummen für die Berufung und die Revision, die schrittweise Erhöhung des Abgrenzungsstreitwerts zwischen Amts- und Landgerichten, die daran anknüpfende Schaffung von Sonderrechtsmitteln (Divergenzberufung und Rechtsentscheid in Mietsachen) sowie durch Sonderregelungen für ganze Rechtsgebiete (Familiensachen) ist das Verfahrensrecht für den Bürger undurchschaubar geworden. Der Weg der Anfechtbarkeit gerichtlicher Entscheidungen ist teilweise nur noch für Experten zu überblicken; in Teilbereichen wie zB dem Beschwerderecht ist er kaum noch nachvollziehbar.
Darüber hinaus weist das Rechtsmittelsystem der ZPO gegenüber anderen, moderneren Verfahrensordnungen, insbesondere dem Arbeitsgerichtsgesetz, Defizite auf, die sachlich nicht zu rechtfertigen sind. Die ZPO ist durch eine weitgehende Harmonisierung an den höheren Rechtsschutzstandard im Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren heranzuführen.
Die derzeitige Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten durch Streitwertkriterien ist nicht sachgerecht. Dem rechtsuchenden Bürger ist nicht überzeugend vermittelbar, dass bei kleineren oder mittleren Streitwerten ein Rechtsmittel selbst bei offensichtlicher Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils ausgeschlossen sein soll, obwohl eine ungünstige Entscheidung in einer kleinen Streitsache für ihn weitaus schwerwiegender sein kann als ein verlorener Millionenprozess für ein großes Wirtschaftsunternehmen. Wertgrenzen sind zudem kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung der rechtlichen Bedeutung einer Streitsache. Sie geben letztlich auch nur wenig Auskunft über die Bedeutung des Rechtsstreits für die daran beteiligten, in ganz unterschiedlichen Vermögens- und Einkommensverhältnissen lebenden Parteien. Im Gegenteil: Auch bei relativ geringen Streitwerten können durch den Rechtsstreit existenzielle Bedürfnisse der Beteiligten berührt werden. Dies hat beispielsweise im Mietrecht zu den dortigen Sondervorschriften im Rechtsmittelrecht geführt (Divergenzberufung und Rechtsentscheid).
Die geltenden Wertgrenzen führen dazu, dass derzeit in mehr als 40 % aller Zivilrechtsstreitigkeiten beim Amtsgericht eine Anfechtungsmöglichkeit von vornherein nicht gegeben ist. Unter Berücksichtigung der außerordentlich niedrigen Revisionszulassungsquote der Oberlandesgerichte (1998: 163 Zulassungen bei rund 22 000 Berufungsurteilen, in denen der Beschwerdewert von 60 000 DM nicht erreicht wurde) ergibt sich, dass derzeit praktisch nur in etwa 5 % aller zivilgerichtlichen Verfahren der Zugang zum Bundesgerichtshof gegeben ist. Damit liegen die streitwertbestimmten Hürden für den Zugang des Bürgers zur Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen so hoch, dass der wirtschaftlich Stärkere in unangemessenerWeise privilegiert wird und das geltende Rechtsmittelrecht sich dem Vorwurf sozialer Schieflage ausgesetzt sieht.
Die bestehenden streitwertabhängigen Beschränkungen des Zugangs zum Rechtsmittel führen deshalb dazu, dass weite Bereiche der Rechtsprechung einer obergerichtlichen Klärung nicht zugänglich sind und für ganze Rechtsgebiete die auf die Wahrung der Rechtseinheit angelegte Funktion der Obergerichte ausfällt. In vielen Rechtsfragen, in denen eine obergerichtliche Rechtsprechung die Arbeit der erstinstanzlichen Gerichte erleichtern könnte, kann eine Entscheidung der Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofes aufgrund der streitwertabhängigen Zugangsfilter mit der Folge einer Zersplitterung der Präjudizien nicht herbeigeführt werden. Es besteht die – in Teilbereichen bereits Realität gewordene – Gefahr unterschiedlicher Auslegung desselben Gesetzes in verschiedenen Gerichtsbezirken oder auch innerhalb desselben Bezirks durch verschiedene Spruchkörper. Folgen sind die Unklarheit der Rechtslage und damit mangelnde Rechtssicherheit.
In die Berufungsinstanz gelangt der Prozess aufgrund des vorangegangenen erstinstanzlichen Verfahrens und des Urteils des ersten Rechtszuges in der Regel schon mit einer gesicherten tatsächlichen Grundlage. Gleichwohl bestimmt das geltende Prozessrecht, dass der Rechtsstreit vor dem Berufungsgericht in den durch die Berufungsanträge bestimmten Grenzen von neuem verhandelt wird, als ob es eine erste Instanz nicht gegeben hätte. Das Berufungsgericht hat aufgrund des gesamten Inhalts der Berufungsverhandlung und des Ergebnisses etwaiger Beweisaufnahmen über das dem Berufungsurteil zugrunde zu legende Sachverhaltsbild neu zu entscheiden. Durch das geltende Berufungsrecht wird dem rechtsuchenden Publikum der Eindruck vermittelt, der Prozess gehe in zweiter Instanz „noch einmal von vorn los“. Dadurch werden Anreize geschaffen, Rechtsmittel auch gegen solche Urteile erster Instanz einzulegen, in denen der Sachverhalt fehlerfrei festgestellt und das materielle Recht richtig angewandt worden ist. Insofern handelt es sich um eine vom geltenden Zivilprozessrecht ausgehende Fehlsteuerung, denn die Rechtsordnung sollte vielmehr darauf hinwirken, dass überzeugende Urteile möglichst bald in Rechtskraft erwachsen, damit zwischen den Prozessparteien Rechtsfrieden eintritt. Ein anerkennenswertes Interesse der Parteien bezieht sich nur auf die Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden Entscheidung.
Des Weiteren begünstigt die derzeitige großzügige Handhabung der Präklusionsvorschriften des geltenden Berufungsrechts nachlässigen und unvollständigen Vortrag in erster Instanz und ermöglicht eine „Flucht“ in die Berufung. Denn derzeit steht sich diejenige Partei, die in erster Instanz das Vorbringen völlig unterlässt, besser als eine Partei, die, wenn auch verspätet, noch in erster Instanz vorträgt. Dieser Wertungswiderspruch muss durch eine Verschärfung der Präklusionsvorschrift für die Berufungsinstanz aufgehoben werden.
Eine dritte Fehlsteuerung muss schließlich beendet werden: In aussichtslosen Fällen kann die Berufung derzeit dazu benutzt werden, Verfahren zulasten des Gegners aus sachfremden Erwägungen in die Länge zu ziehen, um Zeit zu gewinnen. Obwohl lediglich knapp über 20 % aller eingelegten Berufungen zu einer Abänderung des erstinstanzlichen Urteils führen und nahezu 30 % aller eingelegten Berufungen wieder zurückgenommen werden, dauert das Berufungsverfahren im Schnitt länger als der erstinstanzliche Prozess. Im geltenden Prozessrecht fehlen nämlich vereinfachte Erledigungsmöglichkeiten für substanzlose Berufungen. Über jede zulässige Berufung muss mündlich verhandelt werden, was in Anbetracht der Terminsstände einiger Berufungsgerichte manchen Gläubiger in eine prekäre Situation bringt. Kleine und mittelständische Unternehmen, die die notwendigen Sicherheiten für eine vorläufige Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil nicht leisten und daher die erstinstanzlich zuerkannte Forderung beim Beklagten nicht realisieren können, werden durch diese Schwäche des Zivilprozessrechts in ihrer Existenz gefährdet. Die Sicherungsvollstreckung hilft dem Gläubiger in diesen Fällen nicht weiter, weil sie eine Verwertung des belasteten Gegenstandes nur nach Leistung von Sicherheit erlaubt und darüber hinaus dem Schuldner eine Abwendungsbefugnis eingeräumt wird. Zur Beschleunigung des Verfahrens und der schnelleren Gewährung wirksamen Rechtsschutzes bedarf es dringend sachgerechter Korrekturen im geltenden Recht.
Die Verteilung der richterlichen Arbeitskraft auf erste und zweite Instanz ist derzeit nicht optimal. In Zivilsachen (ohne Familien- und FG-Sachen) hatten im Jahr 1998 1 456 Richter in der Berufungsinstanz die Urteile von 4 774 Richtern der ersten Instanz zu überprüfen. Berücksichtigt man, dass mehr als 40 % der Urteile der mit 2 493 Richtern besetzten Amtsgerichte mangels Erreichens der Berufungssumme von 1 500 DM von vornherein nicht anfechtbar sind, so ergibt sich ein Verhältnis von rund 1 480 erstinstanzlichen Richtern am Amtsgericht zu 522 Berufungsrichtern am Landgericht oder von 2,8 zu 1. Das Verhältnis zwischen Landgerichten (1.Instanz) und Oberlandesgerichten ist noch ungünstiger, nämlich 2,4 zu 1. Die erstinstanzlichen Entscheidungen von 2 282 Richtern an den Landgerichten werden an den Oberlandesgerichten von 934 Richtern überprüft. Dieser starke personelle Ausbau der Kontrollinstanz erscheint – gerade im Hinblick auf die relativ geringe Quote der Einlegung und des Erfolgs von Berufungen – nicht geboten.
Um eine optimale Nutzung und gesellschaftliche Wirkung richterlicher Arbeitskraft zu erreichen, erscheint es vielmehr sinnvoll, die erste Instanz personell zu stärken. Dort machen die Bürgerinnen und Bürger ihre Erfahrungen mit der Justiz. Deshalb sollen dort sozial kompetente Richterinnen und Richter arbeiten, die ausreichend Zeit haben, um den einzelnen Fall gründlich zu bearbeiten, Vergleichsvorschläge zu machen und verständliche Urteile zu fällen. Wer aber – wie der Amtsrichter – mehr als 600 Fälle pro Jahr zu erledigen und 180 streitige Urteile im Jahr zu schreiben hat, kann nicht jedem Einzelfall die wünschenswerte Zeit und Sorgfalt widmen. Der zu hohe Erledigungsdruck in erster Instanz hat dazu geführt, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer in erstinstanzlichen Zivilsachen seit 1991 angestiegen ist. Diese Entwicklung muss im Interesse der Rechtsuchenden gestoppt werden.
Darüber hinaus werden die absehbar zunehmende „Verrechtlichung“ des Alltagslebens, der rasante Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien und nicht zuletzt die Vereinheitlichung des europäischen Rechtsraums neue Aufgaben gerade für die erstinstanzlichen Gerichte mit sich bringen. Um sicherzustellen, dass die Ziviljustiz diesen Herausforderungen gewachsen ist, bedarf es einer umfassenden Modernisierung durch eine grundlegende Strukturreform.
Der Entwurf wird durch eine strukturelle Neugestaltung wesentlicher Bereiche des Zivilverfahrensrechts – vor allem des Rechtsmittelrechts – die vorhandenen – im Verhältnis zu den zu bewältigenden Aufgaben – knappen Ressourcen der Justiz besser nutzbar machen. Wesentliche Reforminhalte sind:
die verfahrensrechtliche Stärkung des Schlichtungsgedankens im Zivilprozess durch die Einführung einer Güteverhandlung,
die Erhöhung der Transparenz richterlicher Entscheidungsfindung durch die stärkere Betonung der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten,
der Abbau der streitwertabhängigen Zugangsbarrieren zum Rechtsmittel durch ergänzende Einführung einer Zulassungsberufung und Abschaffung der Streitwertrevision,
eine deutlichere Funktionsdifferenzierung der Rechtsmittelebenen,
die Schaffung von verfahrensökonomischen Erledigungsmöglichkeiten je nach Erfolgsaussicht oder rechtlicher Bedeutung einer Streitsache,
die Wegbereitung für eine Harmonisierung der Verfahrensordnungen.
Zugrunde liegt dem Entwurfskonzept die Erkenntnis, dass die bisherigen Ansätze einer Reform des Zivilprozessrechts durch Entlastungs-, Beschleunigungs- und Vereinfachungsnovellen zu einer zunehmenden Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eines sozialen Rechtsstaats geführt haben und dauerhafte Lösungen ausgeblieben sind. Eine Fortsetzung der in den letzten Jahrzehnten erlassenen Gesetze zur Entlastung der Zivilgerichtsbarkeit durch eine ständige Erhöhung der Wertgrenzen kommt daher nicht in Betracht.
Der Entwurf zielt vielmehr auf eine umfassende Modernisierung der Zivilgerichtsbarkeit durch eine grundlegende Strukturreform ab. Dieses Ziel können Bund und Länder nur gemeinsam erreichen. Das Konzept eröffnet den Ländern die Möglichkeit, die Wirkung der vorhandenen richterlichen Arbeitskraft zu optimieren. Freiwerdende Binnenressourcen in der Berufungsinstanz stehen in ausreichendem Umfang für die dringend notwendige personelle Stärkung der ersten Instanz zur Verfügung. Sie dürfen jedoch nicht für einen Stellenabbau zweckentfremdet werden. Dies ist die Geschäftsgrundlage der Reform. Das Reformkonzept orientiert sich an folgenden Leitlinien:
Unabdingbare Voraussetzung zur Erreichung des Ziels einer streitbeendenden Funktion der ersten Instanz und damit einer Verfahrensbeschleunigung ist insbesondere die inhaltliche, aber auch personelle Stärkung der Eingangsinstanz. Alle Möglichkeiten einer einvernehmlichen Konfliktregelung zwischen den Parteien müssen genutzt werden, damit in einem möglichst frühen Prozessstadium Rechtsfrieden eintritt.
Der Entwurf erweitert deshalb die materielle Prozessleitungs- und Hinweispflicht des Gerichts (§ 139 ZPO). Der Richter soll die Sach- und Rechtslage mit den Parteien deutlich erörtern und darlegen, wenn seine Beurteilung von dem Vortrag beider Parteien abweicht. Die richterliche Entscheidungsfindung soll für die Parteien nachvollziehbarer werden, damit der Prozessstoff schneller auf die entscheidungserheblichen Fragen beschränkt werden kann. Wenn die Parteien auf diese Weise in das Verfahren einbezogen werden, werden sie eher geneigt sein, ein streitiges Urteil, auch wenn es gegen sie ausfällt, zu akzeptieren. Ferner enthält der Entwurf Regelungen zur Erweiterung prozessualer Aufklärungs- und Vorlagepflichten in den Bereichen des Urkunden- und Augenscheinsbeweises. Die Möglichkeiten zur gütlichen Einigung und zur außergerichtlichen Streitschlichtung werden durch Einführung einer dem arbeitsgerichtlichen Verfahren angenäherten Güteverhandlung und Erleichterungen beim Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs außerhalb einer mündlichen Verhandlung erweitert. Ergänzt werden die Regelungen durch Erleichterungen bei der Abfassung von Urteilen und durch die Übernahme von Vorschlägen aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Drucksache 14/163).
Nach dem Entwurf werden die Zugangschancen zum Rechtsmittel grundsätzlich bei allen Urteilen gleichermaßen gewährleistet. Der generelle Ausschluss des Rechtsmittels der Berufung bei Beschwerdewerten unter 1 500 DM wird deshalb ebenso aufgegeben wie die Streitwertrevision. Außerdem entfällt der grundsätzlich zweigliedrige Instanzenaufbau für amtsgerichtliche Verfahren; auch Urteile des Amtsgerichts können künftig in die Revisionsinstanz zum Bundesgerichtshof gelangen, wenn eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Der Entwurf senkt die Berufungssumme auf 1 200 DM ab und führt bei den darunter liegenden Beschwerdewerten eine Zulassungsberufung bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache sowie ein Abhilfeverfahren bei Verfahrensgrundrechtsverletzungen ein. Letzteres wird zu einer Entlastung des Bundesverfassungsgerichts führen, da wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde das Abhilfeverfahren vorrangig ist.
Der Entwurf führt die allgemeine Zulassungsrevision ein, mit der gewährleistet wird, dass unabhängig vom Beschwerdewert des Berufungsurteils die Zugangschance zum Revisionsgericht gegeben ist. Hat das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen, kann diese Entscheidung mit einer beim Revisionsgericht einzulegenden Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden. Damit werden die prozessualen Voraussetzungen für eine schnellere Entscheidung grundsätzlicher Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof geschaffen.
Einer der zentralen Punkte des Entwurfs ist die Umgestaltung der Berufungsinstanz zu einem Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung. Dies bedeutet: Das Berufungsgericht wird (nur) von solchen Tatsachenfeststellungen entlastet, die bereits die erste Instanz richtig und vollständig getroffen hat. Es soll außerdem die Sache – gegebenenfalls nach Beweisaufnahme, soweit diese erforderlich ist – möglichst abschließend entscheiden; die Zurückverweisung an die erste Instanz soll im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Ausnahme bilden.
Eine klare Funktionszuweisung zwischen den Instanzen erreicht der Entwurf zudem dadurch, dass beim Bundesgerichtshof – im Unterschied zum Berufungsgericht – die Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen, die Aufgaben der Rechtsfortbildung und der Wahrung der Rechtseinheit im Vordergrund stehen.
Weitere Maßnahme der klaren Funktionszuweisung ist die Konzentration der Berufungen bei den Oberlandesgerichten. Der Rechtsmittelzug wird damit für den Rechtsuchenden transparenter und fördert die Einheitlichkeit der Rechtsprechung.
Der Entwurf sieht im Berufungsrecht die Einführung eines Zurückweisungsbeschlusses vor, durch den Berufungen ohne Erfolgsaussicht und ohne grundsätzliche Bedeutung im Beschlusswege durch einstimmige Entscheidung des Berufungsgerichts ohne mündliche Verhandlung abschließend erledigt werden können. Derzeit sind weit über 50 % aller Berufungen erfolglos. In diesen Fällen ergibt sich infolge der Zurückweisung durch Beschluss ein erheblicher verfahrensbeschleunigender Effekt mit schnellerer Rechtskraft und Vollstreckbarkeit, ohne dass damit eine Verkürzung von Rechtsschutzmöglichkeiten zu besorgen ist. Auf Verfahrensverzögerung angelegten Rechtsmitteln wird so wirksam begegnet.
Eine Funktionsdifferenzierung ist auch im Verhältnis zwischen dem Kollegialspruchkörper und seinen einzelnen Mitgliedern geboten. In tatsächlich und rechtlich nicht besonders schwierigen Sachen ist der Einsatz eines Mitglieds des Kollegialspruchkörpers als Einzelrichter – wie es der Praxis vieler, indessen nicht aller Gerichte bereits derzeit entspricht – gleichermaßen geeignet, einen Rechtsstreit in mindestens gleicher Qualität zu erledigen wie der Kollegialspruchkörper. Rechtstatsächliche Untersuchungen zum Einzelrichtereinsatz in erster Instanz zeigen, dass Akzeptanzprobleme nicht festzustellen sind, die Vergleichsquote vielmehr höher und die Berufungsquote niedriger als beim Kollegialspruchkörper ist. Das Festhalten am Kollegialsystem im Übrigen gewährleistet, dass in schwierigen Fällen das bewährte Mehraugenprinzip erhalten bleibt und das Kollegium seiner Ausbildungsfunktion bei jungen Richterinnen und Richtern nachkommen kann.
Angesichts der unverändert hohen Belastung der Zivilgerichtsbarkeit ist es notwendig, ein stärkeres Augenmerk auf eine gütliche Streitbeilegung in einem möglichst frühen Prozessstadium zu legen. Eine gütliche Einigung zwischen den Parteien dient zudem dem Rechtsfrieden nachhaltiger als eine Streitentscheidung durch Urteil. Der Gütegedanke wird deshalb durch die Einführung einer Güteverhandlung im Zivilprozess institutionell stärker verankert. Der Gütetermin hat sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren (§ 54 ArbGG) bewährt und trägt zu dessen hoher Vergleichsquote (39,6 % [1997]) bei. Wenn auch ein Rückschluss auf die Zivilgerichtsbarkeit wegen der unterschiedlichen Rechtsmaterie und Streitkultur mit Unsicherheiten behaftet ist, lässt sich doch erwarten, dass die Einführung einer Güteverhandlung positive Wirkungen auf die derzeit unbefriedigende erstinstanzliche Vergleichsquote vor dem Amtsgericht (9,4 % [1998]) und vor dem Landgericht (16,4 % [1998]) haben wird.
Die Güteverhandlung (§§ 278, 279 Abs. 1 ZPO-E) soll in persönlicher Anwesenheit der Parteien stattfinden. Dies gibt dem Gericht die Gelegenheit, den Sachverhalt durch Befragung der Parteien umfassend aufzuklären und dadurch ein solides Fundament für einen begründeten Vergleichsvorschlag zu schaffen.
Die Umgestaltung des Berufungsverfahrens zu einer Instanz der Fehlerkontrolle und -beseitigung hat zur Folge, dass die Verantwortung für die Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts sich im Wesentlichen auf die erste Instanz konzentriert. Von den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten wird zukünftig verstärkt erwartet, dass diese das hierzu Erforderliche mit aller Sorgfalt beitragen. Auch von Seiten des Gerichts soll der Weg hierzu deutlicher als bisher geebnet werden. Dabei geht es vor allem darum, die Parteien und ihre Anwälte mehr als bisher durch eine offene und rechtzeitige Information zu einer stärkeren, gleichzeitig aber auch gezielteren Aktivität zu veranlassen. Dies setzt voraus, dass das Gericht mit seiner Sicht nicht unnötig hinter dem Berg hält und sie nicht erst in einem – für die Parteien möglicherweise überraschenden – Urteil offen legt, sondern in einem möglichst frühen Prozessstadium.
Mit einer Straffung der materiellen Prozessleitung des Gerichts kann darüber hinaus der denkbare Einwand entkräftet werden, die Parteien könnten zukünftig die erste Instanz mit Vorbringen überfrachten, selbst wenn es auch nur annähernd und bloß eventuell für die Entscheidung von Bedeutung sein könnte, weil sie befürchten müssten, im zweiten Rechtszug neue Tatsachen nicht mehr vorbringen zu können, womit das Verfahren unnötig belastet und die Verfahrensdauer in die Länge gezogen werden könnte. Durch frühe und gezielte prozessleitende Hinweise werden die Parteien in die Lage versetzt, ihren Vortrag zur Sache sinnvoll zu beschränken, da sie wissen, auf welche Tatsachen es aus Sicht des Gerichts für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt.
Durch die Konzentration der Sachverhaltsfeststellung auf die erste Instanz werden die Eingangsgerichte nicht unzumutbar belastet. Nach den Ergebnissen der von Professor Rimmelspacher durchgeführten rechtstatsächlichen Untersuchung zeigt sich, dass nur in 16,6 % aller Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht und in 12,8 % aller Berufungsverfahren vor dem Landgericht neue Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend gemacht werden. Selbst wenn man unterstellt, dass die Parteien in nahezu allen dieser allenfalls 25 000 Berufungsverfahren die neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel bereits in erster Instanz vorbringen könnten, wären lediglich knapp 1 % aller erstinstanzlichen Verfahren von einer Mehrbelastung durch weiteren erheblichen Tatsachenvortrag betroffen. Selbst wenn man weiter annehmen würde, dass sich der richterliche Arbeitsaufwand in diesen Verfahren durch vermehrte Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung um 25 % erhöhen würde, würde dies allenfalls zu einer Mehrbelastung in Höhe von rund 10 Richterstellen führen. Dieser Mehrbedarf fällt nicht ins Gewicht.
Der Entwurf sieht die Einführung des originär zuständigen Einzelrichters für allgemeine Zivilsachen vor. Streitigkeiten aus bestimmten, im Gesetz einzeln aufgeführten Rechtsmaterien fallen bei der dafür eingerichteten Spezialkammer an. Allgemeine Zivilsachen, die besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweisen oder grundsätzliche Bedeutung haben, sind vom Einzelrichter auf die Kammer zu übertragen. Damit ist eine sachgerechte Verteilung der Verfahren zwischen Einzelrichter und Kollegium gewährleistet.
Der Gefahr, dass Proberichter davor zurückschrecken könnten, schwierige Verfahren auf die Kammer zu übertragen, beugt der Entwurf durch die Ausnahmeregelung in § 348 Abs.1 Nr.1 ZPO-E in ausreichendem Maße vor. Danach können Proberichter, die bürgerliche Rechtsstreitigkeiten noch nicht über einen Zeitraum von einem Jahr geschäftsverteilungsplanmäßig bearbeitet haben, nicht originärer Einzelrichter werden.
Aufgrund der Bindung der Entscheidungskompetenz des Einzelrichters in der Berufungsinstanz an die Spruchkörperbesetzung der ersten Instanz hat die dortige Einzelrichterregelung instanzübergreifende Bedeutung. Je mehr Entscheidungen in erster Instanz beim Landgericht vom Einzelrichter getroffen werden, desto größer wird der Entlastungseffekt durch das Einzelrichterprinzip in Berufungssachen. Wegen der Bedeutung der erstinstanzlichen Einzelrichterregelung für die Berufungsinstanz ist eine bundesweit möglichst einheitliche Übertragungspraxis anzustreben. Diese gewährleistet die Einführung des originären Einzelrichters.
Der belastungsmindernde Effekt der vorgesehenen Einzelrichterregelung ist erheblich: Der Einzelrichter darf nur Rechtsstreitigkeiten, die besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweisen oder grundsätzliche Bedeutung haben, auf die Kammer übertragen, umgekehrt darf die Kammer auch nur unter diesen Voraussetzungen von einer Übertragung auf den Einzelrichter absehen. Demnach reicht nicht jede, sondern nur eine erheblich über dem Durchschnitt liegende Schwierigkeit für die Bejahung der Kammerzuständigkeit aus. Der Einzelrichter wird also künftig etwa 70 % der derzeit bei der Kammer eingehenden Verfahren selbst zu entscheiden haben. In diesen Verfahren werden der Vorsitzende und der zweite Beisitzer die Zeit einsparen, die sie bisher für die Vorbereitung der Sache vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung, für die Wahrnehmung dieses Termins, für die Beratung der Entscheidung und in einem erheblichen Teil der Fälle für die Beweisaufnahme aufzuwenden haben.
Das zur Verfügung stehende statistische und rechtstatsächliche Material untermauert die mit dem Entwurf verfolgte Absicht, die Entscheidungszuständigkeit des Einzelrichters auszuweiten. So ist die durchschnittliche Dauer der Verfahren vor dem Einzelrichter im Jahr 1998 mit rund 11 Monaten kaum länger als die Verfahrensdauer vor der Kammer (10,5 Monate), obwohl der Einzelrichter weitaus mehr Sachen durch streitiges Urteil erledigt als die Kammer (42,5 % gegenüber 21,3 %). Die Berufungsquote gegen Urteile der Kammer ist bereits seit einem längeren Zeitraum etwa doppelt so hoch wie diejenige gegen Urteile des Einzelrichters (83 % gegenüber 39 % [1995]). Die Urteile des Einzelrichters werden also von den Parteien signifikant häufiger akzeptiert. Nach der rechtstatsächlichen Untersuchung von Professor Rimmelspacher ergeben sich auch im Hinblick auf den Berufungserfolg keine erheblichen Unterschiede zwischen Einzelrichter und Kammer. So bestätigte das Oberlandesgericht in 70 % aller Einzelrichtersachen dessen Tatsachenfeststellung, in Kammersachen betrug dieser Wert nur 66 %. Verfahrensfehler nahm das Oberlandesgericht häufiger bei Berufungen gegen Urteile der Zivilkammer als bei Berufungen gegen einzelrichterliche Urteile an. Das dargestellte Material lässt den Schluss zu, dass der Einzelrichter im Bereich der rechtlich und tatsächlich nicht besonders schwierigen Verfahren effizienter und zugleich mit mindestens gleicher Qualität arbeitet wie die Kammer.
Da die Reform gegenüber dem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit von einer höheren Einzelrichterquote ausgeht , wird der dort angenommene belastungsmindernde Effekt von (bundesweit) ca. 225 Richterstellen nicht nur erreicht, sondern noch übertroffen werden.
Der neu eingefügte § 321a ZPO-E eröffnet dem erstinstanzlichen Gericht im Falle der gerügten Verletzung rechtlichen Gehörs (Artikel 103 Abs. 1 GG) erstmals die Möglichkeit der Selbstkorrektur bei unanfechtbaren Urteilen. Nach geltendem Recht kann der Betroffene bei einer derartigen Fallgestaltung nur noch die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht einlegen (Artikel 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG; § 13 Nr. 8 Buchstabe a, §§ 90 ff. BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht soll jedoch nicht mit der Korrektur objektiver Verfahrensfehler belastet werden, die instanzintern einfacher und ökonomischer behoben werden können. Die Entwurfsregelung befriedigt daher zum einen das Bedürfnis des erstinstanzlichen Gerichts, vorwiegend unbeabsichtigte Verletzungen des rechtlichen Gehörs bei Beanstandung korrigieren zu können, zum anderen führt sie zu einer Entlastung des Bundesverfassungsgerichts.
Die aus dem Abhilfeverfahren für die erste Instanz resultierende Mehrbelastung ist verkraftbar, weil sich der gerichtliche Aufwand jedenfalls in den Fällen unbegründeter Rügen in Grenzen hält und Abhilfeentscheidungen eher die Ausnahme bilden dürften. Selbst wenn man annimmt, dass künftig im Umfang der bisherigen Berufungsquote gegen Urteile des Amtsgerichts in Höhe von ca. 30 % die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gerügt wird, ergibt sich unter Zugrundelegung einer allenfalls anzunehmenden durchschnittlichen Mehrbelastung von 25 % durch die Rüge bei rund 200 000 unanfechtbaren Urteilen ein zusätzlicher Bedarf von lediglich 24 Richterstellen für die erste Instanz.
Das Berufungsverfahren wird durch die Reform grundlegend umgestaltet. Die unökonomische und rechtsstaatlich nicht gebotene Ausgestaltung der Berufung als volle zweite Tatsacheninstanz wird aufgegeben. Das Berufungsrecht wird den spezifischen Erfordernissen der Kontrolle erstinstanzlicher Verfahren und Entscheidungen angepasst. Der bisherige § 525 ZPO, der die Neuverhandlung des Rechtsstreits vor dem Berufungsgericht vorsieht, wird durch den neuen § 529 ZPO-E, der den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts bestimmt, abgelöst. Funktion der Berufung wird es künftig sein, das erstinstanzliche Urteil auf die korrekte Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen hin zu überprüfen und etwaige Fehler zu beseitigen. Nur wenn das Berufungsgericht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen hat und eine neue Feststellung in zweiter Instanz geboten ist, darf das Gericht über erstinstanzlich festgestellte Tatsachen erneut verhandeln. Damit wird nicht nur die eigentliche Funktion der Berufung im Gesamtrechtsmittelsystem deutlicher als bislang hervorgehoben, sondern werden zugleich auch die Voraussetzungen für eine effektivere und bürgerfreundlichere Ausgestaltung des Berufungsrechts geschaffen.
Konsequenz der Funktionsdifferenzierung zwischen den Instanzen ist die in § 529 ZPO-E festgeschriebene Bindung des Berufungsgerichts an richtige und vollständige Tatsachenfeststellungen in erster Instanz, soweit nicht zulässiges neues Parteivorbringen in der Berufungsinstanz (vgl. § 531 ZPO-E) anderweitige Feststellungen rechtfertigt. Was das Ausgangsgericht überzeugend und vollständig festgestellt hat, ist damit auch in der Berufungsinstanz maßgeblich.
Der Zurückweisungsbeschluss gestaltet den Rechtsschutz für den Bürger effektiver: Ist die Berufung ohne Erfolgsaussicht und betrifft sie auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, so erhält die in erster Instanz erfolgreiche Partei durch den unverzüglich zu erlassenden Zurückweisungsbeschluss deutlich schneller als bislang die Gewissheit über die Endgültigkeit ihres Obsiegens. Zugleich werden damit für in der ersten Instanz unterlegene Beklagte die Anreize vermindert, durch die Einlegung der Berufung Zeit zu gewinnen und die Vollstreckung des titulierten Anspruchs hinauszuzögern. Die Zahl der aus solchen sachfremden Erwägungen eingelegten Rechtsmittel wird sich damit voraussichtlich verringern.
Der – einstimmig zu fassende – Zurückweisungsbeschluss führt zu keiner Rechtsschutzverkürzung: Da der Berufungsführer vor Zurückweisung auf die Aussichtslosigkeit seines Rechtsmittels hinzuweisen ist, erhält er Gelegenheit zur Stellungnahme. Damit ist sichergestellt, dass berechtigte Berufungseinlegungen stets im Berufungshauptverfahren einer Fehlerkontrolle unterzogen werden.
Das Zurückweisungsverfahren führt für den Berufungsführer zu einer Kostenersparnis: Berufungen ohne Erfolgsaussicht und ohne Grundsatzbedeutung sind bereits durch Zurückweisungsbeschluss zu erledigen, so dass eine mündliche Verhandlung und die damit anfallenden Verhandlungsgebühren vermieden werden. Das Zurückweisungsverfahren verspricht dazu erhebliche Effizienzgewinne für die Gerichte: Das Berufungsgericht bekommt mit dem Zurückweisungsbeschluss ein Instrument an die Hand, das es ihm erlaubt, substanzlose Berufungen schnell und ohne den in diesen Fällen unnötigen Zeitaufwand einer mündlichen Verhandlung und ohne das derzeit erforderliche doppelte Aktenstudium bei Eingang der Sache und bei der Terminvorbereitung zu erledigen. Der belastungsmindernde Effekt durch die Einführung des Zurückweisungsbeschlusses kann nicht beziffert werden, weil nicht genau vorhersehbar ist, in welchem Umfang die Gerichte davon Gebrauch machen werden.
Der Entwurf weist die Verhandlung und Entscheidung sämtlicher Berufungsverfahren dem Oberlandesgericht zu. Dieses wird deshalb künftig sowohl über die Berufungen gegen die Urteile der Landgerichte als auch über Berufungen gegen die Urteile der Amtsgerichte zu entscheiden haben.
Der derzeitige gespaltene Rechtsweg im Berufungsverfahren in Zivilsachen (Landgericht als Berufungsinstanz gegen amtsgerichtliche Urteile, § 72 GVG, Oberlandesgericht gegen landgerichtliche Urteile, § 119 Abs. 1 Nr.3 GVG) kollidiert mit dem Prinzip einer stimmigen Funktionsdifferenzierung für die einzelnen Instanzen und dem Ziel, die Justiz transparenter zu organisieren. Auch der Gedanke einer Angleichung des Verfahrensrechts für die einzelnen Gerichtszweige lässt einen gespaltenen Rechtsweg als unbefriedigend erscheinen.
Die Konzentration der Berufungsverfahren auf der Ebene der Oberlandesgerichte gewährleistet ein höheres Maß an Rechtseinheitlichkeit, insbesondere bei der Anwendung der verfahrensrechtlichen Regelungen. Sie eröffnet zudem die Chance, in Fragen grundsätzlicher Bedeutung eine höchstrichterliche Rechtsprechung herbeizuführen und damit Rechtsfragen zu klären, die bislang wegen der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit landgerichtlicher Berufungsurteile von höchstrichterlicher Entscheidung ausgenommen sind. Ferner hilft die Konzentration des Berufungsverfahrens bei dem höher angesiedelten Oberlandesgericht, die Akzeptanz des Zurückweisungsverfahrens und des Einzelrichtereinsatzes im Berufungsverfahren zu stärken.
Die zum Teil gegen eine Verlagerung der landgerichtlichen Berufungszuständigkeit auf die Oberlandesgerichte angeführten Erfahrungen und Argumente sind letztlich nicht durchschlagend. Der Gesichtspunkt der Ortsnähe – dem bei der Berufung gegen landgerichtliche Urteile durchweg eine Relevanz nicht zugemessen wird – dürfte angesichts der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse kaum noch von entscheidender Bedeutung sein. Die Zuständigkeitsverlagerung auf die Oberlandesgerichte ist zudem nicht als isolierte Maßnahme zu sehen, sondern als Teil der Gesamtkonzeption der Reform, die zusätzliche Belastungen der Mittelinstanz vermeidet und zB durch die Begrenzung des Prüfungsumfangs entlastend wirkt. Dies erlaubt es, die bei den Berufungskammern frei werdenden Richterstellen zur Stärkung der ersten Instanz zu verwenden.
Die Konzentration der Berufungen beim Oberlandesgericht harmonisiert darüber hinaus den Rechtsweg in Zivilsachen mit dem Instanzenzug in Familiensachen. Sonderkonstruktionen wie der Rechtsentscheid in Streitigkeiten aus Mietvertragsverhältnissen über Wohnraum (§ 541 ZPO) und die Divergenzberufung (§ 511a Abs. 2 ZPO) werden damit entbehrlich und beseitigt, ohne dass dies einen Verlust an Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger zur Folge hat.
Die Ausgestaltung der Reform trägt im Übrigen den Bestandsschutzinteressen derjenigen Rechtsanwälte Rechnung, die bislang vor den Landgerichten in Berufungsund Beschwerdesachen auftreten konnten und für die sich mit der Konzentration der Berufungs- und Beschwerdezuständigkeit beim Oberlandesgericht die Frage stellt, ob sie in diesem Bereich noch tätig werden können. Für die Berufungssachen sieht die Übergangsregelung in § 26 Nr.1 EGZPO-E vor, dass ein bei einem Landgericht zugelassener Rechtsanwalt für eine Übergangszeit von fünf Jahren in Berufungsverfahren gegen Entscheidungen der Amtsgerichte auch als bei den Oberlandesgerichten zugelassen gilt. Für die Beschwerdesachen sieht die Reform in § 571 Abs. 4 ZPO-E generell vor, dass sich die Beteiligten auch durch einen bei einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen können.
Die Neukonzeption der Berufung erlaubt es, nach den diversen, stets mit Einschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers verbundenen Entlastungsgesetzen der letzten Jahrzehnte die Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger wieder auf das angemessene Maß zu erweitern:
Der Entwurf setzt die für die Zulässigkeit der Berufung notwendige Beschwerdesumme von derzeit 1 500 DM auf 600 Euro (˜ 1 200 DM) herab (§ 511 Abs. 2 ZPO-E) und harmonisiert damit zugleich die Berufungswertgrenze mit der Wertgrenze für das – bei Streitwerten bis 600 Euro (˜ 1 200 DM) mögliche – vereinfachte amtsgerichtliche Verfahren nach § 495a ZPO.
Darüber hinaus führt der Entwurf bei Beschwerdewerten bis 600 Euro eine Zulassungsberufung ein: Das erstinstanzliche Gericht hat auf Antrag die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 511 Abs.4 ZPO-E). Damit kann künftig jeder Rechtsstreit mit grundsätzlicher dh über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung unabhängig von dem Erreichen eines bestimmten Streit- oder Beschwerdewerts in die Berufungsinstanz gelangen und – aufgrund der Umgestaltung der Revision zu einer reinen Zulassungsrevision (su) – gegebenenfalls vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich entschieden werden.
Die Reform erweitert nicht nur die Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger, sie gestaltet diese auch effizienter: § 538 ZPO-E fasst die Voraussetzungen, unter denen das Berufungsgericht den Rechtsstreit an das Ausgangsgericht zurückverweisen kann, enger als bisher. Durch das zusätzliche Erfordernis eines Zurückverweisungsantrags einer Partei wird dem Interesse der Parteien an einer möglichst abschließenden Entscheidung durch das Berufungsgericht angemessen Rechnung getragen.
Mit der Reform werden der Einsatz der Personalressourcen in der Berufungsinstanz effektiver gestaltet und der Einsatz des Einzelrichters auch im Berufungsverfahren ermöglicht. Das bisherige Recht sieht in der Berufungsinstanz nur den vorbereitenden Einzelrichter vor (§ 524 ZPO). In rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Berufungsverfahren ist es aber nicht erforderlich, dass sich der gesamte Senat mit der Sache befasst. Daher sieht der Reformentwurf in § 526 ZPO-E vor, dass der Senat die Sache auf den Einzelrichter übertragen soll, wenn die angefochtene Entscheidung vom Amtsrichter oder Einzelrichter beim Landgericht erlassen wurde, keine besonderen Schwierigkeiten und keine grundsätzliche Bedeutung aufweist. Der Effizienzgewinn der Einzelrichterregelung ist beträchtlich: Selbst wenn die Senate von der fakultativen Übertragungsmöglichkeit zunächst nur zurückhaltend Gebrauch machen, ergibt sich ein erheblicher belastungsmindernder Effekt.
aa) Die bestehenden Regelungen zum Revisionszugang haben dazu geführt, dass die Arbeitskraft der Zivilsenate zu weit mehr als 80 % durch die Bearbeitung von Revisionen gebunden wird, die weder rechtsgrundsätzliche Bedeutung haben noch einen durchgreifenden Rechtsfehler des angefochtenen Urteils aufzeigen. Die Zahl der am Jahresende unerledigten Revisionen stieg zwischen 1980 und 1999 von 2 175 auf 4 101 an. Die Zahl der Eingänge ist von 2 249 im Jahr 1980 auf 4 408 im Jahr 1999 angestiegen, wobei die Mehrbelastung ohne nennenswerte Steigerung der Anzahl der Richter zu bewältigen ist. Das Ansteigen des Geschäftsanfalls – allein von 1992 bis 1999 um 52,6 % – beruht in erster Linie auf einem überproportionalen Zuwachs der Wertrevisionen, die seit 1980 um mehr als 145 % zugenommen haben. Demgegenüber ist die Zahl der von den Oberlandesgerichten zugelassenen Revisionen von 353 im Jahr 1979 auf 151 im Jahr 1999 zurückgegangen. Das bedeutet, dass Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof zu mehr als 95 % aus Fällen hervorgehen, in denen die Wertrevision statthaft ist, obwohl diese bei den streitigen Berufungsurteilen der Oberlandesgerichte nur einen Anteil von etwa einem Viertel ausmachen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Urteile in der Revision ab-, die Zahl der Ablehnungen der Annahme nach § 554b ZPO hingegen zugenommen hat. Während 1980 noch 863 Revisionen durch streitiges Urteil und 780 Fälle durch Ablehnung der Annahme erledigt wurden, waren es 1999 nur noch 629 Urteile (= 14,3 %); in 1 969 und damit in fast der Hälfte der Revisionsverfahren wurde die Annahme der Revision abgelehnt. Außerdem führt der derzeitige Instanzenaufbau dazu, dass durch die Beendigung der beim Amtsgericht beginnenden Verfahren in der Berufungsinstanz beim Landgericht für weniger als 20 % aller streitigen erstinstanzlichen Urteile der Zugang zur Revisionsinstanz überhaupt eröffnet ist.
Das bedeutet nicht nur, dass der Zugang zur Revisionsinstanz von einem für die rechtliche Bedeutung eines Falles wenig aussagekräftigen Kriterium abhängt, nämlich dem Wert der Beschwer, und dass sie faktisch nur noch stattfindet, wenn es um mehr als 60 000 DM geht, der weitaus größere Teil der Rechtsstreitigkeiten also keine oder nur eine theoretische Chance hat, in die Revision zu gelangen. Das bedeutet auch, dass die gesamte Bandbreite der in der Praxis zu lösenden Rechtsfragen in weiten Bereichen einer höchstrichterlichen Entscheidung nicht mehr zugänglich ist, der Bundesgerichtshof die Aufgaben der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortbildung des Rechts nur noch partiell erfüllen kann. Hinzu kommt, dass trotz stark angestiegener Erledigungen ein Anhalten der hohen Eingangszahlen oder gar eine weitere Zunahme unter Berücksichtigung der kontinuierlich angewachsenen Rückstände zu einer Blockade der höchstrichterlichen Rechtsprechung führen und damit Auswirkungen auf die Ziviljustiz insgesamt haben könnte.
bb) An die Stelle der Wertrevision setzt der Entwurf daher die Zulassungsrevision und gestaltet den Zugang zum Revisionsgericht einheitlich. Er orientiert sich dabei an den für das Familienrecht bereits heute geltenden Regelungen (§ 621d ZPO) und geht von der Grundüberlegung aus, dass sich eine Neuordnung des Rechts des Zugangs zur Revision in erster Linie an dem Zweck des Rechtsmittels der Revision ausrichten muss. Dieser ist nach der in Rechtsprechung und Rechtslehre wohl einhelligen Meinung ein doppelter: Die Revision dient einerseits dem öffentlichen allgemeinen Anliegen, das in der Wahrung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts besteht, zum anderen aber auch dem Interesse der Parteien an der Beseitigung von Fehlurteilen (May, Die Revision in den zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, 2.Aufl., Abschnitt I Rn.38 ff; Pfeiffer, NJW 1999 S.2617, 2618).
Beide Zwecke sind in der Ausgestaltung des geltenden Rechts miteinander verwoben. Auch eine Revision, die nur das Ziel derWahrung der Rechtseinheit im Auge hat, muss zu einer gerechten Entscheidung des Einzelfalles führen. Umgekehrt hat eine Revision, die als Wertrevision vorrangig im Parteiinteresse gewährt wird, bisweilen auch den Effekt einer einheitlichen Rechtsanwendung oder einer Rechtsfortbildung. Daraus folgt, dass sich die beiden Zielrichtungen nicht völlig decken, ebenso aber, dass der Zugang zur Revisionsinstanz nicht beschränkt werden darf, wenn im Einzelfall beide Zielrichtungen die Durchführung der Revision verlangen. Diesem Grundsatz ist der Gesetzgeber im Übrigen schon bisher stets gefolgt, wenn die immer wieder erforderliche Entlastung des Revisionsgerichts auf Kosten derjenigen Revisionsverfahren erfolgte, die abhängig vom Streitwert zulässig gewesen wären.
Dies zeigt, dass maßgebliche Kriterien für die Eröffnung des Zugangs zur Revisionsinstanz stets die allgemeine Bedeutung einer Rechtssache und die Sicherung der Rechtseinheit waren. Dem entspricht die im Schrifttum überwiegend vertretene Meinung, dass die Revision in erster Linie zur Wahrung der Rechtseinheit und zur Rechtsfortbildung gegeben sei und das Interesse der Parteien demgegenüber im Kollisionsfalle zurückzutreten habe (Adickes, Grundlinien durchgreifender Justizreform, 1906, S. 14 und 26 f.; Kissel, Der dreistufige Aufbau in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, 1972, S. 85 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., § 134 Abs. 2 Satz 2). Einen solchen Kollisionsfall stellt der Umstand dar, dass das Revisionsgericht bei uneingeschränkter Statthaftigkeit der Revision nicht in der Lage ist, alle zu ihm gelangenden Rechtsstreitigkeiten dieser Art zu erledigen. Dem Gesetzgeber ist es bei dieser Sachlage weitgehend freigestellt, den Zugang zum Rechtsmittelgericht und den Verfahrensgang nach seinen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszurichten (BVerfGE 54 S. 277 ff.). Er kann den Zugang nach Maßgabe der Bedeutung der einzelnen Rechtssache für das allgemeine Interesse eröffnen und Zugangskontrollen vorsehen. Grenzen sind ihm dabei von Verfassungs wegen nur durch Artikel 92, 97, 101, 103 Abs. 1 GG, das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte, vor allem durch den Gleichheitsgrundsatz, gezogen.
cc) Eine so ausgestaltete Revision, die sich in erster Linie an den Auswirkungen einer Entscheidung auf die Allgemeinheit orientiert und damit grundsätzliche Bedeutung voraussetzt, sichert dem Revisionsgericht eine maximaleWirkungsbreite. DasWertkriterium ist ein Zugangsmerkmal, das nur geeignet ist, die Eigenbedeutung der einzelnen Rechtssache zu erfassen. Dagegen bedeutet das Merkmal der Grundsätzlichkeit, dass der zu entscheidenden Rechtssache gerade eine über den Rahmen des Einzelfalles hinausgehende Bedeutung zukommt, weil ihre Beantwortung nicht nur zur Entscheidung dieses Falles, sondern zugleich auch mit Rücksicht auf die Wiederholung ähnlicher Fälle erforderlich erscheint oder sonstige Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße berührt. Diese Wirkungen eines Revisionsurteils auf unbestimmt viele andere, anhängige oder künftige Verfahren oder auf das Vertrauen in die Rechtsprechung sind, auch wenn das Urteil in einem Prozess mit mittlerem oder geringem Beschwerdewert erlassen wird, weitergehend als die Wirkungen eines nur für das jeweilige Verfahren bedeutsamen Urteils.
Dem kommt umso mehr Gewicht zu, als mit der Neuregelung des Rechtsmittelrechts in der überwiegenden Zahl der Fälle, in denen bisher die Chance des Zugangs zum Revisionsgericht von vornherein ausgeschlossen war (berufungsfähige Urteile des Amtsgerichts), der Weg zum Bundesgerichtshof eröffnet wird, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. dd) Die gegen eine solche Gestaltung des Zugangs zum Revisionsgericht erhobenen Bedenken sind unbegründet:
Ein Verlust der erforderlichen Breite des Anschauungsmaterials für das Revisionsgericht ist schon deshalb nicht zu befürchten, weil die Befassung des Bundesgerichtshofes mit der Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerden zur Erweiterung des Anschauungsmaterials beitragen wird. Daneben wird der Bundesgerichtshof aus seiner eigenen Judikatur und der Rechtsprechung anderer Gerichte, vor allem der Oberlandesgerichte, die rechtstatsächlich notwendigen Erkenntnisse erschließen können.
Die Gefahr einer Rechtserstarrung entsteht nicht, weil das Revisionsgericht sich veranlasst sehen kann und wird, eine bereits entschiedene Rechtsfrage erneut zu durchdenken und zu behandeln, wenn hierzu neue Gesichtspunkte vorgetragen werden.
Ebenfalls nicht zu befürchten ist die Gefahr einer Minderung der Überwachungsfunktion des Bundesgerichtshofs. Diese wirkt schon dann, wenn nur die Möglichkeit eines Eingreifens des Revisionsgerichts besteht. Sie wird zudem durch das im Entwurf vorgesehene System der Zulassungsrevision mit Nichtzulassungsbeschwerde eher gestärkt.
ee) Einen neuen Weg beschreitet der Entwurf in der Ausgestaltung der Zulassungskriterien, die sich an die Formulierung von § 74 Abs.2 GWB, § 219 BEG, § 83 MarkenG, § 100 PatG und § 80 OWiG anlehnen. Damit wird deutlich gemacht, dass die Zulassungsvoraussetzungen der „Fortbildung des Rechts“ und der „Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung“ den Zulassungsgrund der „grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache“ konkretisieren, ohne ihn hierauf zu beschränken. Dieser Weg bietet, auch wenn die einzelnen Zulassungsalternativen nicht immer deutlich voneinander zu trennen sein werden, die Gewähr, dass aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der Rechtsmittelzugangsvoraussetzungen einschränkende Schlüsse auf die Auslegung des Zulassungsgrundes der „grundsätzlichen Bedeutung“ nicht gezogen werden können. Diese Klarstellung ist erforderlich, weil nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 2 S.396; BGH, JZ 1955 S.550; BAGE 2, 26; BVerwG, NJW 1960 S. 1587; 1962 S.218; BSG, MDR1975 S.964; BFHE 89 S.117) eine Rechtssache nur dann grundsätzliche Bedeutung hat, wenn eine klärungsbedürftige, regelmäßig bisher noch nicht entschiedene Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung entscheidungserheblich ist. Mit der Erweiterung der Zulassungsgründe und dem damit verbundenen erweiterten Verständnis der „grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache“ werden künftig auch Revisionen zuzulassen sein, denen eine Grundsatzbedeutung im herkömmlichen Sinne nicht zukommt, die aber gleichwohl eine Leitentscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfordern. Gleiches gilt für Revisionen, die zwar eine Leitentscheidung nicht erfordern, gleichwohl aber eine Ergebniskorrektur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit oder wegen der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts geboten erscheinen lassen.
Neben dem Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hat die – wegen ihrer strengen formalen Anforderungen (vgl BGHZ 89 S.149) ohnehin praktisch kaum relevante – Divergenzrevision keine eigenständige Bedeutung mehr. Sie kann daher entfallen.
Die Zulassungskompetenz weist der Entwurf dem Berufungsgericht zu. Mit dem Berufungsgericht entscheidet über die Zulassung der Revision ein Gericht, das mit dem Prozessstoff und den Rechtsfragen des Falles bereits vertraut ist, während sich das Revisionsgericht erst einarbeiten müsste. Außerdem dient diese Vorgehensweise der Rechtsmittelklarheit, weil schon bei Erlass des Berufungsurteils eine Entscheidung darüber vorliegt, ob die Revision statthaft ist. Die Übertragung auf das Instanzgericht entspricht auch den Regelungen der anderen Verfahrensordnungen (§ 132 Abs.1 VwGO, § 72 Abs.1 ArbGG, § 115 Abs.1 FGO, § 160 Abs.1 SGG). An die Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts ist das Revisionsgericht gebunden.
Hat das Berufungsgericht über die Zulassung der Revision zu entscheiden, so erscheint es erforderlich, die Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof zu eröffnen, wenn das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat.
Zwar bestehen keine zwingenden verfassungsrechtlichen
Gründe zur Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde; das Rechtsstaatsprinzip verlangt nicht, dass gegen jede richterliche Entscheidung – auch soweit die Eröffnung einer neuen Instanz von ihr abhängt – ein Rechtsmittel gegeben sein muss. Dennoch wäre ein umfassender Ausschluss der Nichtzulassungsbeschwerde – beim Bundesgerichtshof gibt es sie bereits in Entschädigungssachen (§§ 219, 220 BEG) sowie bei der Rechtsbeschwerde in Kartellverwaltungssachen (§§ 74, 75 GWB) – rechtssystematisch nur schwer vertretbar und widerspräche der Kontrollfunktion des Revisionsgerichts im System der Zulassungsrevision. Die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung kann nur gewährleistet werden, wenn in für diese Aufgaben bedeutsamen Sachen eine Einflussmöglichkeit des Revisionsgerichts durch Kontrolle besteht. Hängt die Chancengleichheit beim einheitlich geregelten Revisionszugang von einer gleichmäßigen Anwendung der Zulassungskriterien ab, erfordert die Erarbeitung allgemeingültiger Auslegungsregeln die Mitverantwortung des Revisionsgerichts für die Zulassung. Der Entwurf sieht daher die Einführung einer beim Revisionsgericht einzulegenden Nichtzulassungsbeschwerde vor.
Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Mit der Ablehnung der Zulassung durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Revisionsgericht auf die Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zu, geht das Beschwerdeverfahren unmittelbar in das Revisionsverfahren über.
Diese Verbreiterung der Zugangsmöglichkeiten zum Revisionsgericht und die angespannte derzeitige Belastungssituation beim Bundesgerichtshof machen es – obwohl Wertgrenzen generell als Steuerungsinstrument für die Zugangsregulierung wegfallen sollen – erforderlich, zur Vermeidung einer nicht auszuschließenden Überlastung des Bundesgerichtshofes für eine Übergangszeit, in der die Entwicklung beobachtet werden kann, die Nichtzulassungsbeschwerde in Abhängigkeit von der Beschwer zu begrenzen. Auf der Grundlage einer Übergangsregelung, die einen Zeitraum von fünf Jahren umfasst, ist mit einer spürbaren Entlastung des Bundesgerichtshofes zu rechnen, ohne die generelle Möglichkeit zu beeinträchtigen, in Grundsatzfragen höchstrichterliche Entscheidungen herbeizuführen. Während derzeit Nichtannahmeentscheidungen wegen der notwendigen Prüfung einer „Erfolgsaussicht im Ergebnis“ einen größeren Aufwand erfordern, führt die Beschränkung des Prüfungsumfangs im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zu einer geringeren Belastung.
Die Wertgrenze für die vorläufige Beschränkung der Zulassungsbeschwerde setzt der Entwurf – entsprechend der Herabsetzung der Berufungssumme – auf 40 000 DM fest und führt damit die Wertgrenzenerhöhung des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes vom 17.Dezember 1990 (BGBl.I S.2847) wieder auf den davor geltenden Wert zurück. In der Übergangszeit besteht Gelegenheit, Grundsätze zur Zulassung der Revision zu entwickeln, die sich auch auf die Zulassungspraxis der Berufungsgerichte auswirken werden. Es ist zu erwarten, dass hierdurch längerfristig die Zahl der Nichtzulassungsbeschwerden rückläufig sein wird. Davon wird es letztlich abhängen, ob und gegebenenfalls wann die Beschränkung für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde eingeschränkt oder aufgehoben werden kann.
Im Hinblick auf die konzeptionellen Änderungen des Rechtsmittelrechts in der Hauptsache soll auch das Beschwerderecht als Rechtsmittel gegen Nebenentscheidungen angepasst, vereinfacht und zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung gestrafft werden. Gleichzeitig ist beabsichtigt, den Rechtsschutz durch Eröffnung des Zugangs zum Bundesgerichtshof zu erweitern. Die Neuregelung des Beschwerderechts gilt nur für die Beschwerden, die dem Recht der Zivilprozessordnung unterliegen.
Durch die Übertragung der dreigliedrigen Funktionsdifferenzierung in der Hauptsache auf den Beschwerderechtszug werden die Beschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen bei den zuständigen Beschwerdegerichten und die neu eingeführten Rechtsbeschwerden, die sich gegen Entscheidungen im zweiten Rechtszug richten, beim Bundesgerichtshof konzentriert. Das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde, das gegenwärtig unter engen Voraussetzungen in den Verfahren gegeben ist, die vom Amtsgericht ausgehen (zB § 793 Abs.2 ZPO, § 3 Abs.2 Satz 3 SVertO, § 156 KostO), wird durch die Rechtsbeschwerde ersetzt. Die bisherigen revisionsähnlich ausgestalteten weiteren Beschwerden (§ 568a ZPO) und Erstbeschwerden (§§ 519b, 542 Abs.3 iVm § 341 Abs.2 ZPO) zum Bundesgerichtshof sind entweder durch die Einführung der Rechtsbeschwerde (§ 522 Abs.1 Satz 4 ZPO-E) oder durch die Beschränkung der Einspruchsverwerfungsentscheidung auf die Urteilsform (§ 341 Abs.2 ZPO-E) obsolet geworden.
Der Entwurf führt zum Zwecke der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung eine generelle Befristung der Beschwerde ein, wie sie auch die Verwaltungsgerichtsordnung, die Finanzgerichtsordnung und das Sozialgerichtsgesetz vorsehen, und schafft insoweit die bisherige Unterscheidung zwischen der einfachen (unbefristeten) und der sofortigen (befristeten) Beschwerde (§ 577 ZPO) ab. Die einfachen Beschwerden, die bereits nach geltendem Recht in der Minderzahl sind, ziehen das Verfahren unangemessen in die Länge und lassen die Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der Endgültigkeit der gerichtlichen Entscheidung im Ungewissen. Dieser Zustand gefährdet die Rechtssicherheit. Angesichts der bestehenden Überlastung der Justiz kann zudem eine Bindung richterlicher und nichtrichterlicher Arbeitskraft durch Beschwerden, die erst nach langer Zeit eingelegt werden und das Wiedervorlegen der bereits abgelegten Akten, das erneute Einarbeiten des Richters in den Streitstoff sowie die schwierige Prüfung einer etwaigen Verwirkung oder prozessualen Überholung verursachen, gerade im Bereich der Nebenentscheidungen nicht mehr hingenommen werden. Die gleichen Überlegungen gelten für die Erinnerung, die durch den Entwurf ebenfalls generell befristet wird.
Nach der Konzeption des Entwurfs soll der Beschwerdeführer seine Beschwerde begründen. Damit wird im Beschwerderecht erstmals ein Begründungserfordernis aufgestellt, das das Verfahren vereinfacht und beschleunigt, ohne den Beschwerdeführer bei ausbleibender Begründung sofort durch eine Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig zu sanktionieren. Erst bei Verstreichenlassen einer richterlich gesetzten Begründungsfrist kommt als Sanktion eine Präklusion seines Vorbringens in Betracht (§ 571 Abs.3 ZPO-E). Durch verspätete Begründungen wird das Gericht mit vermeidbarer Mehrarbeit (wiederholte Vorlage der Akten, Mahnungen) belastet und das Verfahren unnötig verlängert. Demgegenüber kann von jedem Beschwerdeführer erwartet werden, dass er kurz darlegt, was er mit der Beschwerde bezweckt und aus welchem Grund die angegriffene Entscheidung seiner Ansicht nach unzutreffend sein soll.
Der Entwurf dehnt die Abhilfebefugnis des Erstgerichts, die nach geltendem Recht nur für die einfachen Beschwerden gilt (§ 571 ZPO), nunmehr auf alle (generell befristeten) sofortigen Beschwerden aus. Vorbild für diese Regelung sind die anderen Verfahrensordnungen (VwGO, FGO und SGG), die seit Anbeginn bei ihren generell befristeten Beschwerden eine Abhilfe durch das Ausgangsgericht zulassen. Die Abhilfemöglichkeit erhält den Verfahrensbeteiligten die Instanz. Sie ermöglicht dem Erstrichter eine schnelle Selbstkorrektur und erreicht auf diese Weise sowohl eine Verfahrensverkürzung als auch eine Entlastung des Beschwerdegerichts. Durch die Einführung der generellen Abhilfebefugnis im Beschwerderecht wird es nunmehr auch dem Rechtspfleger wieder möglich, einer Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren abzuhelfen. Diese Befugnis hatte er mit dem Inkrafttreten des 3.RPflÄndG am 1. Oktober 1998 (BGBl.I S.2030) verloren. Als weitere Nebenfolge ist zu erwarten, dass die Verfassungsbeschwerden und die außerordentlichen Beschwerden wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit oder Verletzung des rechtlichen Gehörs ohne Rechtsschutzeinbuße zurückgehen werden. Die generelle Abhilfemöglichkeit des Erstgerichts im neu geregelten Beschwerdeverfahren bildet auf diese Weise das erweiterte Gegenstück zum Abhilfeverfahren bei erstinstanzlichen unanfechtbaren Urteilen, die auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen (§ 321a ZPO-E).
Im Gegensatz zum neu geregelten Berufungsrecht bleibt der Charakter des Beschwerdeverfahrens als eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz erhalten. Der Grund für diese unterschiedliche Ausgestaltung liegt darin, dass bei den in der Eingangsinstanz getroffenen Nebenentscheidungen im Gegensatz zum erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren weder ein förmliches Verfahren noch eine eingehende Sachverhaltsfeststellung noch eine Begründung sichergestellt ist. Um aber auch in der Beschwerdeinstanz einen schrankenlosen und damit verfahrensverzögernden Vortrag neuer Tatsachen und Beweise zu verhindern, soll dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt werden, nach dem Vorbild des § 296 Abs.1, 4 ZPO verspätetes Vorbringen zu präkludieren. Denn auch von den Beteiligten eines Beschwerdeverfahrens kann ein beschleunigtes, auf Prozessförderung bedachtes Vorbringen verlangt werden.
Durch den Entwurf wird der originäre Einzelrichter in allen Beschwerdeverfahren eingeführt, in denen ein amts- oder landgerichtlicher Einzelrichter oder ein Rechtspfleger die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Im geltenden Recht wird über eine Beschwerde stets durch ein mit drei Richtern besetztes Kollegium beim Landgericht bzw. beim Oberlandesgericht entschieden. Dieser Personalaufwand ist angesichts der in aller Regel geringen Bedeutung der vorwiegend Nebenentscheidungen betreffenden Beschwerdeverfahren unverhältnismäßig. Zur Vermeidung von Akzeptanzverlust und nicht gerechtfertigten Verzögerungen durch eine zwischengeschaltete Übertragungsentscheidung wird über die Beschwerde gegen eine Kollegialentscheidung weiterhin ein Kollegium befinden.
Die neu eingeführte Rechtsbeschwerde ermöglicht nunmehr auch im Bereich der Nebenentscheidungen die höchstrichterliche Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen. Mit dieser Eröffnung des Zugangs zum Bundesgerichtshof kann die teilweise sehr unterschiedliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (zB im Kostenrecht) vereinheitlicht werden. Die Rechtsbeschwerde dient der Überprüfung der Rechtsanwendung und ist daher revisionsähnlich ausgestaltet. Sie ist gegeben, wenn das Beschwerde- oder Berufungsgericht sie wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz zugelassen hat oder wenn sie im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist und das Rechtsbeschwerdegericht sie aufgrund der gleichen Voraussetzungen für zulässig erachtet. Der Entwurf sieht im Hinblick darauf, dass es sich in der Regel um weniger bedeutsame Nebenentscheidungen handelt, eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht vor. Das Rechtsinstitut der Rechtsbeschwerde lässt das umständliche Vorlageverfahren (zB in § 7 InsO) entfallen und eignet sich als zentrales Modell für andere Gesetze.
Der Entwurf sieht notwendige Folgeänderungen im Rechtsmittelrecht des familiengerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) vor. Ferner wird im FGG-Bereich in der Beschwerdeinstanz die Möglichkeit für den Einsatz von Einzelrichtern geschaffen. Im Übrigen wird das FGG-Verfahren von dem Entwurf inhaltlich nicht berührt. Eine Reform in diesem Bereich muss einem gesonderten Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten bleiben.
Der Entwurf, der neben Effizienz und Bürgernähe auch die Transparenz des zivilprozessualen Verfahrens bezweckt, beendet die bisherige Unübersichtlichkeit im Bereich der fakultativen mündlichen Verhandlung, indem er in § 128 Abs. 4 ZPO-E eine einzige Bestimmung schafft, die die zahlreichen Einzelvorschriften der Zivilprozessordnung ablöst. Sie regelt nunmehr einheitlich, dass jede gerichtliche Entscheidung, die nicht in Urteilsform ergeht, ohne mündliche Verhandlung getroffen werden kann, es sei denn, das Gesetz bestimmt etwas anderes. Diese Neuregelung führt nicht nur zur Verfahrensvereinfachung, sondern auch zur Angleichung an die anderen Verfahrensordnungen (VwGO, FGO, SGG), die bereits über eine solche Generalklausel verfügen.
Im Interesse einer einheitlichen Behandlung der gerichtlichen Entscheidungen über die Unzulässigkeit eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil wird die bisherige Wahlmöglichkeit des Gerichts, ob es durch Beschluss oder durch Urteil entscheidet, abgeschafft. Die nunmehr ausschließlich in Urteilsform ergehende Einspruchsverwerfungsentscheidung (§ 341 Abs. 2 ZPO-E) bedarf im Hinblick auf die in der Regel einfach gelagerten Sachverhalte, die den damaligen Gesetzgeber zur Einführung der Beschlussentscheidung bewegt haben, keiner mündlichen Verhandlung und unterliegt den gleichen Rechtsmitteln wie andere Urteile. Auf diese Weise wird das Verfahren transparent, ohne den Vereinfachungseffekt der fakultativen mündlichen Verhandlung zu verlieren. Gleichzeitig werden die Rechtsmittel des Beschwerderechts, die bisher gegen den Verwerfungsbeschluss statthaft und in der Zivilprozessordnung an verschiedenen Stellen unübersichtlich geregelt waren, obsolet.
Die Neukonzeption des Rechtsmittelrechts trägt auch dem Gesichtspunkt einer Rechtsbereinigung Rechnung: Die bislang komplizierten Konstruktionen von selbständigen und unselbständigen Anschlussrechtsmitteln wird zugunsten der unselbständigen Anschlussrechtsmittel durch Abschaffung der – überflüssigen – selbständigen Anschlussrechtsmittel vereinfacht (§ 524 ZPO-E). Will der Gegner des Rechtsmittelführers ebenfalls Rechtsmittel einlegen und mit seinem Rechtsmittel von dem bereits eingelegten Rechtsmittel seines Prozessgegners unabhängig sein (bisheriges selbständiges Anschlussrechtsmittel), so hat er sein Rechtsmittel frist- und formgerecht einzulegen. Die Anschließungserklärung führt demgegenüber künftig stets zur Abhängigkeit des Anschlussrechtsmittels vom Hauptrechtsmittel.
Der Entwurf übernimmt mit dem Reformkonzept vereinbare Regelungen zur Verfahrensvereinfachung aus dem Entwurf des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes. Es handelt sich um kleinere und eher technische Regelungen, die dem Richter in der täglichen Arbeit jedoch durchaus deutliche Erleichterungen bringen können. Beispielhaft seien erwähnt, dass etwa im Falle einer allein noch ausstehenden Kostenentscheidung diese künftig ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 128 Abs.3 ZPO-E) und die Sicherheitsleistung bereits von Gesetzes wegen auch durch Bankbürgschaft erbracht werden kann (§ 108 Abs.1 Satz 2 ZPO-E).
Der Entwurf enthält Anpassungen im Kosten- und Gebührenrecht. Er trägt mit einer Erhöhung der Verfahrensgebühr im Berufungsrechtszug um 2/10 auf 15/10 den erhöhten Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit im Berufungsverfahren Rechnung.
Die Neukonzeption des Zivilprozesses führt auch zu einer Angleichung an die Prozessrechtssysteme der europäischen Nachbarländer.
In England einschließlich Wales, in Frankreich, Österreich, Italien und der Schweiz (Kanton Zürich) wird die überwiegende Zahl der Zivilstreitigkeiten durch Einzelrichter, insbesondere auch durch Einzelrichter bei den erstinstanzlichen Kollegialgerichten, erledigt. In England, Frankreich und Italien ist der Einzelrichtereinsatz auch in den Rechtsmittelinstanzen vorgesehen.
Ein einheitliches Berufungsgericht findet sich in England, Frankreich und im Schweizer Kanton Zürich. Das Prinzip der zweiten Tatsacheninstanz gilt vorwiegend im deutschen und französischen Recht. In England, Österreich, Italien und im Schweizer Kanton Zürich steht entweder von vornherein oder infolge von Reformen der jüngsten Vergangenheit die Kontrollfunktion der Berufung im Vordergrund. Diese Wirkung wird durch hohe Zugangshürden und Novenbeschränkungen bis hin zum Novenverbot erreicht.
Das englische Zivilprozessrecht wird vom Prinzip der „finality of a judicial decision“ beherrscht. Das bedeutet, dass die erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung in der Regel endgültig sein soll. In der Praxis wird dieses Ziel dadurch erreicht, dass die Berufung erstens grundsätzlich der Zulassung bedarf, über die das Erst- oder Rechtsmittelgericht nach freiem Ermessen und ohne Begründung unanfechtbar entscheidet, und zweitens eine reine Rechtskontrolle mit Bindung an die Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Gerichts darstellt.
Der italienische Reformgesetzgeber führte im Jahr 1990 die beschränkte Berufung ein, um dieses Rechtsmittel auf die Behebung von Fehlern der Vorinstanz zu konzentrieren. Im Schweizer Kanton Zürich hat die Reform im Jahr 1995 die Möglichkeit der Parteien, im Berufungsverfahren neue Tatsachen oder Beweismittel vorzutragen, sehr stark eingeschränkt. Das österreichische Berufungsverfahren wird vom Neuerungsverbot (Novenverbot) beherrscht, d. h. das Berufungsgericht ist an die Sachverhaltsfeststellung der ersten Instanz gebunden und neuer Tatsachenvortrag oder neue Beweismittel sind nur unter engen Ausnahmen zulässig. Auf diese Weise findet nur eine Kontrolle der Erstentscheidung und keine Neuverhandlung statt.
Das Reformvorhaben reiht sich in diese Reformbewegung, die die Abkehr von einer vollumfänglichen zweiten Tatsacheninstanz zum Inhalt hat, ein. Im Gegensatz zum geltenden deutschen Zivilprozessrecht eröffnen alle erwähnten europäischen Nachbarländer dem Rechtsuchenden grundsätzlich denWeg zum obersten Gericht. Einen Rechtsmittelausschluss aufgrund des Unterschreitens einer bestimmten Wertgrenze, wie ihn die deutsche Rechtsordnung bisher kennt, sieht keines der vorgenannten Nachbarländer vor. Durch die Neukonzeption des Berufungsrechts und die uneingeschränkte Grundsatzrevision, die die Reform verwirklicht, wird die erforderliche Anpassung an den europäischen Rechtsstandard geleistet.
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